Betriebsratswahl, Anfechtung, Briefwahl, schriftliche Stimmabgabe

LAG Düsseldorf 10 TaBV 79/10 vom 8. Apr. 2011

Leitsätze

Gemäß § 24 WO 2001 stellt die schriftliche Stimmabgabe eine Ausnahme dar, die zu begründen ist. Mit dieser Vorgabe ist außerhalb des Anwendungsbereiches von § 24 Abs. 3 WO 2001 ein pauschaler Beschluss des Wahlvorstandes, allen Arbeitnehmern die Möglichkeit einzuräumen, ihre Stimme schriftlich abzugeben, nicht vereinbar.

Auch wenn der Wahlvorstand nicht verpflichtet ist, die vom Wähler vorgebrachten Begründungen näher zu überprüfen, befreit ihn das nicht davon, jedes Briefwahlverlangen zumindest im Rahmen einer kursorischen Minimalprüfung anhand der ihm ohnehin bekannten betrieblichen Umstände auf seine Plausibilität hin zu überprüfen. Andernfalls würde das Begründungserfordernis des § 24 WO 2001 zu einer irrelevanten Förmelei degradiert und der Zweck des § 24 WO 2001 verfehlt.

Diese Prüfungspflicht trifft grundsätzlich den Wahlvorstand als Gremium. Ob eine Delegation der aus § 24 WO 2001 erwachsenden Aufgaben generell ausgeschlossen ist, also auch dann nicht zulässig wäre, wenn der Wahlvorstand seinen Vorsitzenden oder einzelne seiner Mitglieder hiermit ggf. unter Benennung bestimmter Rahmenbedingungen konkret beauftragt, war nicht zu entscheiden.

Tenor

Auf die Beschwerde der Beteiligten zu 1. bis 4. wird der Beschluss des Arbeitsgerichts Duisburg vom 07.10.2010 - 2 BV 127/09 - abgeändert:

Die im Betrieb des Beteiligten zu 5. in der Zeit vom 15. bis 17.12.2009 durchgeführte Betriebsratswahl wird für unwirksam erklärt.

Die Rechtsbeschwerde wird zugelassen.

Gründe

I.

Der Betrieb der Beteiligten zu 6. (im Folgenden: Arbeitgeberin) besteht aus einem Klinikbetrieb am Hauptsitz, drei Seniorenheimen im Stadtgebiet E. sowie dem C.-Krankenhaus in E.-S.. Weil der amtierende Betriebsrat seinen Rücktritt beschlossen hatte, musste eine außerplanmäßige Betriebsratswahl durchgeführt werden. Gemäß Beschluss des Wahlvorstandes erfolgte die Stimmabgabe am 15.12.2009 im C.-Krankenhaus und im Seniorenzentrum in E.-S., am 16.12.2009 in den Seniorenheimen I. und H. und am 17.12.2009 im Klinikum E.. Zur Wahl der insgesamt 17 Betriebsratsmitglieder, von denen vier freigestellt werden, standen Kandidaten der Liste 1 (ver.di), Liste 2 (Die Unbeugsamen) und Liste 3 (Komba/Marburger Bund). Der Wahlvorstand bestand aus Herrn I. C. (Vorsitzender), Herrn V. P., Herrn N. S., Frau C. C. und Herrn V. M.. Die Wahlvorstände C., P. und S. gehörten dem zurückgetretenen Betriebsrat an und kandidierten erneut auf Platz 1, 2 und 4 der Liste 1. Ausweislich des Protokolls der Sitzung des Wahlvorstandes vom 20.11.2009 beschloss dieser unter anderem Folgendes:

"Zu Top 1:

...

Durch die zeitliche Lage der Wahl wird jedem Mitarbeiter/in die Möglichkeit geboten Briefwahl zu beantragen.

Alle Anwesenden gaben ihre Zustimmung."

Das Wahlergebnis wurde am 23.12.2009 durch Aushang bekannt gegeben. Danach gaben 1033 Wahlberechtigte ihre Stimme ab, davon 385 durch Briefwahl. Auf Liste 1 entfielen 684 Stimmen, auf Liste 2 144 und auf Liste 3 203 Stimmen, so dass drei Mitglieder der Liste 1 und ein Mitglied der Liste 3 freigestellt wurden.

Mit der am 31.12.2009 beim Arbeitsgericht eingegangenen Anfechtungsschrift haben ursprünglich fünf und nunmehr noch verbliebene vier Wahlberechtigte (Beteiligte zu 1. bis 4., im Folgenden: Antragsteller) die Wahl angefochten.

Die Antragsteller haben behauptet, die Wahlvorstände C., P. und S. hätten die Beschäftigten aktiv zur Briefwahl aufgefordert, ohne dass die Wahlberechtigten zuvor Briefwahl beantragt hätten. So habe beispielsweise der Wahlvorstand S. am 09.12.2009 im C.-Krankenhaus die Arbeitnehmer W., I. und M. aufgefordert, direkt bei ihm per Briefwahl ihre Stimme abzugeben. Er habe diesen Mitarbeitern den Stimmzettel präsentiert und angemerkt, dass er von ver.di gesandt worden sei. Sodann habe er die Stimmabgabe kontrolliert und die Stimmzettel mitgenommen. Erst später hätten die Mitarbeiter W., I. und M. erfahren, dass die Wahlen am 15.12.2009 im C.-Krankenhaus stattfinden würden und sie auch an diesem Tag hätten wählen können.

Im Ergebnis hätten die genannten Mitglieder des Wahlvorstands generell und eigenmächtig die Briefwahl zugelassen und die Wähler zur sofortigen Stimmabgabe in ihrer Gegenwart aufgefordert, ohne dass der Wahlvorstand über die einzelnen Briefwahlanträge Beschluss gefasst hätte. Viele der Briefwähler hätten am Wahltag regulär Dienst gehabt, so dass es ihnen ohne weiteres möglich gewesen wäre, ihre Stimme persönlich abzugeben. Von den 385 per Briefwahl abgegebenen Stimmen seien 306 Stimmzettel am selben Tag beim Wahlvorstand eingegangen, wie die dazu gehörenden Briefwahlanträge. Dadurch, dass die genannten Wahlvorstände die Briefwahl in großem Umfang gesteuert hätten, sei den Konkurrenten die Möglichkeit genommen worden, für sich zu werben.

Die Antragssteller haben beantragt,

die in der Zeit vom 15.12.2009 bis zum 17.12.2009 durchgeführte Betriebsratswahl für ungültig zu erklären.

Die Arbeitgeberin hat keinen Antrag gestellt.

Der Beteiligte zu 5. (im Folgenden Betriebsrat) hat beantragt,

den Antrag zurückzuweisen.

Er hat behauptet, Grund für die hohe Anzahl an Briefwählern sei die an alle Mitarbeiter gerichtete Aufforderung der Arbeitgeberin gewesen, möglichst alle restlichen Urlaubstage des Jahres 2009 noch im laufenden Kalenderjahr 2009 zu nehmen und die Stundenkonten auf "Null" herunterzufahren. Der Wahlvorstand habe die Mitarbeiter nicht aufgefordert, ihre Stimmen per Briefwahl abzugeben, sondern die Briefwahl nur auf Antrag zugelassen. Allerdings sei es ihm nicht möglich gewesen, die jeweiligen Dienstzeiten zu überprüfen, da Dienstpläne auch kurzfristigen Änderungen unterlägen. Der Wahlvorstand müsse auch nicht über jeden Antrag auf Briefwahl einen gesonderten Beschluss fassen. Voraussetzung sei lediglich, dass ein Wähler mündlich oder schriftlich die Briefwahl verlange. So hätten auch die Mitarbeiter W., I. und M. selbst darum gebeten, im Rahmen der Briefwahl an den Betriebsratswahlen teilnehmen zu können. Dass viele Briefwähler am gleichen Tag den Antrag auf Briefwahl und die tatsächliche Stimmabgabe getätigt hätten, sei unschädlich, da den Wählern nicht vorgeschrieben werden könne, wann und wo sie ihre Stimme abgeben müssten.

Das Arbeitsgericht hat Beweis erhoben durch Vernehmung einer Reihe von Zeugen. Wegen des Inhaltes des Beweisbeschlusses sowie des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf die Sitzungsniederschrift vom 23.06.2010 verwiesen.

Mit Beschluss vom 07.10.2010 hat das Arbeitsgericht den Antrag zurückgewiesen und darauf erkannt, dass die Wahlanfechtung nicht erfolgreich sei. Ein Verstoß gegen § 24 WO 2001 sei nicht gegeben. Angesichts des Ergebnisses der Beweisaufnahme könne nicht davon ausgegangen werden, dass sich der Wahlvorstand generell und eigenmächtig über die Voraussetzungen der Briefwahl hinweggesetzt und gezielt zur Briefwahl aufgerufen habe. Auch Verstöße gegen die Grundsätze der freien und geheimen Wahl habe das Arbeitsgericht nicht erkennen können.

Gegen diese Entscheidung haben die Antragsteller Beschwerde eingelegt. Unter Wiederholung ihres erstinstanzlichen Tatsachenvortrags vertreten sie die Auffassung, dass das Arbeitsgericht einen Verstoß gegen § 24 WO 2001 fehlerhaft verneint habe. Fordere ein Wahlvorstand zur Briefwahl auf, wie im Falle W., I. und M., ohne dass die Voraussetzungen des Abs. 1 oder Abs. 3 des § 24 WO 2001 vorlägen, stelle dies eine Verletzung der wesentlichen Vorschriften über das Wahlverfahren dar. Dadurch, dass die Wahlvorstandsmitglieder P. und S. Briefwahlstimmen regelrecht eingesammelt hätten, seien die Antragsteller - allesamt Mitglieder der Liste "Die Unbeugsamen" - in ihren Wahlwerbungsmöglichkeiten eingeschränkt worden. So sei dem Antragsteller zu 1., als dieser sich in der ersten Dezemberwoche im Betrieb H. habe vorstellen wollen, entgegnet worden, dass das nicht nötig sei, weil alle schon gewählt hätten. Wegen der weiteren Einzelheiten des Vorbringens der Antragsteller wird auf die Beschwerdebegründung Bezug genommen.

Die Antragsteller beantragen:

Unter Abänderung des Beschlusses des Arbeitsgerichts Duisburg vom 07.10.2010 wird die in der Zeit vom 15.12.2009 bis 17.12.2009 im Unternehmen der Beteiligten zu 6. durchgeführte Betriebsratswahl für ungültig erklärt.

Die Arbeitgeberin stellt keinen Antrag.

Der Betriebsrat beantragt,

die Beschwerde zurückzuweisen.

Mit Schriftsatz vom 24.01.2011 verteidigt er die Entscheidung des Arbeitsgerichts unter Aufrechterhaltung seines erstinstanzlichen Vorbringens. Ziel des Wahlvorstandes sei immer gewesen, dass möglichst viele Arbeitnehmer an der Wahl teilnähmen. Wenn Mitglieder des Wahlvorstandes auf entsprechende Anforderung Briefwahlunterlagen ausgehändigt und diese nach der Stimmabgabe weitergeleitet hätten, sei dies für die Wirksamkeit der Stimmabgabe unerheblich. Wesentlich sei, dass ein Antrag gestellt worden sei und dass in geheimer Wahl und ohne Druck habe gewählt werden können. Viele Arbeitnehmer würden den Unterschied zwischen Wahlvorstand und Betriebsrat nicht kennen. Dies ändere jedoch nichts daran, dass die Mitglieder des Wahlvorstandes in dieser Funktion die Briefwahlunterlagen auf Antrag herausgegeben und in einer Vielzahl von Fällen dann auch an den Wahlvorstand überbracht hätten. Wenn der Antragsteller zu 1. sich bei bestimmten einzelnen Wählern habe "bewerben" wollen, die bereits gewählt gehabt hätten, so habe dies allenfalls etwas damit zu tun, dass seine Wahlwerbung offenbar zu spät erfolgt sei. Wegen der weiteren Einzelheiten des Vorbringens des Betriebsrats wird auf den Schriftsatz vom 24.01.2011 verwiesen.

Im Übrigen wird wegen der weiteren Einzelheiten des zugrunde liegenden Sachverhalts sowie des widerstreitenden Sachvortrags und der unterschiedlichen Rechtsauffassungen der Beteiligten ergänzend Bezug genommen auf den Akteninhalt, insbesondere die wechselseitigen Schriftsätze der Beteiligten nebst Anlagen sowie die Protokolle der mündlichen Anhörungstermine.

II.

1. Die Beschwerde ist zulässig.

Sie ist an sich statthaft (§ 87 Abs. 1 ArbGG) und auch form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden (§§ 87 Abs. 2 Satz 1, 89 Abs. 2, 66 Abs. 1 Satz 1 ArbGG, 520 ZPO).

2. Die Beschwerde ist auch begründet.

Der Beschluss des Arbeitsgerichts war abzuändern. Entgegen der Entscheidung des Arbeitsgerichts ist die in der Zeit vom 15. bis 17.12.2009 durchgeführte Betriebsratswahl unwirksam, weil sie von den Antragstellern erfolgreich angefochten wurde.

a) Die für die Wahlanfechtung nach § 19 Abs. 2 BetrVG erforderlichen formalen Voraussetzungen sind erfüllt. Die vier Antragssteller sind Wahlberechtigte und als solche anfechtungsberechtigt. Die Anfechtung ist auch innerhalb der in § 19 Abs. 2 Satz 2 BetrVG normierten Zweiwochenfrist erklärt worden. Das Wahlergebnis wurde am 23.12.2009 durch Aushang bekannt gegeben, die Anfechtungsschrift lag am 31.12.2009 beim Arbeitsgericht vor.

b) Die Anfechtung hat auch in der Sache Erfolg.

Die Wahl ist unwirksam, weil der Wahlvorstand durch die Art und Weise, wie er mit der Möglichkeit der schriftlichen Stimmabgabe umgegangen ist, gegen § 24 WO 2001 als eine wesentliche Vorschrift über das Wahlverfahren verstoßen hat und nicht auszuschließen ist, dass das Wahlergebnis bei einer ordnungsgemäßen Wahl anders ausgefallen wäre (§ 19 Abs. 1 BetrVG).

aa) Bei § 24 WO 2001 handelt es sich um eine wesentliche Wahlvorschrift.

Nach ihrem Inhalt stellt die schriftliche Stimmabgabe die Ausnahme dar. Durch den gesetzlich angeordneten Vorrang der persönlichen Stimmabgabe sollen Manipulationen ausgeschlossen werden. Bei der Briefwahl ist es dem Wählenden selbst aufgegeben, insbesondere für die Einhaltung des Wahlgeheimnisses Sorge zu tragen. Gerade wegen der hiermit verbundenen Gefahren hat der Gesetzgeber die Briefwahl nur eingeschränkt zugelassen. Danach muss entweder gemäß § 24 Abs. 1 WO der Wahlberechtigte im Zeitpunkt der Wahl wegen Abwesenheit vom Betrieb an der persönlichen Stimmabgabe verhindert sein oder es muss sich gemäß § 24 Abs. 3 WO um einen Betriebsteil bzw. Kleinbetrieb handeln, der räumlich weit vom Hauptbetrieb entfernt ist. Diese Aufzählung ist abschließend. Die Briefwahl steht nicht im Belieben des Wahlvorstandes (BAG vom 27.01.1993 - 7 ABR 37/92, dokumentiert bei juris, Rn. 51 f.; LAG Schleswig-Holstein vom 18.03.1999 - 4 TaBV 51/98, dokumentiert bei juris, Rn. 33).

bb) Mit diesen einschränkenden Vorgaben des Gesetzes und der Wahlordnung lässt sich das Vorgehen des Wahlvorstandes nicht in Einklang bringen.

(1) Unstreitig sind mehrere Mitglieder des Wahlvorstandes Wochen vor dem angesetzten Wahltermin bestückt mit Anträgen auf schriftliche Stimmabgabe und Wahlunterlagen durch die Betriebsteile gegangen. Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme (vgl. Aussage der Frau C., Bl. 98 d. A.; Aussage des Herrn C., Bl. 100 d. A.; Aussage der Frau B., Bl. 103 d. A.; Aussage der Frau C., Bl. 104 d. A.) steht auch fest, dass jedenfalls das Wahlvorstandsmitglied P. Arbeitnehmer gezielt darauf ansprach, ob sie "gerne Briefwahl machen würden". Bejahten die angesprochenen Personen diese Frage, so händigte Herr P. ihnen sofort die Wahlunterlagen nebst einem Antrag auf schriftliche Stimmabgabe aus und nahm in einer Reihe von Fällen auch die ausgefüllten Wahlunterlagen sogleich wieder an sich.

Es kann dahin stehen, ob bereits diese aktive Werbung eines Wahlvorstandes, der sich sogleich auch als Kandidat zur Wahl stellt, als solche oder zumindest unter Einbeziehung weiterer, teils strittiger Aspekte der konkreten Abwicklung des jeweiligen Wahlvorgangs einen Verstoß gegen § 24 WO 2001 darstellt, der die Anfechtbarkeit der Wahl zur Folge hat. Denn das konkrete Handeln der einzelnen Wahlvorstandsmitglieder ist lediglich Ausdruck eines generellen Defizits im Umgang mit dem Institut der schriftlichen Stimmabgabe, das sich in jedem Fall als schwerwiegender Verstoß gegen § 24 WO 2001 erweist:

(2) Hätte der Wahlvorstand angeordnet, dass die Betriebsratswahl generell im Wege der schriftlichen Stimmabgabe erfolgen sollte, so läge unzweifelhaft ein zur Anfechtung der Wahl berechtigender Verstoß gegen wesentliche Wahlvorschriften vor. Darauf hat das Bundesarbeitsgericht mit seiner Entscheidung vom 27.01.1993 für einen so gelagerten Fall bereits ausdrücklich erkannt ((BAG vom 27.01.1993 - 7 ABR 37/92, a.a.O.).

Eine solche Anordnung hat der Wahlvorstand hier nicht getroffen.

Er hat aber unter dem 20.11.2009 beschlossen, dass wegen der zeitlichen Lage der Wahl jedem Mitarbeiter und jeder Mitarbeiterin "die Möglichkeit geboten werden solle, Briefwahl zu beantragen".

Auch hierin erblickt das Beschwerdegericht eine unzulässige Verfahrensweise. Denn dieser Beschluss bedeutet im Ergebnis nichts anderes, als dass sich der Wahlvorstand als Gremium mit den konkreten Briefwahlersuchen Einzelner nicht (mehr) beschäftigt hat, sondern entweder überhaupt niemand oder allenfalls die örtlich in der Doppelfunktion des Wahlbewerbers und Wahlvorstandsmitglieds auftretenden Personen über das jeweilige Briefwahlverlangen einer Wählerin oder eines Wählers befunden hätte. Das wird der Bedeutung und dem Zweck des § 24 WO 2001 nicht gerecht.

(a) Der Betriebsrat weist im Ausgangspunkt zutreffend darauf hin, dass der Wahlvorstand allgemein nicht für verpflichtet gehalten wird, den vom Wähler vorgebrachten Grund zu überprüfen (vgl. Fitting pp. BetrVG, 25. Auflage, § 24 WO 2001, Rn. 3; Däubler pp., BerVG, 12. Auflage, § 24 WO 2001, Rn. 10; GK-Kreutz pp. 9. Auflage, § 24 WO 2001, Rn. 6). Das ändert jedoch nichts daran, dass der Wähler sein Verlangen zumindest kurz zu begründen hat (vgl. vorstehende Nachweise). Die bloße, nicht näher begründete Behauptung des Wählers, er werde am Wahltag nicht anwesend sein, genügt nicht (so auch GK-Kreutz pp. 9. Auflage, § 24 WO 2001, Rn. 6). Das muss so sein, weil der Begründungszwang der Absicherung des Regelungszwecks von § 24 WO 2001 dient. Fehlt dem Verlangen jedwede Begründung, ist es dem Wahlvorstand schlechterdings unmöglich, sich ein Bild davon zu machen, ob die Voraussetzungen des § 24 Abs. 1 WO 2001 erfüllt sind. Er kann nicht einmal erkennen, ob sich der Wähler wenigstens über das Regel- / Ausnahmeverhältnis zwischen persönlicher und schriftlicher Stimme bewusst ist. Ihrer eingangs beschriebenen einschränkenden Funktion könnte die Regelung so nicht gerecht werden.

Das führt zu der Erkenntnis, dass der Wahlvorstand auch dann, wenn er aus Gründen der praktikablen Abwicklung des Wahlverfahrens von einer näheren Erforschung der vorgebrachten Gründe absieht, doch nicht davon befreit ist, das Verlangen zumindest im Rahmen einer kursorischen Minimalprüfung anhand der ihm ohnehin bekannten betrieblichen Umstände auf seine Plausibilität hin zu überprüfen. Andernfalls würde das Begründungserfordernis zu einer irrelevanten Förmelei degradiert werden und die einengenden Vorgaben des § 24 WO 2001 ins Leere laufen.

(b) Lässt sich demnach in Ansehung des Regelungszwecks von § 24 WO 2001 die Pflicht zu einer zumindest kursorischen Minimalprüfung des Briefwahlverlangens nicht leugnen, so verbindet sich damit für das Beschwerdegericht die weitere Erkenntnis, dass diese Pflicht den Wahlvorstand als Gremium trifft.

Zuordnungsobjekt der Vorschriften des BetrVG und der Wahlordnung über die Vorbereitung und Durchführung der Wahl ist "der Wahlvorstand", nicht seine Mitglieder und auch nicht sein Vorsitzender. § 1 Abs. 3 Satz 1 WO 2001 stellt klar, dass der Wahlvorstand seine Entscheidungen als Kollegialentscheidungen trifft und das auch für ihn der in einer Sitzung gefällte Beschluss die allein mögliche Form der Willensbildung ist (Fitting pp., BetrVG, 25. Auflage, § 1 WO 2001, Rn. 5). Für eine Delegation von Aufgaben durch den Wahlvorstand als Gremium an seinen Vorsitzenden oder einzelne seiner Mitglieder oder gar Dritte (Wahlhelfer) bietet die Wahlordnung nur sehr eingeschränkte Handhabe. Das hat seinen guten Grund darin, dass dem Handeln und Entscheiden eines Gremiums im Hinblick auf Fragen der Objektivität und Neutralität regelmäßig weit größeres Vertrauen entgegen gebracht wird, als dem Agieren Einzelner. Deshalb können auch nur ganz bestimmte Tätigkeiten aufgrund ausdrücklicher Vorgaben der Wahlordnung auf einzelne Mitglieder des Wahlvorstandes übertragen werden (vgl. die Aufzählung bei Fitting pp., BetrVG, § 1 WO 2001, Rn 2). Die Prüfung von Briefwahlverlangen nach § 24 Abs. 1 WO 2001 und die Entscheidung hierüber zählen nicht zu diesen Aufgaben.

(c) Es bedarf hier keiner Entscheidung, ob deshalb eine Delegation der aus § 24 WO 2001 erwachsenden Aufgaben generell ausgeschlossen ist, also auch dann nicht zulässig wäre, wenn der Wahlvorstand als Gremium seinen Vorsitzenden oder einzelne seiner Mitglieder hiermit ggf. unter Benennung bestimmter Rahmenbedingungen konkret beauftragt. Dergleichen hat hier nicht stattgefunden. Weder in den gesichteten Wahlunterlagen noch im Vortrag des Betriebsrats findet sich irgendein Anhaltspunkt dafür, dass der Wahlvorstand konkrete Beschlüsse über die Delegation von Aufgaben in Zusammenhang mit § 24 WO 2001 gefasst hätte. Erst recht finden sich keine konkreten Rahmenvorgaben für den Umgang mit Briefwahlersuchen. Für die Entscheidung ist vielmehr davon auszugehen, dass - wenn überhaupt irgendjemand - allenfalls das Wahlvorstandsmitglied P. bzw. die anderen Personen, die mit Briefwahlunterlagen ausgestattet durch den Betrieb gegangen sind, "Spontanentscheidungen" über die jeweiligen Briefwahlverlangen getroffen haben. Das wird der Bedeutung des § 24 WO 2001 nicht gerecht und wiegt um so schwerer, als aufgrund der Zeugenaussagen auch noch davon ausgegangen werden muss, dass jedenfalls das Wahlvorstandsmitglied P. das Briefwahlverlangen der einzelnen Wähler durch entsprechende Nachfrage erst geweckt hat, ohne dass zugleich feststünde, dass er in diesen Fällen auch genauere Feststellungen darüber getroffen hätte, ob die hierfür geltenden Voraussetzungen erfüllt waren bzw. sich die jeweilige Wählerin oder Wähler über diese Voraussetzungen und die Alternative der persönlichen Stimmabgabe überhaupt im Klaren waren. Es kann und soll dem Wahlvorstand und seinen Mitgliedern nicht unterstellt werden, dass die Entscheidung, welche Wähler ggf. mit welcher Intensität auf die Möglichkeit der Briefwahl hingewiesen wurden, von der Prognose getragen war, welcher Liste die jeweilige Person ihre Stimme wohl geben würde. Der Wahlvorstand und der Betriebsrat werden sich jedoch der Erkenntnis nicht verschließen können, dass das Geschehen für die Besorgnis der Antragsteller, hier könnten sich genau solche Manipulationsgefahren verwirklicht haben, die § 24 WO 2001 einzudämmen bezweckt, nachvollziehbare Anknüpfungspunkte liefert.

Das sich danach ergebende Gesamtbild vom Umgang des Wahlvorstandes und seiner Mitglieder mit den Regelungen über die schriftliche Stimmabgabe liefert einen hinreichenden Grund für die Anfechtung der Wahl.

bb) § 19 Abs. 1 letzter Hs. BetrVG bestimmt, dass die Betriebsratswahl trotz Vorliegens eines Anfechtungsgrundes nicht angefochten werden kann, wenn durch den Verstoß das Wahlergebnis nicht geändert oder beeinflusst werden konnte. Dafür ist entscheidend, ob bei einer hypothetischen Betrachtungsweise eine Wahl ohne den Verstoß unter Berücksichtigung der konkreten Umstände zwingend zu demselben Ergebnis geführt hätte.

Kann diese Feststellung nicht getroffen werden, bleibt es bei der Unwirksamkeit der Wahl (vgl. BAG vom 21.01.2009 - 7 ABR 65/07, dokumentiert bei juris).

So verhält es sich hier. Es kann nicht ausgeschlossen werden, dass sich eine ganze Reihe von Briefwählern anders entschieden hätten, wenn sie ihre Stimme - z. B. nach Wahlvorstellung weiterer Kandidaten - zu einem späteren Zeitpunkt abgegeben hätten, als dies infolge der schon Wochen vor dem eigentlichen Wahltermin abgegebenen Briefwahl geschehen ist (ebenso: BAG vom 27.01.1993 - 7 ABR 37/92, dokumentiert bei juris, Rn. 55). Angesichts der Masse der Briefwähler kann auch kein Zweifel bestehen, dass bei persönlicher Stimmabgabe u. U. ein anderes Wahlergebnis hätte erzielt werden können.

III.

Die Rechtsbeschwerde war gemäß §§ 92 Abs. 1 Satz 2 , 72 Abs. 2 Nr. 1 ArbGG wegen grundsätzlicher Bedeutung der an das Verfahren der schriftlichen Stimmabgabe zu stellenden Anforderungen zuzulassen.

IV.

R E C H T S M I T T E L B E L E H R U N G :

Gegen diese Entscheidung ist das Rechtsmittel der Rechtsbeschwerde gegeben.

Die Rechtsbeschwerde muss

innerhalb einer Notfrist* von einem Monat

nach der Zustellung des in vollständiger Form abgefassten Beschlusses schriftlich beim

Bundesarbeitsgericht

Hugo-Preuß-Platz 1

99084 Erfurt

Fax: 0361-2636 2000

eingelegt werden.

Die Notfrist beginnt mit der Zustellung des in vollständiger Form abgefassten Beschlusses, spätestens mit Ablauf von fünf Monaten nach der Verkündung.

Die Rechtsbeschwerdeschrift muss von einem Bevollmächtigten unterzeichnet sein. Als Bevollmächtigte sind nur zugelassen:

1. Rechtsanwälte,

2. Gewerkschaften und Vereinigungen von Arbeitgebern sowie Zusammenschlüsse solcher Verbände für ihre Mitglieder oder für andere Verbände oder Zusammenschlüsse mit vergleichbarer Ausrichtung und deren Mitglieder,

3. Juristische Personen, deren Anteile sämtlich im wirtschaftlichen Eigentum einer der in Nummer 2 bezeichneten Organisationen stehen, wenn die juristische Person ausschließlich die Rechtsberatung und dieser Organisation und ihrer Mitglieder oder eines anderen Verbandes oder Zusammenschlusses mit vergleichbarer Ausrichtung und deren Mitglieder entsprechend deren Satzung durchführt und wenn die Organisation für die Tätigkeit der Bevollmächtigten haftet.

In den Fällen der Ziffern 2 und 3 müssen die Personen, die die Rechtsbeschwerdeschrift unterzeichnen, die Befähigung zum Richteramt haben.

Eine Partei, die als Bevollmächtigter zugelassen ist, kann sich selbst vertreten.

* eine Notfrist ist unabänderlich und kann nicht verlängert werden.

MailänderFaberSchulz-Kleyenstüber

10 TaBV 79/10

2 BV 127/09

Arbeitsgericht Duisburg

LANDESARBEITSGERICHT DÜSSELDORF

BESCHLUSS

In dem Beschlussverfahren

unter Beteiligung

1. des Herrn N. X., T. str. 14, E.,

2. des Herrn B. P., G. Str. 32, F.,

3. des Herrn E. T., I. str. 32, E.,

4. des Herrn L. de T., H. acker 114, E.,

- Antragsteller und Beschwerdeführer -

Verfahrensbevollmächtigte: Rechtsanwälte C. & N.,

N. Str. 206, E.,

5. des Betriebsrat des Klinikums E., Betriebsratsvorsitzender I. C., Zu den S. 9 - 11, E.,

Verfahrensbevollmächtigter: Rechtsanwalt S. P.,

Vom-S.-Str. 10, E.,

6. der Klinikum E. GmbH, vertreten durch den Geschäftsführer Dr. N. X., Zu den S. 9 - 11, E.,

hat die 10. Kammer des Landesarbeitsgerichts Düsseldorf

ohne mündliche Verhandlung am 15.06.2011

durch den Vorsitzenden Richter am Landesarbeitsgericht Mailänder

als Vorsitzenden

b e s c h l o s s e n:

Der Tenor des Beschlusses des Landesarbeitsgerichts Düsseldorf vom 08.04.2011 wird berichtet. Es muss heißen:

Die im Betrieb der Beteiligten zu 6. in der Zeit vom 15. bis 17.12.2009 durchgeführte Betriebsratswahl wird für unwirksam erklärt.