Nichtigkeit einer Betriebsratswahl; Anwendbarkeit des BetrVG in einem Jugenddorf

BAG 7 ABR 60/95 vom 30. Apr. 1997

Leitsatz

Ein von einem rechtlich selbständigen Mitglied des Diakonischen Werks der Evangelischen Kirche von Westfalen geführtes Jugenddorf ist aufgrund der Mitgliedschaft des Trägervereins im Diakonischen Werk eine Einrichtung der Evangelischen Kirche, in der das Betriebsverfassungsgesetz keine Anwendung findet.

Gründe

A. Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob das vom Antragsteller geführte Jugenddorf B eine vom Geltungsbereich des Betriebsverfassungsgesetzes ausgenommene erzieherische Einrichtung der Evangelischen Kirche ist.

Der Antragsteller ist ein gemeinnütziger Verein. Er betreibt im gesamten Bundesgebiet Jugenddörfer, sozialpädagogische Institute und Schulen, die der Erziehung, Ausbildung und Fortbildung junger Menschen ohne Rücksicht auf deren Konfession und soziale Herkunft nach christlichen und neuzeitlich pädagogischen Grundsätzen dienen. Für seine in Westfalen gelegenen Einrichtungen ist der Antragsteller seit 1964 Mitglied des Diakonischen Werks der Evangelischen Kirche von Westfalen, das dem Diakonischen Werk der Evangelischen Kirche Deutschlands angehört. Er unterhält u.a. in S ein Jugenddorf, in dem ca. 120 vom Arbeitsamt zugewiesene Jugendliche nach Beendigung der allgemeinen Schulpflicht unter sozialpädagogischer und psychologischer Begleitung internatsmäßig weitergeschult und ausgebildet werden. Dort beschäftigt der Antragsteller etwa 60 Arbeitnehmer, die am 3. Dezember 1993 einen Betriebsrat gewählt haben.

Der Antragsteller ist der Ansicht gewesen, aufgrund seiner Mitgliedschaft zum Diakonischen Werk der Evangelischen Kirche von Westfalen sei auch das Jugenddorf B eine erzieherische Einrichtung einer Religionsgemeinschaft und daher vom Anwendungsbereich des Betriebsverfassungsgesetzes ausgenommen.

Er hat beantragt

festzustellen, dass die am 3. Dezember 1993 im Jugenddorf B durchgeführte Betriebsratswahl nichtig ist.

Der Betriebsrat hat beantragt,

den Antrag zurückzuweisen.

Er hat vorgetragen, das Jugenddorf B sei keine Einrichtung einer Religionsgemeinschaft. Die Evangelische Kirche übe keinen rechtlichen, tatsächlichen oder personellen Einfluss auf den Antragsteller aus. Der Antragsteller wende weder die Arbeitsvertragsrichtlinien des Diakonischen Werkes der Evangelischen Kirche Deutschlands an noch habe er sich der kirchlichen Zusatzversorgungskasse angeschlossen. Frühere Beschäftigungszeiten der Arbeitnehmer bei Kirchen und Religionsgemeinschaften erkenne er nicht als gleichwertige Dienst- und Beschäftigungszeiten an. Bei der Einstellung von Beschäftigten bliebe deren Konfessionszugehörigkeit ungeprüft. Verstöße gegen die kirchliche Lebensordnung würden nicht sanktioniert. In einer Zeitungsanzeige habe der Antragsteller mit seiner kirchlichen Unabhängigkeit geworben.

Das Arbeitsgericht hat den Wahlanfechtungsantrag abgewiesen. Auf die Beschwerde des Arbeitgebers hat das Landesarbeitsgericht die Nichtigkeit der Betriebsratswahl festgestellt. Dagegen wendet sich der Betriebsrat mit seiner Rechtsbeschwerde, deren Zurückweisung der Antragsteller verlangt.

B. Die Rechtsbeschwerde des Betriebsrats ist unbegründet. Die Betriebsratswahl vom 3. Dezember 1993 ist nichtig. Der Antragsteller ist für seine in Westfalen gelegenen Einrichtungen Mitglied des Diakonischen Werks der Evangelischen Kirche von Westfalen und damit Teil der Evangelischen Kirche Deutschlands. Das von ihm betriebene Jugenddorf B ist eine nach § 118 Abs. 2 BetrVG vom Anwendungsbereich des Betriebsverfassungsgesetzes ausgenommene erzieherische Einrichtung einer Religionsgemeinschaft.

1. Nach § 118 Abs. 2 BetrVG findet das Betriebsverfassungsgesetz keine Anwendung auf Religionsgemeinschaften und deren karitativen und erzieherischen Einrichtungen. Das beruht auf dem den Religionsgemeinschaften durch Art. 140 GG i.V.m. § 137 Abs. 3 WRV gewährleisteten Recht, ihre Angelegenheiten innerhalb der Schranken der für alle geltenden Gesetze zu ordnen und zu verwalten (BVerfGE 46, 73, 95 = AP Nr. 1 zu § 140 GG, zu B II 4 der Gründe). Das verfassungsrechtlich garantierte Selbstbestimmungsrecht steht den Kirchen nicht nur hinsichtlich ihrer körperschaftlichen Organisation oder ihrer Ämter zu. Es erstreckt sich auch auf rechtlich selbständige Vereinigungen und deren Einrichtungen, die sich nur die partielle Pflege des religiösen oder weltanschaulichen Lebens ihrer Mitglieder zum Ziel gesetzt haben, soweit sie nach kirchlichem Selbstverständnis entsprechend ihrem Zweck oder ihrer Aufgabenstellung dazu berufen sind, den weltbezogenen Auftrag der Kirchen wahrzunehmen und zu erfüllen (BVerfGE 46, 73, 85; BVerfGE 53, 366, 391).

2. Für die Zuordnung einer rechtlich selbständigen Einrichtung zur Kirche ist nicht ausreichend, dass die Einrichtung ihrem Zweck nach auf die Verwirklichung eines kirchlichen Auftrags gerichtet ist. Hinzukommen muss ein Mindestmaß an Einflussmöglichkeiten der Kirche, um auf Dauer eine Übereinstimmung der religiösen Betätigung der Einrichtung mit kirchlichen Vorstellungen gewährleisten zu können. Der ordnende Einfluss der Kirche bedarf keiner satzungsmäßigen Absicherung. Die Kirche muss jedoch in der Lage sein, einen etwaigen Dissens in religiösen Angelegenheiten zwischen ihr und der Einrichtung unterbinden zu können (BAG Beschluss vom 14. April 1988 - 6 ABR 36/86 - BAGE 58, 92, 102 = AP Nr. 36 zu § 118 BetrVG 1972, zu II 2 b dd der Gründe; Beschluss vom 24. Juli 1991 - 7 ABR 34/90 - BAGE 68, 170, 176 = AP Nr. 48 zu § 118 BetrVG 1972, zu B II 3 b der Gründe).

3. Gemessen daran ist die vom Antragsteller geführte Einrichtung B Teil der Evangelischen Kirche, für die das Betriebsverfassungsgesetz keine Anwendung findet.

a) Der Antragsteller ist nach seiner Satzungspräambel ein sozialpädagogisches Bildungs- und Ausbildungswerk, das seine Grundlage im christlichen Glauben hat. Er betreibt die Erziehung, Ausbildung und Fortbildung junger Menschen oder Erwachsener nach christlichen Grundsätzen. Sein Jugenddorf B ist eine erzieherische Einrichtung. Im Vordergrund der dortigen Aufgabenstellung steht die Erziehung und Ausbildung junger Menschen.

b) Der Antragsteller und seine Einrichtung B sind ihrem Zweck nach auf die Verwirklichung eines christlichen Auftrags gerichtet. Nach dem Selbstverständnis der Evangelischen wie der Katholischen Kirche ist Erziehung religiöse Betätigung (BAG Beschluss vom 14. April 1988, a.a.O., zu B II 1 c aa der Gründe, m.w.N.). Denn Religionsausübung beschränkt sich nicht nur auf den Bereich des Glaubens und des Gottesdienstes, sondern auch auf die Entfaltung zur Freiheit und Wirksamkeit in dieser Welt. Dazu gehört auch die Bildung junger Menschen.

c) Durch die Mitgliedschaft des Antragstellers und seiner Einrichtung im Diakonischen Werk der Evangelischen Kirche von Westfalen wird ein Mindestmaß an Einflussmöglichkeiten der Amtskirche gewährleistet, das den Ausschluss des staatlichen Mitbestimmungsrechts rechtfertigt.

aa) Die Evangelische Kirche von Westfalen, eine Gliedkirche der Evangelischen Kirche Deutschlands, nimmt nach ihrem Selbstverständnis ihre missionarisch-diakonischen Aufgaben durch das Diakonische Werk wahr. Das Diakonische Werk wird als eingetragener Verein geführt. Es ist nach Zweck und Aufgabenstellung sowie aufgrund der rechtlichen und faktischen Einflussmöglichkeiten der Gliedkirche eine kirchliche Einrichtung. Nach der Satzung des Diakonischen Werkes der Evangelischen Kirche von Westfalen ist die Diakonie Teil des religiösen Auftrags der Kirche. Sie nimmt sich im Besonderen der Menschen in leiblicher Not, seelischer Bedrängnis und sozial ungerechten Verhältnissen an und versucht die Ursache dieser Nöte zu beheben. Das Diakoniegesetz der Evangelischen Kirche von Westfalen vom 3. November 1976 sowie die Satzung ihres Diakonischen Werkes sichern der Amtskirche ein ausreichendes Maß an inhaltlicher und personeller Einflussnahme. Erlass, Änderung und Aufhebung sowie die Auflösung des Diakonischen Werkes bedürfen der Zustimmung der Kirchenleitung. Der Vorsitzende des Vorstandes des Diakonischen Werkes, sein Stellvertreter sowie der Geschäftsführer des Diakonischen Werkes können nur im Einvernehmen mit der Kirchenleitung gewählt bzw. berufen werden. Darüber hinaus gewährleistet die durch das Diakoniegesetz vorgegebene Zusammensetzung der Vertreterversammlung und die des Vorstands einen bestimmenden Einfluss der Amtskirche.

bb) Der maßgebliche Einfluss der Evangelischen Kirche von Westfalen besteht auch gegenüber den Mitgliedern des Diakonischen Werkes. Das ergibt sich aus der Satzung des Diakonischen Werkes der Evangelischen Kirche von Westfalen vom 18. Juni 1977 in der Fassung vom 25. Oktober 1993. Nach § 4 Abs. 2 Nr. 1 der Satzung sind die Mitglieder des Diakonischen Werks verpflichtet, durch ihre Satzung oder Ordnung ihre Bindung an den diakonisch-missionarischen Auftrag der Kirche festzulegen und in ihrer Geschäftsführung die Erfüllung dieser Aufgaben anzustreben. Sie sind ferner verpflichtet, das Bewusstsein der diakonisch-missionarischen Verpflichtung in der Kirche zu stärken und nach Kräften die Sammlung des Diakonischen Werks durchzuführen sowie den jährlichen "Tag der Diakonie" und andere gemeinsame Veranstaltungen mit zu tragen. Darüber hinaus haben sie dafür zu sorgen, dass der christliche Charakter ihrer Einrichtungen gewahrt bleibt, und sicherzustellen, dass ihren Vorständen und sonstigen Leitungsorganen nur Personen angehören, die Mitglieder der Evangelischen Kirche oder einer anderen in der Arbeitsgemeinschaft Christlicher Kirchen in Deutschland e.V. zusammengeschlossenen Kirchen sind. Sie sind nach § 4 Abs. 2 Nr. 2 der Satzung dazu angehalten, ihre eigene Satzung oder Ordnung dem Diakonischen Werk einzureichen und jede beabsichtigte Satzungsänderung rechtzeitig anzuzeigen. Die Mitglieder des Diakonischen Werks haben nach § 4 Abs. 2 Nr. 5 der Satzung die Rahmenbestimmungen für die Diakonische Arbeit zu erfüllen und den vom Diakonischen Werk der Evangelischen Kirche Deutschlands und vom Diakonischen Werk der Evangelischen Kirche von Westfalen festgelegten Grundsätzen für die Planung und Koordinierung der diakonischen Arbeit Rechnung zu tragen. § 4 Abs. 2 Nr. 6 der Satzung verpflichtet die Mitglieder, das Mitarbeitervertretungsrecht der Evangelischen Kirche von Westfalen oder die Mitarbeitervertretungsordnung des Diakonischen Werkes der Evangelischen Kirche Deutschlands anzuwenden. Abweichungen von den religiösen Vorstellungen muss die Evangelische Kirche nicht hinnehmen. Gegenüber Mitgliedern, die ihren der Kirche gegenüber eingegangenen Verpflichtungen nicht nachkommen, sind nach § 4 Abs. 3 der Satzung verschiedene Maßnahmen zulässig, die bis zum Ausschluss aus dem Diakonischen Werk reichen (§ 4 Abs. 3 Nr. 3).

cc) Entgegen der Ansicht der Rechtsbeschwerde ist das tatsächliche Maß der Einflussnahme oder Kontrolle durch die Amtskirche ohne Bedeutung für die Bewertung des Jugenddorfs als kirchliche Einrichtung. Es gehört zu den Wesensmerkmalen der verfassungsrechtlich gewährleisteten Kirchenautonomie, Anlass und Intensität ihrer Kontrolle und Einflussnahme auf ihre Einrichtungen in eigener Verantwortung zu bestimmen. Sie muss nur sicherstellen können, dass die religiöse Betätigung der Einrichtung in Übereinstimmung mit ihren eigenen religiösen Vorstellungen erfolgt. Für das Ausmaß der kirchlichen Einflussmöglichkeiten ist es unerheblich, ob der Antragsteller mit seinen Mitarbeitern die Geltung der Arbeitsvertragsrichtlinien des Diakonischen Werkes vereinbart oder sich der kirchlichen Zusatzversorgungskasse angeschlossen hat. Denn schon nach der Satzung des Diakonischen Werkes der Evangelischen Kirche von Westfalen sind diese Verpflichtungen nicht zwingend. Nichts anderes gilt, soweit der Antragsteller Beschäftigungszeiten seiner Arbeitnehmer bei Kirchen und Religionsgemeinschaften nicht als gleichwertige Dienst- und Beschäftigungszeiten anerkennt. Dazu sind die Mitglieder der Diakonie satzungsgemäß nicht verpflichtet. Für das Fehlen einer ausreichenden Verflechtung mit der Amtskirche ist die Werbepraxis des Antragstellers kein hinreichendes Indiz. In welchem Maß und in welcher Intensität der Antragsteller den evangelisch-christlichen Charakter des Jugenddorfs nach außen in Erscheinung treten lässt, unterliegt als Ausfluss des kirchlichen Selbstbestimmungsrechts seiner Entscheidung. Die kirchliche Prägung der Arbeit im Jugenddorf wird allein durch die fehlende Offenlegung der Kirchenzugehörigkeit nicht aufgehoben. Schließlich kommt es für die Beurteilung der kirchlichen Einflussmöglichkeiten nicht darauf an, ob der Antragsteller bei der Einstellung von Mitarbeitern deren Konfessionszugehörigkeit erfragt oder von Sanktionen bei Verstößen gegen die kirchliche Lebensordnung absieht. § 118 Abs. 2 BetrVG schützt seinem Zweck nach nicht das Bestehen einer christlich motivierten Dienstgemeinschaft. Die Vorschrift trägt ausschließlich dem verfassungsrechtlich garantierten Selbstordnungs- und Selbstverwaltungsrecht der Kirchen Rechnung, die in eigener Verantwortung darüber zu befinden haben, ob und inwieweit Verstöße gegen die kirchliche Lebensordnung hingenommen werden können.