Formelle Betriebsverfassung - Anfechtung einer Betriebsratswahl; Betriebszugehörigkeit von Fremdfahrern

BAG 7 ABR 38/03 vom 21. Juli 2004

Orientierungssätze

Die bei einem selbständigen Frachtführer beschäftigten Fahrer sind mangels arbeitsvertraglicher Beziehung keine Arbeitnehmer des Transportunternehmers, für das die Transportaufträge erledigt werden. Sie sind deshalb bei der für die Anzahl der Betriebsratsmitglieder maßgeblichen Belegschaftsstärke des Transportunternehmens nach § 9 BetrVG nicht zu berücksichtigen.

Gründe

A. Die Beteiligten streiten über die Wirksamkeit einer Betriebsratswahl vom 29./30. April 2002, aus der der zu 2) beteiligte Betriebsrat hervorging.

Die antragstellende Arbeitgeberin betreibt einen Schnelllieferdienst. In ihrem D Betrieb sind neben eigenen Arbeitnehmern Fahrer von selbständigen Frachtführern tätig, die Transportaufträge ausführen.

Der Wahlvorstand erließ am 18. Februar 2002 ein Wahlausschreiben und hängte es am Informationsbrett des Betriebsrates aus. Es heißt dort:

"Der Betriebsrat hat aus sieben Mitgliedern zu bestehen.

...

6. Im Betrieb sind 33 Frauen und 98 Männer als Arbeitnehmer/innen im Sinne von § 5 Abs. 1 BetrVG beschäftigt.

..."

Diese 131 Mitarbeiter waren in der Wählerliste eingetragen.

Am 4. März 2002 erließ der Wahlvorstand ein neues Wahlausschreiben und hängte es an Stelle des ersten Wahlausschreibens aus. Hierin heißt es u.a.:

"Der Betriebsrat hat aus neun Mitgliedern zu bestehen.

...

6. Im Betrieb sind 45 Frauen und 173 Männer als Arbeitnehmer/innen im Sinne von § 5 Abs. 1 BetrVG beschäftigt.

..."

Bei der Neuberechnung der Zahl der für die Größe des Betriebsrats maßgeblichen Arbeitnehmer rechnete der Wahlvorstand die bei den selbständigen Frachtführern angestellten Fahrer mit ein. Die bisherige Wählerliste wurde nicht geändert.

Am 29./30. April 2002 wurde ein aus neun Mitgliedern bestehender Betriebsrat gewählt. An der Wahl nahmen nur die Arbeitnehmer der Arbeitgeberin teil, nicht aber die bei den Frachtführern beschäftigten Fahrer. Das Wahlergebnis wurde am 30. April 2002 bekannt gegeben.

Die Arbeitgeberin hat mit dem vorliegenden, am 13. Mai 2002 beim Arbeitsgericht eingegangenen Antrag, die Unwirksamkeit der Betriebsratswahl geltend gemacht und die Auffassung vertreten, es hätten nur sieben Betriebsratsmitglieder gewählt werden dürfen. Der Wahlvorstand habe unberechtigt die Fahrer der Frachtführer bei der Bestimmung der Betriebsratsgröße nach § 9 BetrVG berücksichtigt. Zudem sei die Betriebsratswahl auch deswegen anfechtbar, weil das Wahlausschreiben stillschweigend ausgetauscht worden sei, ohne dass dies vom Niederlassungsleiter oder der Belegschaft hätte wahrgenommen werden können.

Die Arbeitgeberin hat beantragt,

die Betriebsratswahl in der Niederlassung der Arbeitgeberin D (Niederlassung D) für unwirksam zu erklären.

Der Betriebsrat hat beantragt, den Antrag zurückzuweisen.

Das Arbeitsgericht hat dem Antrag stattgegeben. Das Landesarbeitsgericht hat die Beschwerde des Betriebsrats zurückgewiesen. Mit der Rechtsbeschwerde begehrt der Betriebsrat weiterhin die Zurückweisung des Antrags. Die Arbeitgeberin beantragt die Zurückweisung der Rechtsbeschwerde.

B. Die Rechtsbeschwerde des Betriebsrats ist unbegründet. Das Landesarbeitsgericht hat dem Antrag zu Recht stattgegeben. Die im Betrieb D am 29. und 30. April 2002 durchgeführte Betriebsratswahl ist unwirksam, da gegen wesentliche Vorschriften über das Wahlverfahren verstoßen wurde. Die bei den Frachtführern beschäftigten Fahrer waren bei der für die Anzahl der im Betrieb der Arbeitgeberin zu wählenden Betriebsratsmitglieder maßgeblichen Belegschaftsstärke nach § 9 BetrVG nicht zu berücksichtigen. Deshalb hätte nur ein aus sieben Mitgliedern bestehender Betriebsrat gewählt werden dürfen.

I. Der zulässige Antrag der Arbeitgeberin ist begründet. Die Betriebsratswahl ist nach § 19 Abs. 1 BetrVG unwirksam. Danach kann die Betriebsratswahl angefochten werden, wenn gegen wesentliche Vorschriften über das Wahlrecht, die Wählbarkeit oder das Wahlverfahren verstoßen wurde und eine Berichtigung nicht erfolgt ist, es sei denn, dass durch den Verstoß das Wahlergebnis nicht verändert oder beeinflusst werden konnte. Diese Voraussetzungen liegen vor. Bei der Betriebsratswahl wurde gegen § 9 Satz 1 BetrVG als wesentliche Wahlvorschrift verstoßen. Der Verstoß war geeignet, das Wahlergebnis zu beeinflussen. Die Betriebsratswahl ist daher unwirksam.

1. Die formellen Voraussetzungen der Wahlanfechtung sind erfüllt. Die Arbeitgeberin war nach § 19 Abs. 2 Satz 1 BetrVG anfechtungsberechtigt. Sie hat die am 29./30. April 2002 durchgeführte Betriebsratswahl, deren Ergebnis am 30. April 2002 durch den Wahlvorstand bekannt gemacht wurde, am 13. Mai 2002 und damit innerhalb der Zwei-Wochen-Frist des § 19 Abs. 2 Satz 2 BetrVG angefochten.

2. Es durfte kein aus neun, sondern nur ein aus sieben Mitgliedern bestehender Betriebsrat gewählt werden. Der Betriebsrat besteht nach § 9 Satz 1 BetrVG in Betrieben mit in der Regel 101 bis 200 Arbeitnehmern aus sieben Mitgliedern, in Betrieben mit in der Regel 201 bis 400 Arbeitnehmern aus neun Mitgliedern. Die Arbeitgeberin beschäftigte zum Zeitpunkt des Erlasses des Wahlausschreibens 131 Arbeitnehmer und damit nicht mehr als 200 Arbeitnehmer i.S.v. § 9 Satz 1 BetrVG. Entgegen der Auffassung des Betriebsrats waren die bei den selbstständigen Frachtführern beschäftigten Fahrer nicht in die Berechnung nach § 9 Satz 1 BetrVG einzubeziehen.

a) Bei der für die Anzahl der zu wählenden Betriebsratsmitglieder maßgeblichen Belegschaftsstärke sind nur betriebsangehörige Arbeitnehmer zu berücksichtigen. Das sind Arbeitnehmer, die in einem Arbeitsverhältnis zum Betriebsinhaber stehen und in dessen Betriebsorganisation eingegliedert sind (BAG 16. April 2003 - 7 ABR 53/02 - AP BetrVG 1972 § 9 Nr. 7 = EzA BetrVG 2001 § 9 Nr. 1, zu II 2 a aa der Gründe; 10. März 2004 - 7 ABR 36/03 -, zu B 1 der Gründe). Diese Voraussetzungen erfüllen die im Zuge eines Dienst- oder Werkvertrags tätigen Arbeitnehmer eines dritten Unternehmers nicht. Diese haben keine arbeitsvertragliche Beziehung zur antragstellenden Arbeitgeberin. Dabei kann dahingestellt bleiben, ob die Erfüllungsgehilfen eines Dienst- oder Werkunternehmers überhaupt zur Arbeitsleitung überlassene Arbeitnehmer i.S.d. § 7 Satz 2 BetrVG sind. Denn auch in diesem Fall wären sie bei der für die Anzahl der zu wählenden Betriebsratsmitglieder maßgeblichen Belegschaftsstärke nach § 9 BetrVG nicht zu berücksichtigen. Es fehlt die arbeitsvertragliche Beziehung zum Inhaber des Betriebes. Soweit § 7 Satz 2 BetrVG für die Wahlberechtigung überlassener Arbeitnehmer auf die arbeitsvertragliche Bindung zum Betriebsinhaber verzichtet, gilt dies nicht für die Feststellung der wahlberechtigten Arbeitnehmer nach § 9 BetrVG.

Deshalb sind sie betriebsverfassungsrechtlich nicht betriebsangehörige Arbeitnehmer seines Betriebes (st. Rspr., BAG 10. März 2004 - 7 ABR 49/03 - DB 2004, 1836, zu B I 1 a bb der Gründe; 22. Oktober 2003 - 7 ABR 3/03 - AP BetrVG 1972 § 38 Nr. 28 = EzA BetrVG 2001 § 38 Nr. 2, zu B II 2 a bb (1) der Gründe; 16. April 2003 - 7 ABR 53/02 - AP BetrVG 1972 § 9 Nr. 7 = EzA BetrVG 2001 § 9 Nr. 1, zu II 2 a aa bb der Gründe).

b) Der Wahlvorstand hätte im Übrigen gegen eine wesentliche Vorschrift über das Wahlrecht verstoßen, wenn er die Fahrer der Frachtführer rechtmäßig als wahlberechtigte Arbeitnehmer i.S.v. § 7 Satz 2 BetrVG bei der Ermittlung der Größe des Betriebsrats nach § 9 BetrVG einbezogen hätte. Denn dann hätte er eine neue Wählerliste erstellen und den Fahrern Gelegenheit geben müssen, an der Wahl teilzunehmen. Er hat aber die Wählerliste nicht um diese Fahrer ergänzt und sie nicht an der Wahl beteiligt.

3. Der Verstoß gegen § 9 Satz 1 BetrVG war auch kausal für das Wahlergebnis, § 19 Abs. 1 letzter Halbsatz BetrVG. Wenn die Arbeitnehmer der beauftragten Unternehmen nicht bei der für die Größe des Betriebsrats maßgebenden Arbeitnehmerzahl mitgerechnet worden wäre, wäre nur ein siebenköpfiger Betriebsrat gewählt worden.

II. Das Landesarbeitsgericht hat es deshalb zu Recht dahinstehen lassen, ob die Betriebsratswahl wegen nicht ordnungsgemäßer Bekanntmachung des zweiten Wahlausschreibens unwirksam ist.