Anfechtung einer Betriebsratswahl in einem Betriebsteil

BAG 7 ABR 26/03 vom 14. Jan. 2004

1. Betriebsteile sind i.S.d. § 4 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BetrVG vom Hauptbetrieb räumlich weit entfernt, wenn wegen der Entfernung eine ordnungsgemäße Betreuung der Belegschaft des Betriebsteils durch einen im Hauptbetrieb ansässigen Betriebsrat nicht mehr gewährleistet ist. Eine Bestimmung allein nach Entfernungskilometern kommt nicht in Betracht. Entscheidend ist die wechselseitige Erreichbarkeit von Arbeitnehmern und Betriebsrat und damit eine Gesamtwürdigung aller Umstände.

2. Betriebsteile, die ca. 24 km vom Hauptbetrieb entfernt liegen und mit diesem durch öffentliche Verkehrsmittel schlecht verbunden sind (Fahrtzeit über eine Stunde), sind gleichwohl nicht räumlich weit entfernt, wenn die Fahrtdauer mit PKW ca. 20 Minuten dauert und aufgrund der Beschäftigtenstruktur im Betriebsteil keine Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass Teile der Arbeitnehmer auf öffentliche Verkehrsmittel angewiesen sind.

3. Ein Betriebsteil besitzt nur dann eine eigenständige Organisation i.S.d. § 4 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 BetrVG, wenn dessen Leitung aufgrund ihrer Funktion und Kompetenz Ansprech- und Verhandlungspartner eines Betriebsrats in Angelegenheiten der personellen und sozialen Mitbestimmung sein kann.

Die Beteiligten stritten über die Wirksamkeit einer in der Betriebsstätte H der antragstellenden Arbeitgeberin durchgeführten Betriebsratswahl. Die Antragstellerin betreibt ein Unternehmen der Schwerkraftlogistik mit Sitz in B und unterhält Betriebsstättenin H und D. Im Hauptbetrieb in B und in D sind keine Betriebsräte (mehr) gewählt. Zwar war in der Vergangenheit beschränkt auf den Hauptbetrieb B ein Betriebsrat gewählt worden. Nach Ablauf der letzten Amtszeit wurde jedoch kein neuer Betriebsrat gewählt. Dies hatte seinen Grund darin, dass eine Abstimmung unter den in B Beschäftigten ergeben hatte, dass die Mehrheit kein Interesse an der Wahl eines Betriebsrats hatte. Die Entfernung zwischen dem Hauptbetrieb und der Betriebsstätte in H beträgt ca. 24 km. Mit dem Pkw kann diese Entfernung in ungefähr 15 bis 20 Minuten zurückgelegt werden. Mit dem öffentlichen Personennahverkehr dagegen benötigt man für eine Fahrt etwa 71 bis 84 Minuten. Obwohl jeder Betriebsstätte ein Niederlassungsleiter vorsteht, werden fast sämtliche personellen oder mitbestimmungspflichtigen sozialen Angelegenheiten in dem Hauptbetrieb in B geregelt, wo auch die für alle Betriebsstätten zuständige Personalabteilung ansässig ist.

Das BAG stellt klar, dass Betriebsteile i.S.d. § 4 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BetrVG vom Hauptbetrieb dann räumlich weit entfernt sind, wenn wegen dieser Entfernung eine ordnungsgemäße Betreuung der Belegschaft des Betriebsteils durch einen beim Hauptbetrieb ansässigen Betriebsrat nicht mehr gewährleistet ist. Da die Belegschaft in H größtenteils aus Kranführern und Berufskraftfahrern besteht, konnte davon ausgegangen werden, dass den Arbeitnehmern ein eigener Pkw zur Verfügung stehe. Darüber hinaus bestand täglich zumindest für eine einfache Fahrt zum Hauptbetrieb eine Mitfahrgelegenheit, da ein Mitarbeiter in H wohnte, in B arbeitete und einmal täglich den Betriebsteil in H aufsuchte. Das BAG bestätigte damit die Auffassung des LArbG, dass im vorliegenden Fall nicht auf die wechselseitige Erreichbarkeit mittels ÖPNV, sondern mittels Pkw abzustellen sei.

Schließlich berücksichtigt das BAG zusätzlich die immer weiter fortschreitenden technischen Kommunikationsmöglichkeiten, die sich gerade für die erste Kontaktaufnahme und die Absprache von Terminen mit dem Betriebsrat anböten, auch wenn diese nicht den persönlichen Kontakt zwischen Betriebsrat und Mitarbeiter ersetzen könnten.

Bei der Beantwortung der Frage, ob die Niederlassung in H durch Aufgabenbereich und Organisation eigenständig“ ist, ließ das BAG – wie auch das LArbG – dahinstehen, ob sie über einen eigenen Aufgabenbereich verfügt. Jedenfalls habe sie keine eigenständige Organisation. Diese setze voraus, dass die Vertreter des Arbeitgebers in dem Betriebsteil in der Lage sind, die Arbeitgeberfunktion in den wesentlichen Bereichen der betrieblichen Mitbestimmung wahrzunehmen. In der überwiegenden Mehrzahl aller personellen und sozialen Angelegenheiten sei aber nicht der Niederlassungsleiter, sondern die in B ansässige Geschäftsleitung oder die dieser nachgeordnete Personalabteilung entscheidungsbefugt und somit auch der maßgebliche Ansprechpartner für einen Betriebsrat.