Betriebsverfassungsrecht: Anfechtung einer Betriebsratswahl

BAG 1 ABR 23/54 vom 3. Dez. 1954

Leitsatz

1. Die Anfechtung der Wahl von Vertretern der Arbeitnehmer in den Aufsichtsrat ist zulässig, obwohl die in § 82 Abs. 1 Buchstabe s, § 87 Buchstabe g BetrVG und § 2 Abs. 1 Ziffer 4 Buchstabe s ArbGG vorbehaltene Rechtsverordnung bisher nicht erlassen ist. Der Rechtsweg vor den Gerichten in Arbeitssachen ist gegeben.

2. Auf die Anfechtung der Wahl von Vertretern der Arbeitnehmer in den Aufsichtsrat ist § 18 BetrVG in vollem Umfang entsprechend anzuwenden.

3. Daher hat auch jede im Betrieb vertretene Gewerkschaft das Anfechtungsrecht.

4. An den Grundsätzen des Beschlusses des Senats vom 10. November 1954 (1 ABR 24/54) über die Aufsichtsratswahl in Konzernunternehmen wird festgehalten.

Gründe

Die Rechtsbeschwerde ist zulässig und der Antrag mit der aus der Entscheidungsformel sich ergebenden Änderung begründet.

Schon in seinen zur Veröffentlichung in der amtlichen Sammlung bestimmten Beschlüssen vom 20. Oktober 1954 - 1 ABR 17/54, AP Nr. 1 zu § 76 BetrVG und vom 10. November 1954 - 1 ABR 24/54, AP Nr. 2 zu § 76 BetrVG ist der Senat der Auffassung des Berufungsgerichts entgegengetreten, dass die Anfechtung einer Wahl von Vertretern der Arbeitnehmer in den Aufsichtsrat unzulässig sei, solange die vorbehaltene Rechtsverordnung fehle. Die Gründe des Vorderrichters für seine gegenteilige Auffassung überzeugen nicht. Seine Hinweise auf Art. 4 Abs. 3 Satz 2 und Art. 21 GG lassen nicht ersehen, inwieweit sich aus diesen Vorschriften die Unzulässigkeit des Rechtsweges ergeben sollte. Weiter ist keineswegs ausgemacht, dass die genannten Verfassungsbestimmungen nicht doch auch ohne "das Nähere regelnde Bundesgesetz" erhebliche rechtliche Bedeutung haben; vor allem aber fehlt dort die sich hier schon prima facie anbietende Analogie, nämlich zur Anfechtung der Betriebsratswahl und das dringende praktische Bedürfnis einer Regelung. Auch die Wahl zum Betriebsrat und in den Aufsichtsrat war schon vor der WahlO vom 18. März 1953 möglich. Die übrigen vom Berufungsgericht angeführten Beispiele betreffen Vorabentscheidungen von Verwaltungsbehörden, die mit der hier zu entscheidenden Frage nichts zu tun haben.

Wenn hiernach die Anfechtung der Wahl von Arbeitnehmervertretern zum Aufsichtsrat auch ohne die vorgesehene Rechtsverordnung zulässig ist, so fehlt es allerdings bis zum Erlass der vorbehaltenen Rechtsverordnung an einer ausdrücklichen näheren Regelung der Anfechtungsfrist und des Antragsrechtes usw. Diese Lücke ist einstweilen durch eine entsprechende Anwendung des § 18 BetrVG zu schließen. In der Entscheidung AP Nr. 1 zu § 76 BetrVG hat es der Senat noch hingestellt sein lassen, ob in entsprechender Anwendung des § 18 BetrVG auch die Frist von 2 Wochen für die Anfechtung der Wahl von Arbeitnehmern in den Aufsichtsrat gilt. Der Senat nimmt nunmehr an, dass im Interesse der Rechtssicherheit und des praktischen Bedürfnisses eine eindeutige klare Regelung da sein muss. Daher muss die analoge Anwendung des § 18 BetrVG eine vollständige sein. Unter diesem Gesichtspunkt ist entgegen der bisher überwiegend vertretenen Meinung (vgl. Galperin, BetrVG, § 76 Rdn. 60; Dietz, BetrVG, § 76 Rdn. 49; Fitting/Kraegeloh, BetrVG, § 31 WahlO, Vorbem. 9, LAG Düsseldorf, AP 54 Nr. 114 auch das Antragsrecht jeder im Betrieb vertretenen Gewerkschaft anzuerkennen, wie es nach § 18 a.a.O. für die Anfechtung von Betriebsratswahlen besteht. Aus der Natur der Wahlen zum Aufsichtsrat und aus der fehlenden Einschaltung der Gewerkschaften in die Aufsichtsratswahlen selbst lässt sich nichts Gegenteiliges herleiten. Ebenso wie die sonstigen Antragsberechtigten haben auch die Gewerkschaften ein Interesse an der richtigen gesetzmäßigen Besetzung des Aufsichtsrats. Es darf nicht verkannt werden, dass das Beschlussverfahren nicht die Geltendmachung eines bürgerlich-rechtlichen Anspruchs zum Gegenstand hat, sondern im wesentlichen die betriebsverfassungsrechtliche Ordnung im weitesten Sinne im Streitfall durch gerichtliche Entscheidungen sicherstellen soll. Daran mitzuwirken, liegt durchaus im Aufgabenbereich der Gewerkschaften.

Dass ein Gewerkschaftssekretär die beiden Antragsstellenden Betriebsräte wirksam vertreten konnte, hat erkennende Senat in seinem Urteil vom 03. Dezember 1954 1 AZR 381/54 für § 11 Abs. 1 ArbGG bereits entschieden (zustimmend Dietz/Nikisch, ArbGG, § 11 Rdn. 67). Nach § 87 Abs. 2 ArbGG findet § 11 Abs. 1 ArbGG im Beschlussverfahren entsprechende Anwendung.

In der Sache selbst ist zweifelsfrei, dass die Metallgesellschaft AG herrschendes und die B.-Metallhütten GmbH, die Karl S. GmbH sowie die Vereinigte Deutsche Metallwaren AG beherrschte Unternehmen im Sinne des § 76 Abs. 4 BetrVG sind. Dazu hat der erkennende Senat in seinem Beschluss vom 10. November 1954 (1 ABR 24/54) in AP Nr. 2 zu § 76 BetrVG bereits entschieden, dass der erste Platz der Vertreter der Arbeitnehmer im Aufsichtsrat des herrschenden Unternehmens einem Arbeitnehmer eines Betriebes des herrschenden und der zweite Platz einem Arbeitnehmer eines Betriebes der beherrschten Unternehmen gebührt: und dass von diesen beiden einer ein Angestellter sein muss. Hiernach ist Zunächst festzustellen, welcher Arbeitnehmer eines Betriebes des herrschenden Unternehmens die meisten Stimmen hat. Ist dies ein Arbeiter, so ist weiter festzustellen& welcher Angestellte eines der Betriebe der beherrschten Unternehmen die größte Stimmenzahl auf sich vereinigt und umgekehrt. Wird so verfahren, so können auch die von der Antragsgegnerin geäußerten Bedenken, dass hier zwei Erfordernisse - einmal Berücksichtigung je eines Arbeitnehmers der Betriebe des herrschenden und der beherrschten Unternehmen und zum anderen Berücksichtigung eines Arbeiters und eines Angestellten - in Kollision geraten könnten, nicht auftreten. Den vom Senat entwickelten Gesichtspunkten ist durch die Gestaltung der Wahlvorschläge Rechnung zu tragen.

Hiernach ergibt sich, dass auf den ersten Platz der Arbeitnehmervertreter im Aufsichtsrat der Arbeiter G. berufen ist, weil er dem Betrieb des herrschenden Unternehmens, der Metallgesellschaft AG angehört und von diesen die höchste Stimmenzahl erzielt hat. Der zweite Platz gebührt nunmehr einem Angestellten eines der beherrschten Unternehmen, und zwar demjenigen, der als solcher die höchste Stimmenzahl hat. Das ist der Angestellte M. von der Vereinigten Deutschen Metallwarengesellschaft AG. Als dritter folgt der Arbeiter W., der nach N. die höchste Stimmenzahl erzielt hat, und als vierter der Arbeiter C., der ihm in der Stimmenzahl folgt. Demgemäß war festzustellen, dass diese Arbeitnehmer in der angegebenen Reihenfolge in den Aufsichtsrat gewählt sind.