Betriebsratswahl: Abbruch - Voraussetzungen

LAG Bremen 1 TaBV 3/90 vom 27. Feb. 1990

Leitsatz

Zur Zulässigkeit einer einstweiligen Verfügung im Rahmen eines vorgeschalteten Kontrollverfahrens bei Betriebsratswahlen; insbesondere zur Zulässigkeit des Wahlabbruchs und der Neueinleitung der Wahl durch den Wahlvorstand.

Gründe

I.

Die Firma... betrieb in Bremen bisher die beiden Unternehmensbereiche Transport- und Verkehrsflugzeuge (UT) sowie Marine- und Sondertechnik (UM). Im Rahmen der rechtlichen Neuordnung der Unternehmensbereiche im Jahre 1989 im Hinblick auf die Beteiligung der Firma... wurde der bisherige Unternehmensbereich UT in die... eingebracht. Der Unternehmensbereich UM wird in die zu gründende Firma... eingebracht. Aus diesem Grunde finden für beide Unternehmensbereiche Betriebsratsneuwahlen statt.

Der Beteiligte zu 1) ist ein wahlberechtigter Angestellter und gleichzeitig Wahlbewerber. Der Beteiligte zu 2) ist der Wahlvorstand. Die Beteiligte zu 3) ist die Arbeitgeberin. Zwischen den Beteiligten sind Einzelheiten der Betriebsratsneuwahl für den Unternehmensbereich UM im Streit. Dort sind insgesamt ca. 960 Arbeitnehmer beschäftigt, so dass der zu wählende Betriebsrat aus 11 Mitgliedern bestehen wird. Der Streit der Beteiligten betrifft die Verteilung der Betriebsratssitze auf die Gruppe der Arbeiter bzw. Angestellten, insbesondere bezieht er sich darauf, ob der in § 10 Abs. 2 BetrVG vorgesehene Schwellenwert von 50 Gruppenangehörigen der Arbeiter überschritten ist und dementsprechend zwei Arbeiter und neun Angestellte zu wählen sind. Dieser Meinung ist der Wahlvorstand, während nach Meinung des Beteiligten zu 1) und der Arbeitgeberin höchstens 50 Arbeiter vorhanden und dementsprechend ein Arbeiter und zehn Angestellte zu wählen sind. In diesem Zusammenhang streiten die Beteiligten über die Richtigkeit der Wählerliste.

Zunächst war die Neuwahl für den 31.1./1.2.1990 vorgesehen und vom Wahlvorstand mit Wahlausschreiben vom 14.12.1989 eingeleitet worden. Das Arbeitsgericht Bremen hat jeweils auf Antrag des Beteiligten zu 1) mit Beschlüssen vom 16.1.1990 (Aktenzeichen des Arbeitsgerichts Bremen - 4 a BV Ga 3/90 -) und 25. Januar 1990 (Aktenzeichen des Arbeitsgerichts Bremen - 4 a BV Ga 4/90 -) einstweilige Verfügungen, die den vorstehenden Streit betrafen, erlassen. Der Beschluss des Arbeitsgerichts Bremen vom 25.1.1990 lautet wie folgt.

I.

Dem Wahlvorstand wird aufgegeben,

1.

unter Abänderung seines Beschlusses vom 18.1.1990 in der Wählerliste nachstehend benannte Mitarbeiter weiterhin als Angestellte aufzuführen:

Integrationstechniker...,

geb....,

Integrationstechniker...,

geb....,

Integrationstechniker...,

geb....,

Prüffeldmechaniker...,

geb....,

2.

die Gruppenverteilung im Wahlausschreiben gemäß der Wählerliste unter Berücksichtigung der Ziffer 1. und 3. sowie des Beschlusses des Arbeitsgerichts vom 16.1.1990 (4a BV Ga 3/90) dahingehend vorzunehmen, dass 10 Angestellte und ein Arbeiter zu wählen sind.

II.

Dem Wahlvorstand wird untersagt, die Wählerliste dahingehend zu ändern, dass folgende Mitarbeiter aus der Gruppe der Angestellten in die Gruppe der Arbeiter übernommen werden:

Integrationstechniker...,

geb....,

Sachbearbeiter....

Gegen diesen Beschluss und den weiteren Beschluss des Arbeitsgerichts Bremen vom 16.1.1990 hat der Wahlvorstand keine Rechtsmittel eingelegt.

Am 26.1.1990 brach der Wahlvorstand die Betriebsratswahl ab (vgl. dessen Bekanntmachung vom 26.1.1990, Bl. 28 d.A.). Am 30.1.1990 erließ er ein neues Wahlausschreiben, in welchem wiederum verfügt wurde, dass zwei Arbeiter und neun Angestellte zu wählen seien. Dieses Wahlausschreiben wurde am darauffolgenden Tage veröffentlicht. Der Wahlvorstand hatte wiederum die vier Arbeitnehmer, die nach Ziffer 1.1. des Tenors des Beschlusses des Arbeitsgerichts Bremen vom 25.1.1990 (Aktenzeichen des Arbeitsgerichts Bremen 4 a BV Ga 4/90) als Angestellte zu führen sind, als Arbeiter auf der Wählerliste ausgewiesen. Der Beteiligte zu 1) legte deswegen am 1.2.1990 Einspruch gegen die Wählerliste ein. Diesen Einspruch wies der Wahlvorstand mit Schreiben vom 7.2.1990 zurück. Ein Mitglied des Wahlvorstandes trat am 8.2.1990 von seinem Amt zurück.

Mit seinem am 13.2.1990 dem Wahlvorstand zugestellten Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung begehrte der Beteiligte zu 1), dem Wahlvorstand im Hinblick auf die neu eingeleitete Betriebsratswahl dasselbe aufzugeben, wie dies durch den Beschluss des Arbeitsgerichts Bremen vom 25.1.1990 (Aktenzeichen des Arbeitsgerichts Bremen 4 a BV Ga 4/90) geschehen ist.

Der Beteiligte zu 1) hat vorgetragen:

Die Arbeitnehmer... und... seien Angestellte. Deshalb sei das Vorgehen des Wahlvorstandes insgesamt rechtswidrig. Es laufe darauf hinaus, dass ein Wahlvorstand sich über Fristen, die für ein Wahlverfahren verbindlich seien, und über gerichtliche Entscheidungen, die zur Korrektur von Unrichtigkeiten des Wahlverfahrens ergangen seien, hinwegsetze. Bezüglich der Arbeitnehmer... und... sei ebenfalls zu befürchten, dass der Wahlvorstand sie kurz vor dem Wahlgang von der Angestellten in die Arbeiterwählerliste übernehmen würde, falls bezüglich der übrigen vier Arbeitnehmer eine gerichtliche Entscheidung zu seinen - des Beteiligten zu 1) - Gunsten ergehe.

Der Beteiligte zu 1) hat beantragt,

1.

Dem Wahlvorstand durch einstweilige Verfügung aufzugeben, auf der Wählerliste für die Durchführung der zweiten Betriebsratswahl (Wahlausschreiben vom 30.01.1990) folgende nachstehend benannte Mitarbeiter weiterhin als Angestellte aufzuführen:

Integrationstechniker...,

geb....

Integrationstechniker...,

geb....

Integrationstechniker

g e b....

Prüffeldmechaniker...,

geb....

2.

dem Wahlvorstand durch einstweilige Verfügung aufzugeben, die Gruppenverteilung im Wahlausschreiben gemäß der Wählerliste unter Berücksichtigung der in vorstehender Ziffer 1 und nachstehender Ziffer 3 genannten Arbeitnehmer sowie unter Berücksichtigung der Beschlüsse des Arbeitsgerichts Bremen vom 16.01.1990 und vom 25.01.1990 dahingehend vorzunehmen, dass 10 Angestellte und ein Arbeiter zu wählen sind;

3.

dem Wahlvorstand durch einstweilige Verfügung zu untersagen, die Wählerliste dahingehend zu ändern, dass folgende Mitarbeiter aus der Gruppe der Angestellten in die Gruppe der Arbeiter übernommen werden:

Integrationstechniker...,

geb....,

Sachbearbeiter...

Der Wahlvorstand hat beantragt, die Anträge zurückzuweisen.

Der Wahlvorstand hat vorgetragen:

In einer neuen Überprüfung der Arbeitsplätze habe er festgestellt, dass die Arbeitnehmer... und... Arbeiter seien. Er habe deshalb nach Erlass des gerichtlichen Beschlusses vom 25. Januar 1990 nur noch die Wahl abbrechen können, da bereits unter der Geltung des Wahlausschreibens vom 14. Dezember 1989 Briefwähler gewählt hätten und weitere etwa 40 Briefwahlunterlagen verschickt und noch nicht wieder zurückgesandt worden seien. Diese Wahlunterlagen seien ausgehend von der zu jenem Zeitpunkt ergangenen Gerichtsentscheidung, fehlerhaft gewesen.

Der die Arbeitnehmer... und... betreffende Antrag sei unbegründet. Mit dem Antrag solle ihm etwas verboten werden, was er niemals beabsichtigt habe.

Das Arbeitsgericht Bremen hat durch einen am 14. Februar 1990 verkündeten Beschluss die Anträge des Beteiligten zu 1) zurückgewiesen.

Zur Begründung hat es Folgendes ausgeführt:

Das Gericht habe im vorliegenden Verfahren nicht zu entscheiden gehabt, ob der Abbruch der Wahl am 26. Januar 1990 vor dem Hintergrund der zuvor ergangenen arbeitsgerichtlichen Entscheidungen rechtswirksam gewesen sei. Es habe wegen § 4 Abs. 3 der Wahlordnung 1972 nur überprüfen können, ob die durch den Wahlvorstand erneut verfügte Zuordnung der vier im Einzelnen genannten Arbeitnehmer zu der Gruppe der Arbeiter eine offensichtliche Unrichtigkeit darstelle. Da dies nicht der Fall sei, sei den Anträgen zu 1. und 2. des Beteiligten zu 1) nicht zu entsprechen. Hinsichtlich der im Antrag zu 3. genannten Arbeitnehmer habe kein Anlass bestanden, die begehrte einstweilige Verfügung zu erlassen, nachdem der Wahlvorstand anwaltlich habe erklären lassen, die von dem Beteiligten zu 1) befürchtete Handlungsweise niemals beabsichtigt zu haben.

Gegen diesen ihm am 15. Februar 1990 zugestellten Beschluss, hat der Beteiligte zu 1) am 16. Februar 1990 Beschwerde beim Landesarbeitsgericht eingelegt und diese sogleich begründet. In der Beschwerdeschrift hat er die Anträge um einen Hilfsantrag erweitert, wonach die vom Wahlvorstand eingeleitete "Neuwahl" des Betriebsrats abzubrechen und die bisherige Betriebsratswahl mit einem unter Beachtung des Beschlusses des Arbeitsgerichts Bremen vom 25. Januar 1990 geänderten Wahlausschreiben durchzuführen sei.

Das Landesarbeitsgericht hat die Arbeitgeberin beteiligt.

Der Beteiligte zu 1) und die Arbeitgeberin tragen vor:

Der Wahlvorstand sei nicht berechtigt gewesen, das eingeleitete Wahlverfahren abzubrechen und ein neues zu beginnen. Dies könne nur ein Gericht verfügen. Eine solche Verfahrensweise würde zudem dazu führen, dass die in § 4 der Wahlordnung 1972 festgelegte Einspruchsfrist gegenstandslos würde.

Der Beteiligte zu 1) beantragt,

unter Abänderung des angefochtenen Beschlusses

1.

dem Wahlvorstand durch einstweilige Verfügung aufzugeben, auf der Wählerliste für die Durchführung der zweiten Betriebsratswahl (Wahlausschreiben vom 30. Januar 1990) folgende nachstehend benannte Mitarbeiter weiterhin als Angestellte aufzuführen:

Integrationstechniker...,

geb....,

Integrationstechniker...,

geb....,

Integrationstechniker...,

geb....,

Prüffeldmechaniker...,

geb.....

2.

dem Wahlvorstand durch einstweilige Verfügung aufzugeben, die Gruppenverteilung im Wahlausschreiben gemäß der Wählerliste unter Berücksichtigung der in vorstehender 1 und nachstehender Ziffer 3 genannten Arbeitnehmer sowie unter Berücksichtigung der Beschlüsse des Arbeitsgerichts Bremen vom 16.1.1990 und vom 25.1.1990 dahingehend vorzunehmen, dass 10 Angestellte und ein Arbeiter zu wählen sind.

3.

Dem Wahlvorstand durch einstweilige Verfügung zu untersagen, die Wählerliste dahingehend zu ändern, dass folgende Mitarbeiter aus der Gruppe der Angestellten in die Gruppe der Arbeiter übernommen werden:

Integrationstechniker...,

geb....

Sachbearbeiter...

hilfsweise,

dem Wahlvorstand durch einstweilige Verfügung aufzugeben, die von ihm eingeleitete "Neuwahl" des Betriebsrats abzubrechen und die bisherige Betriebsratswahl mit einem unter Beachtung des Beschlusses des Arbeitsgerichts Bremen vom 25.1.1990 (4 a BV Ga 4/90) geänderten Wahlausschreiben durchzuführen.

Die Arbeitgeberin schließt sich in vollem Umfang diesen Anträgen des Beteiligten zu 1) an.

Der Wahlvorstand beantragt,

die Beschwerde vom 16.2.1990 gegen den Beschluss des Arbeitsgerichts Bremen vom 14.2.1990 in Form des Haupt- und Hilfsantrages zurückzuweisen.

Der Wahlvorstand trägt vor:

Er habe nach gewissenhafter Prüfung die vier streitigen Mitarbeiter in der Wählerliste als Arbeiter eingeordnet. Um eine Anfechtung der eingeleiteten Wahl zu vermeiden, habe er das Wahlverfahren abbrechen und ein neues einleiten müssen, weil er nur dann eine Neuzuordnung im Rahmen der Wählerliste habe vornehmen können.

Die Akten - 4 a BV 3/90 - und - 4 a BV Ga 4/90 - des Arbeitsgerichts haben dem Landesarbeitsgericht vorgelegen.

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Akteninhalt, insbesondere die gewechselten Schriftsätze der Beteiligten nebst Anlagen sowie auf die Sitzungsniederschriften und die angefochtene Entscheidung Bezug genommen.

II.

Die an sich statthafte, insgesamt zulässige Beschwerde ist im Rahmen der Hauptanträge unbegründet; jedoch ist der in der Beschwerdeinstanz gestellte Hilfsantrag begründet.

1.

Die Arbeitgeberin ist in diesem Verfahren Beteiligte und auch antragsbefugt.

Antragsbefugnis und Beteiligungsbefugnis sind nicht identisch. Nach Auffassung des Bundesarbeitsgerichts ist derjenige im Beschlussverfahren antragsbefugt, der Träger des streitbefangenen Rechtes ist (vgl. BAG, Beschluss vom 30. Oktober 1986 - 6 ABR 52/83 -). Danach ist bei Streitfragen betriebsverfassungsrechtlicher Art zu untersuchen, ob die den Streitgegenstand betreffende Norm des Betriebsverfassungsgesetzes dem Antragsteller eine eigene schutzwerte Rechtsposition zuordnet. Der Arbeitgeber ist gemäß § 19 Abs. 2 BetrVG anfechtungsbefugt. Deshalb ist er in einem vorgeschalteten Kontrollverfahren wie dem vorliegenden als antragsberechtigt anzusehen (vgl. Hanau, Beilage Nr. 4 in DB 1986, 9; Winterfeld, Beilage Nr. 1 in NZA 1990, 25). Daher konnte sich im vorliegenden Fall die Arbeitgeberin den Anträgen des Beteiligten zu 1) anschließen.

2.

Der Wahlvorstand ist trotz der von ihm eingeleiteten "Neuwahl" auch weiterhin Beteiligter.

Das Amt des Wahlvorstandes endet nämlich erst dann, wenn gemäß § 29 Abs. 1 BetrVG durch ihn die Mitglieder des Betriebsrats zu der nach § 26 Abs. 1 u. 2 BetrVG vorgeschriebenen Wahl einberufen worden sind (vgl. BAG, AP Nr. 7 zu § 1 BetrVG 1972; BAG, AP Nr. 1 zu § 18 BetrVG 1972). Deshalb ist es hier unschädlich, dass der Wahlvorstand die zunächst eingeleitete Wahl abgebrochen hat und eine "Neuwahl" ausgeschrieben hat.

3.

Das Arbeitsgericht hat zu Recht den Erlass einer einstweiligen Verfügung im Rahmen der Hauptanträge abgewiesen. Nach Auffassung des Beschwerdegerichts kann ihm jedoch in der Begründung nicht gefolgt werden. Die Hauptanträge sind unzulässig, weil der Beteiligte zu 1) hierüber bereits gerichtliche Beschlüsse erwirkt hat und diese nicht wegen der Einleitung einer "Neuwahl" durch den Wahlvorstand beseitigt worden sind. Denn der Wahlvorstand konnte - wie im Rahmen der Ausführungen zu dem in der Beschwerdeinstanz gestellten Hilfsantrag noch auszuführen sein wird - im vorliegenden Fall nicht die Betriebsratswahl abbrechen.

4.

a) Der in der Beschwerdeinstanz gestellte Hilfsantrag ist zulässig.

aa) Es kann dahingestellt bleiben, ob der Hilfsantrag ein "Mehr" oder ein "Weniger" oder ein "aliud" gegenüber den Hauptanträgen darstellt, weil er gemäß den §§ 528 Abs. 1 und 2 ZPO, 81 Abs. 3 ArbGG zulässig ist. Da sich der Wahlvorstand auf den Antrag eingelassen hat und dieser auch für sachdienlich zu erachten ist, konnte der Hilfsantrag auch erst in der zweiten Instanz gestellt werden.

bb) Für den Hilfsantrag ist das Vorliegen des erforderlichen Rechtsschutzbedürfnisses zu bejahen.

Da zwischen den Beteiligten streitig ist, ob der Wahlvorstand die bisherige Betriebsratswahl abbrechen und eine "Neuwahl" einleiten konnte, mit der Folge, dass die bisherigen arbeitsgerichtlichen Beschlüsse hinfällig würden, muss es dem Beteiligten zu 1. und dem Arbeitgeber möglich sein, eine gerichtliche Entscheidung hierüber zu erwirken. Angesichts der auftauchenden erheblichen Rechtsprobleme erscheint es nicht angemessen, den Beteiligten zu 1. auf die Zwangsvollstreckung aus den ergangenen arbeitsgerichtlichen Beschlüssen zu verweisen.

b) Der in der Beschwerdeinstanz gestellte Hilfsantrag ist auch begründet.

Die insoweit begehrte einstweilige Verfügung war gemäß § 940 ZPO i.V.m. den §§ 18,19 und 20 BetrVG zu erlassen.

aa) Durch einstweilige Verfügung sind berichtigende Eingriffe in Betriebsratswahlen für zulässig zu erachten.

Zwar wird in Literatur und Rechtsprechung teilweise ein Unbehagen deutlich, durch einstweilige Verfügung in laufende Wahlverfahren einzugreifen, aber einstweilige Verfügungen werden in diesem Rahmen nicht generell für unzulässig erachtet (vgl. BAG, BB 1973, 520; ferner die Nachweise bei Winterfeld, a.a.O., 21 Rdn. 16). Der gerichtliche berichtigende Eingriff in das Wahlverfahren durch einstweilige Verfügung wird als das mildere Mittel gegenüber dem Aufschub der Wahl oder der Nichtigkeit der Wahl eher für zulässig erachtet (vgl. Fitting/Auffarth/Kaiser/Heither, Betriebsverfassungsgesetz, 16. Aufl., Rdn. 21 zu § 18 BetrVG; GK-Kreutz, Betriebsverfassungsgesetz, Bd. 1, 4. Aufl., Rdn. 75 zu § 18 BetrVG; Hanau a.a.O., 10; Preis, AuR 1973, 12). Bei denjenigen Autoren und Gerichten, die einstweilige Verfügungen im Rahmen von Betriebsratswahlen für zulässig erachten, kommt jeweils zum Ausdruck, dass an die materielle Begründetheit des Verfügungsanspruchs strenge Anforderungen zu stellen sind, weil derartige Entscheidungen vielfach einen nicht unerheblichen Eingriff in das Wahlverfahren darstellen.

Soweit der Erlass einstweiliger Verfügungen in laufenden Wahlverfahren abgelehnt wurde, sind diese Fälle mit dem vorliegenden nach Auffassung der Beschwerdekammer nicht vergleichbar. Das Landesarbeitsgericht München hält den Erlass einer einstweiligen Verfügung im Hinblick auf die Berichtigung der Anzahl der Betriebsratsmitglieder für nicht zulässig (vgl. DB 1988, 347). Im vorliegenden Fall handelt es sich im Rahmen des Hilfsantrages aber nicht um eine solche einstweilige Verfügung. Denn hier ist bereits der arbeitsgerichtliche Beschluss vom 25. Januar 1990 (Aktenzeichen des Arbeitsgerichts Bremen 4 a BV Ga 4/90) vorhanden, der von dem Wahlvorstand nicht angegriffen worden ist und deshalb unter den Beteiligten rechtlich bedeutsam ist. Dieser Beschluss könnte - wenn zwischen den Beteiligten nicht ein Streit über seine weitere Wirksamkeit wegen der eingeleiteten "Neuwahl" bestände, im Wege der Zwangsvollstreckung durchgesetzt werden. Mit Rücksicht darauf, dass der vorliegende Fall ganz anders gelagert ist, kann deshalb die Auffassung des Landesarbeitsgerichts München nicht zugrunde gelegt werden. Das Landesarbeitsgericht München hat in einer weiteren Entscheidung den Erlass einer einstweiligen Verfügung für den Fall abgelehnt, dass eine bloße Anfechtbarkeit der Wahl wegen einer möglichen Verkennung des Betriebsbegriffs in Betracht kommt (vgl. BB 1989, 146). In dem Fall hat sich das Landesarbeitsgericht München aber nur außerstande gesehen, das Verbot der Durchführung einer Betriebsratswahl durch einstweilige Verfügung zu erlassen. Auch dieser Fall ist dem vorliegenden nicht vergleichbar, weil es hier nicht um das Verbot der Durchführung einer Betriebsratswahl geht, sondern gerade um die Fortsetzung einer Betriebsratswahl.

Das Arbeitsgericht Lingen hat in einer Entscheidung den Erlass einer einstweiligen Verfügung unter Hinweis auf das Kostenrisiko des Arbeitgebers bei Betriebsratswahlen abgelehnt (vgl. NZA 1988, 40). Im vorliegenden Fall hat aber die Arbeitgeberin dadurch, dass sie sich den Anträgen des Beteiligten zu 1. angeschlossen hat, gezeigt, dass sie dieses Kostenrisiko gerade auf sich nehmen will. Im Übrigen ist eher die von dem arbeitsgerichtlichen Beschluss vom 25. Januar 1990 abweichende Einordnung der vier genannten Arbeitnehmer als Arbeiter in der Wählerliste als riskant zu erachten als die Befolgung der arbeitsgerichtlichen Beschlüsse.

Der Wahlvorstand hat im vorliegenden Verfahren noch auf zwei Entscheidungen des Landesarbeitsgerichts Hamm hingewiesen, die gegen den Erlass der begehrten einstweiligen Verfügung sprächen. In der Entscheidung des Landesarbeitsgerichts Hamm (vgl. DB 1975, 1176) wurde aber nur die Aussetzung der Betriebsratswahl durch einstweilige Verfügung abgelehnt. Hier gilt das oben Gesagte, nämlich, dass es hier nicht um die Aussetzung der Betriebsratswahl, sondern deren Weiterführung geht. Soweit der Wahlvorstand eine weitere Entscheidung des Landesarbeitsgerichts Hamm vom 28. März 1974 - 8 TaBV 13/74 - zitiert hat, kann sich die Beschwerdekammer hiermit nicht auseinandersetzen, weil der zugrundeliegende Sachverhalt unbekannt ist. Die Beschwerdekammer meint aber, dass - wie immer bei der Frage, ob eine einstweilige Verfügung zu erlassen ist - es keine generelle Entscheidung gibt, sondern die Vor- und Nachteile des Erlasses oder Nichterlasses der einstweiligen Verfügung unter Berücksichtigung der betroffenen Rechtsgüter abzuwägen sind. Im Weiteren ist dann festzustellen, welches die erforderliche Anordnung nach § 938 ZPO, d.h. das mildeste Mittel, ist (ebenso Winterfeld, a.a.O., 28).

bb) Es erscheint der Beschwerdekammer zweifelhaft, ob der Wahlvorstand grundsätzlich berechtigt war, die

eingeleitete Wahl abzubrechen und eine "Neuwahl" einzuleiten.

In Literatur und Rechtsprechung wird der Abbruch einer eingeleiteten Betriebsratswahl immer nur im Zusammenhang mit einer gerichtlichen Entscheidung - einer einstweiligen Verfügung - erwähnt (vgl. LAG Hamm, DB 1972, 1297; LAG Mannheim, DB 1972, 1392; LAG Hamm, DB 1974, 1241; LAG Köln, DB 1987, 1996, LAG München, DB 1989, 147; Fitting/Auffarth/ Kaiser/Heither, a.a.O., Rdn. 22 a zu § 18 BetrVG; GK-Kreutz, a.a.O., Rdn. 76 zu § 18 BetrVG).

Gemäß § 18 Abs. 1 BetrVG ist es Aufgabe des Wahlvorstandes die Wahl unverzüglich einzuleiten, sie durchzuführen und das Wahlergebnis festzustellen. Hieraus ist nach Auffassung der Beschwerdekammer der Schluss zu ziehen, dass mit der Durchführung der Wahl nicht eine irgendwie geartete Durchführung seitens des Wahlvorstandes gemeint ist, sondern dass insoweit dem Wahlvorstand bestimmte Pflichten auferlegt werden. Hierzu gehört die ordnungsgemäße Durchführung der Wahl.

In diesem Rahmen ist es durchaus denkbar, dass der Wahlvorstand - sofern er erkennt, dass irreparable Rechtsfehler während des Wahlverfahrens erfolgt sind - berechtigt ist, die Wahl abzubrechen und ein neues Wahlverfahren in Gang zu setzen. Zu einer solchen Handlungsweise ist er aber nicht kraft seiner Entscheidungsfreiheit berechtigt; sondern zu der ordnungsgemäßen Durchführung der Wahl gehört, dass der Wahlvorstand einen etwaigen Wahlabbruch nach Rechtmäßigkeitskriterien durchführt. Daraus folgt, dass der Wahlvorstand die Wahl nur unter denselben Voraussetzungen abbrechen kann, wie sie durch das Arbeitsgericht bei einer solchen Entscheidung zugrunde zu legen wären. Danach kommt ein Abbruch der Wahl und die Einleitung einer neuen Wahl nur dann in Betracht, wenn der festgestellte Rechtsmangel nicht korrigierbar ist und die Weiterführung der Wahl mit Sicherheit eine erfolgreiche Anfechtung oder Nichtigkeit der Wahl zur Folge hätte (vgl. Fitting/Auffarth/Kaiser/Heither, a.a.O., Rdn. 22 a zu § 18 BetrVG). Es kann nicht akzeptiert werden, dass es ein lediglich für einen bestimmten Zeitraum gebildetes Gremium in der Hand haben soll, ohne jegliche Überprüfungsmöglichkeit durch die Arbeitsgerichte eine zeitgerechte Betriebsratswahl mit erheblichen Konsequenzen für die Arbeitnehmerschaft und den Arbeitgeber zu verhindern. Dies könnte nämlich bei einem Abbruch der Wahl und einer Neueinleitung geschehen.

Die von der Beschwerdekammer vorgenommene Auslegung des § 18 Abs. 1 BetrVG, dass die Formulierung im Gesetz "die Wahl... durchzuführen" gleichbedeutend mit einer ordnungsgemäßen Durchführung der Wahl ist, wird deshalb auch durch § 20 Abs. 1 BetrVG bestätigt. Danach darf niemand also auch kein Wahlvorstand - die Wahl des Betriebsrats behindern oder die Arbeitnehmer in der Ausübung des aktiven und passiven Wahlrechts beschränken.

Für den vorliegenden Fall folgt aus der Verpflichtung des Wahlvorstandes, die Betriebsratswahl ordnungsgemäß im Sinne des § 18 Abs. 1 BetrVG durchzuführen, dass er Gerichtsentscheidungen beachten muss, die zwischen den Beteiligten rechtswirksam sind. Da die Beschlüsse des Arbeitsgerichts Bremen vom 16. Januar 1990 (4 a BV Ga 3/90) und vom 25. Januar 1990 (4 a BV Ga 4/90) bisher nicht angegriffen worden sind, entfalten sie ihre Rechtskraftwirkung mindestens zwischen den Beteiligten dieses Verfahrens, die auch an den anderen Beschlussverfahren beteiligt waren. Über diese Rechtskraftwirkung kann sich der Wahlvorstand nicht einfach hinwegsetzen. In rechtswidrigen Maßnahmen des Wahlvorstandes kann nämlich eine Wahlbehinderung gesehen werden (vgl. GK-Kreutz, a.a.O., Rdn. 21 zu § 20 BetrVG). Eine Wahlbehinderung kann auch in der Erstellung einer falschen Wählerliste durch den Wahlvorstand liegen. Im Übrigen kann die unrichtige Sitzverteilung auf die Arbeitnehmergruppen ebenso wie eine Wahlbeeinflussung einen Anfechtungsgrund darstellen (vgl. BAG, AP Nr. 13 zu § 19 BetrVG 1972; LAG Hamm, DB 1976, 2020; LAG Frankfurt/M., DB 1987, 54; Hess/Schlochauer/Glaubitz, BetrVG, 3. Aufl., Rdn. 22 f zu § 19 BetrVG). Das Verhalten des Wahlvorstandes stellt sich danach in zweierlei Hinsicht nicht als pflichtgemäße Durchführung der Wahl dar: Zum einen ist die Missachtung der rechtsverbindlichen Beschlüsse des Arbeitsgerichts eine Wahlbehinderung: zum anderen folgt aus den rechtsverbindlichen Beschlüssen, dass eine Wählerliste, die unter Missachtung dieser Beschlüsse erstellt wird, die Gefahr einer Anfechtbarkeit der Wahl nach sich zieht, wobei sogar eine Nichtigkeit der Wahl wegen der vielen in Betracht kommenden Wahlverstöße in Erwägung zu ziehen sein könnte.

Danach erfüllt die Entscheidung des Wahlvorstandes, die eingeleitete Wahl abzubrechen, nicht die Kriterien, die an eine einstweilige Verfügung auf vorzeitigen Abbruch der Wahl und die Einleitung einer neuen Wahl vorgesehen sind. In der vorher vom Wahlvorstand eingeleiteten Wahl war kein unkorrigierbarer Rechtsmangel vorhanden und die Weiterführung der Wahl hätte nicht mit Sicherheit eine erfolgreiche Anfechtung oder Nichtigkeit der Wahl zur Folge. War die Einordnung der im Hauptantrag genannten Arbeitnehmer als Angestellte falsch, so ist zweifelhaft, ob daraus ein Anfechtungsrecht entstehen konnte, weil die Wählerliste an sich gemäß § 4 Abs. 1 WO 72 verbindlich war und es darüber hinaus eine Gerichtsentscheidung im Rahmen eines vorgeschalteten Kontrollverfahrens über die Einordnung der Arbeitnehmer als Angestellte gab. Demgegenüber würde der nach den vorstehenden Ausführungen nicht rechtmäßige Abbruch der Wahl und die Neueinleitung der Wahl eher eine erfolgreiche Anfechtung oder sogar Nichtigkeit der Wahl zur Folge haben können. Deshalb ist der vom Wahlvorstand beschlossene Abbruch der Betriebsratswahl und ihre Neueinleitung nicht rechtswirksam.

cc) Die in dem Verfahren auf Erlass einer einstweiligen Verfügung regelmäßig vorzunehmende Interessenabwägung gebietet im vorliegenden Fall dem Wahlvorstand aufzugeben, die Wahl auf der Grundlage des arbeitsgerichtlichen Beschlusses vom 25. Januar 1990 durchzuführen.

Ein Aufschub der Wahl durch einstweilige Verfügung würde zu einer betriebsratslosen Zeit führen. Eine solche Maßnahme ist regelmäßig nur dann angemessen, wenn die Abgrenzung des Betriebes gemäß § 18 Abs. 2 BetrVG im Streit ist (vgl. Winterfeld, a.a.O., S. 28). Bei allen anderen Wahlverstößen ist über eine Fehlerkorrektur nachzudenken. Im vorliegenden Fall spricht für den Erlass der mit dem Hilfsantrag begehrten einstweiligen Verfügung, dass sie letztlich einer Zwangsvollstreckung aus den rechtsverbindlichen Beschlüssen des Arbeitsgerichtes entspricht. Wäre zwischen den Beteiligten wegen des "Abbruchs der Wahl" und der Einleitung der "Neuwahl" nicht streitig, ob diese arbeitsgerichtlichen Beschlüsse noch wirksam sind, so könnte der Beteiligte zu 1. im Wege der Zwangsvollstreckung aus den arbeitsgerichtlichen Beschlüssen vorgehen.

Im Übrigen würde sich - wie vorstehend schon ausgeführt - bei Weiterführung der zuerst eingeleiteten Wahl und Beachtung der rechtsverbindlichen Beschlüsse des Arbeitsgerichtes sich allenfalls eine falsche Wählerliste und damit unrichtige Sitzverteilung im Betriebsrat ergeben, die eine Anfechtbarkeit der Wahl erbringen könnte (vgl. LAG Hamm, DB 1976, 2020; LAG Frankfurt/M., DB 1987, 54). Demgegenüber würde im Fall der Fortsetzung der neu eingeleiteten Wahl zu der Frage der Richtigkeit der Wählerliste und der Sitzverteilung auf die Arbeitnehmergruppen noch eine Wahlbeeinflussung als Anfechtungsgrund hinzukommen (vgl. BAG, AP NR. 13 zu § 19 BetrVG 1972). Dadurch könnte fraglich werden, ob durch eine Wahlbehinderung seitens des Wahlvorstandes sogar eine Nichtigkeit der Wahl herbeigeführt worden sein könnte.

Dem Wahlvorstand konnte aufgegeben werden, die von ihm eingeleitete "Neuwahl" des Betriebsrats abzubrechen und die bisherige Betriebsratswahl mit einem unter Beachtung des Beschlusses des Arbeitsgerichts Bremen vom 25. Januar 1990 (4 a BV Ga 4/90) geänderten Wahlausschreibens durchzuführen, weil die von ihm durch den Abbruch der Wahl gesetzten Tatsachen noch reparabel sind. Es ist in diesem Zusammenhang gleichgültig, ob der Wahlvorstand bereits Stimmzettel versandt hat und hiervon einige sogar schon zurückgegeben worden sind. Der Wahlvorstand kann nämlich bekannt machen, dass nur neueingehende Stimmzettel berücksichtigt werden, und hierfür neue Stimmzettel, die sich von den vorher verwendeten unterscheiden, versenden. Dass auch dem Wahlvorstand ein solches Vorgehen möglich erscheint, zeigt seine Bekanntmachung vom 26. Januar 1990 über den Abbruch der Wahl, in der er auch hierzu Stellung genommen hat.

Nach allem war die mit dem Hilfsantrag begehrte einstweilige Verfügung zu erlassen, während die Beschwerde im Übrigen als unbegründet zurückzuweisen war.

5.

Das Verfahren ist gemäß § 12 Abs. 5 ArbGG gerichtskostenfrei.

Gegen diese Entscheidung ist gemäß § 92 Abs. 1 Satz 3 ArbGG kein Rechtsmittel gegeben.