Ordentliche Kündigung eines Wahlbewerbers ist unwirksam

ArbG Herford 2 Ca 268/10 vom 21. Juli 2010

Leitsatz

Der Beginn des Status als Wahlbewerber i.S.v. § 15 Abs. 3 KschG zur Betriebsratswahl kann zwischen der Wahlvorstandsbestellung und dem Erlass des Wahlausschreibens liegen

Tenor

1. Es wird festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien durch die Kündigung der Beklagten vom 22.02.2010 nicht aufgelöst

worden ist.

2. Die Beklagte wird verurteilt, die klagende Partei zu unveränderten

Bedingungen als gewerbliche Mitarbeiterin tatsächlich bis zum

rechtskräftigen Abschluss des Rechtsstreits weiter zu beschäftigen.

3. Die Beklagte trägt die Kosten des Rechtsstreits.

4. Der Streitwert wird auf 9.805,-- € festgesetzt.

Tatbestand

Die Parteien streiten im Anwendungsbereich des Kündigungsschutzgesetzes und des Betriebsverfassungsgesetzes um die Frage der Wirksamkeit der arbeitgeberseitig ausgebrachten ordentlichen, betriebsbedingten Kündigung vom 22.02.2010; insbesondere ist unter den Parteien streitig, ob die klägerische Partei den Sonderkündigungsschutz nach § 15 Abs. 3 KSchG als Wahlbewerber hat.

Die Beklagte gehört zur Zulieferindustrie für die Küchenmöbelherstellung. Sie stellt unter anderem Besteckeinsätze, rutschfeste Matten, Dekofronten und ähnliches her. Eine Tarifbindung besteht bei der Beklagten nicht. Sie beschäftigt ca. 140 Arbeitnehmer. Ein siebenköpfiger Betriebsrat ist gebildet.

Die klagende Partei ist am 05.10.1960 geboren, ist geschieden und gegenüber niemandem unterhaltspflichtig.

Sie steht seit dem 06.12.1999 zuletzt als gewerbliche Mitarbeiterin in den Diensten der Beklagten. Das durchschnittliche Bruttomonatseinkommen beträgt 1.916,16 €. Die klagende Partei ist gelernte Wirtschafterin. Auf den Arbeitsvertrag der Parteien vom 16.11.2001 (Bl. 8 ff. d.A.) wird inhaltlich verwiesen.

Im Zuge der Betriebsratswahl 2010 wurde bei der Beklagten am 08.01.2010 der Wahlvorstand über den bis dato amtierenden Betriebsrat gebildet und eingesetzt.

Mit Schreiben vom 12.02.2010 hörte die Beklagte den Betriebsrat zur beabsichtigten betriebsbedingten Kündigung der klagenden Partei an. Auf die Anlage A2 zur Klageerwiderung vom 26.04.2010 (Bl. 66 ff. d.A.) wird inhaltlich verwiesen.

Ob dem Wahlvorstand am 18.02.2010 (siehe Bestätigungsvermerk Bl. 131 d.A.) die Vorschlagsliste (Wahlvorschlag) vom 18.02.2010 unter dem Kennwort "Unser Team für Euch" mit entsprechenden Stützunterschriften (s. Bl. 132 d.A.) als gültiger Wahlvorschlag erreichte und ob eine feste Verbindung der Stützunterschriften im ersten Teil der Bewerberliste vorlag, ist unter den Parteien streitig. Die klagende Partei befindet sich auf Position 11 der Vorschlagsliste "Unser Team für Euch".

Das Wahlausschreiben des Wahlvorstandes datiert vom 15.03.2010; es wurde auch an diesem Tag ausgehängt (s. Bl. 71 d.A.). Die Betriebsratswahl wurde danach für den 12.05.2010 angesetzt.

Am 19.02.2010 widersprach der Betriebsrat der beabsichtigten betriebsbedingten Kündigung der klagenden Partei (Bl. 129 ff. d.A.). Unter anderem heißt es in dieser Stellungnahme des Betriebsrates:

"Bereits Mitte Januar hatten Arbeitgeber und Betriebsrat Kurzarbeitsverhandlungen aufgenommen und der Betriebsrat verlangte in seinem Schreiben vom 28.01.10 noch weitere Unterlagen, um die wirtschaftliche Situation bei A5 zu analysieren. Dieses warne u.a. Unterlagen zum offenen Auftragsbestand, vorhandene Fertigwaren-Lagerbestandswerte, Umsatzentwicklung der unterschiedlichen Produktgruppen (aufgeschlüsselt nach vorhandenen Produktgruppen), Einkaufskonten, aufgeschlüsselt nach EK-Artikelgruppen, wie z.B. nach Granulaten, Farben, Folien, Verpackungen, Zukaufplatten oder auch durch Fremdfertigungen, sonstige und besondere Kosten (aufgeschlüsselt nach Kostenart und Zweck), offene Forderungen und Personalkosten und geleistete Arbeitsstunden (aufgeschlüsselt nach Abteilung).

Der Arbeitgeber erklärte somit am 02.02.10 die Verhandlungen über die beantragte Kurzarbeit von Februar bis Juni 2010 für gescheitert und zog seine Anträge komplett zurück.

Der Betriebsrat war stattdessen weiterhin an einer Kurzarbeit interessiert, obwohl der Arbeitgeber die vom Betriebsrat vollständig geforderten Unterlagen nicht beibrachte.

Erst einmal sollte bis zur Klärung des Sachverhaltes seitens des Betriebsrates die Kurzarbeit im Februar stattfinden und dann monatlich die weitere Notwendigkeit der Kurzarbeit von Geschäftsleitung und Betriebsrat überprüft werden.

Erwähnt sei noch, dass bezüglich der Unterrichtung des Wirtschaftsausschusses eine Einigungsstelle anhängig ist und Ende April hierzu die dritte Verhandlungsrunde vorgesehen ist.

Am 16.02.10 hatte, auf Wunsch des Betriebsrates, ein Gespräch zwischen der Geschäftsleitung und dem Betriebsrat stattgefunden, in dem der Betriebsrat den Arbeitgeber darum bat, die Kündigung zurückzunehmen und die vom Arbeitgeber abgebrochenen Verhandlungen über Kurzarbeit wieder aufzunehmen. Dieses lehnte der Arbeitgeber ab und bestätigte nochmals die zehn ausgesprochenen Kündigungen.

Der Betriebsrat teilte daraufhin dem Arbeitgeber mit, dass er somit die Verhandlungen zur Kurzarbeit endgültig als gescheitert ansieht und unverzüglich die Einigungsstelle anrufen wird.

Der Betriebsrat hält die Kurzarbeit für die sozial mildere Maßnahme, anstatt betriebsbedingte Kündigungen auszusprechen, zumal der Arbeitsausfall nur vorübergehend ist."

Die Beklagte sprach sodann unter dem 22.02.2010 die ordentliche, betriebsbedingte Kündigung gegenüber der klagenden Partei zum 30.06.2010 aus (s.Bl. 10 d.A.).

Gegen diese Kündigung wendet sich die klagende Partei mit Kündigungsschutzklage vom 26.02.2010, bei Gericht am gleichen Tag eingegangen.

Die klagende Partei beruft sich auf den besonderen Kündigungsschutz als Wahlbewerberin nach § 15 Abs. 3 KSchG. Im Übrigen hält die klagende Partei die Kündigung für sozial ungerechtfertigt und hat auch die Sozialauswahl gerügt.

Vor dem ständigen Versuch des Einsatzes von Leiharbeitnehmern werde deutlich, dass genügend Arbeit bei der Beklagten vorhanden sei. Auch sei als milderes Mittel gegenüber einer Kündigung die Kurzarbeit entsprechend den ursprünglich aufgenommenen Verhandlungen ohne weiteres möglich.

Die klagende Partei beantragt,

festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien durch die Kündigung der beklagten Partei vom 22.02.2010 nicht aufgelöst wurde.

hilfsweise

die beklagte Partei zu verurteilen, das Angebot der klagenden Partei auf Abschluss eines Fortsetzungsarbeitsvertrages auf Grundlage des Arbeitsvertrages mit der beklagten Partei vom 16.11.2001 zu den bis zum 30.06.2010 geltenden Arbeitsbedingungen mit Beginn des Arbeitsverhältnisses zum 01.07.2010 aufzunehmen.

die beklagte Partei zu verurteilen, die klagende Partei zu unveränderten Bedingungen als gewerbliche Mitarbeiterin tatsächlich weiterzubeschäftigen.

Die beklagte Partei beantragt,

die Klage abzuweisen.

Die Beklagte meint, unter Darlegung des Vergleichs der Produktionszahlen in Kilogramm aus den Jahren 2007 bis 2009, aus dem Vergleich der Stückzahlen der Produktion aus den Jahren 2007 bis 2009, aus dem Vergleich der Erlöse in den Jahren 2007 bis 2009 und der Mitarbeiterstruktur bei der Beklagten unter Berücksichtigung des Auftragseingangs im Vergleich der Monate Januar 2007 zu den Januarmonaten 2008 bis 2010 zu dem Ergebnis kommen zu können, in Summe zehn Kündigungen auszusprechen, davon zwei Maschinenersatzführer und acht Maschinenbediener, da in der Produktion prozentual mehr Maschinenbediener als Maschinenführer bzw. Maschinenersatzführer eingesetzt seien. Durch den gesunkenen Beschäftigungsbedarf im Bereich der Produktion seien die Arbeitsplätze von zwei Maschinenersatzführern und acht Maschinenbedienern entfallen.

Bei dem oben benannten Auftragseingang trägt die Beklagte für Januar 2009 1.367.472,78 € vor und für Januar 2010 1.415.672,22 €.

Die beklagte Partei meint, dass sich die klagende Partei nicht auf den Sonderkündigungsschutz nach § 15 Abs. 2 KSchG berufen könne, da dieser Sonderkündigungsschutz frühestens ab Erlass des Wahlausschreibens und der damit einhergehenden Förmlichkeiten begründet werden könne. § 15 Abs. 3 KSchG definiere den Zeitpunkt des beginnenden Sonderkündigungsschutzes bei der Wortwahl "mit der Aufstellung des Wahlvorschlages" nicht näher. Allein die Bestellung des Wahlvorstandes leite die Betriebsratswahl nicht ein. Die Vorschriften der Wahlordnung seien bei der Frage des Beginns eines möglichen Sonderkündigungsschutzes im Rahmen einer Betriebsratswahl zwingend zu berücksichtigen und einzuhalten.

Im Übrigen sei nicht erkennbar, dass die Stützunterschriften fest mit dem Wahlvorschlag verbunden gewesen seien.

Der Wahlvorschlag "Unser Team für Euch" sei auch rechtsmissbräuchlich aufgestellt. Es könnte gerade nicht von einer ernsthaften Kandidatur ausgegangen werden, wenn 18 angebliche Wahlbewerber auf der Liste genannt werden bei einer bevorstehenden Betriebsratswahl für einen siebenköpfigen Betriebsrat. Hinzu komme, dass sich neben der klagenden Partei nahezu alle Arbeitnehmer, zu deren Kündigung der Arbeitgeber den Betriebsrat am 12.02.2010 angehört habe, "urplötzlich zur Betriebsratswahl aufstellen ließen".

Die klagende Partei behauptet, dass die Stützunterschriften fest mit der Wahlvorschlagsliste verbunden gewesen seien und der Wahlvorschlag formgültig gewesen sei. Es habe sich um eine einheitliche Urkunde gehandelt. Nach dem Sinn und Zweck des § 15 Abs. 3 KSchG müsse der besondere Kündigungsschutz auch möglichst früh eingreifen. Auf die Bestimmungen der Wahlordnung komme es nicht an. Auch nicht darauf, dass zum Zeitpunkt des Einreichens der Vorschlagsliste bei dem Wahlvorstand am 18.02.2010 die Wählerliste noch nicht erstellt worden sei. Dass die klagende Partei nach den Vorschriften des Betriebsverfassungsgesetzes als Arbeitnehmerin der Beklagten ein aktives und passives Wahlrecht gehabt habe, sei offensichtlich.

Wegen des gesamten Vortrags der Parteien wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen und Protokolle verwiesen, die sämtliche Gegenstand der mündlichen Verhandlung waren.

Im Kammertermin vom 21.07.2010 hat das Gericht die geladenen Zeugen B3 und L2 auf der Grundlage des Beschlusses vom 05.07.2010 (Bl. 134 d.A.) vernommen. Auf die protokollierte uneidliche Zeugenaussage wird inhaltlich verwiesen.


Gründe

Die Klage ist zulässig und in vollem Umfang begründet.

Das Arbeitsverhältnis der Parteien ist nicht durch die Kündigung vom 22.02.2010 beendet worden. Die Kündigung vom 22.02.2010 ist nach § 15 Abs. 3 S. 1 KSchG unzulässig. Eine ordentliche Kündigung eines Wahlbewerbers ist vom Zeitpunkt der Aufstellung des Wahlvorschlags an jeweils bis zur Bekanntgabe des Wahlergebnisses unzulässig.

Die klagende Partei kann sich zu Recht auf den Status eines Wahlbewerbers berufen. Insofern folgt das Gericht in vollem Umfang der rechtlichen Bewertung durch die klagende Partei. Dabei lehnt sich das Gericht eng an die Entscheidung des BAG vom 04.03.1976, 2 AZR 620/74 in EZA § 15 KSchG n.F. Nr. 8 an, als auch an die Entscheidung des BAG vom 13.10.1977, 2 AZR 387/76 in EZA § 74 BetrVG 1972 Nr. 3.

Der besondere Kündigungsschutz nach § 15 Abs. 3 KSchG beginnt erst, sobald ein Wahlvorschlag vorliegt, der die nach § 14 Abs. 4 BetrVG erforderliche Mindestzahl von Unterschriften wahlberechtigter Arbeitnehmer aufweist (BAG vom 13.10.1977, a.a.O. Rn. 33). In der Entscheidung des BAG vom 04.03.1976 (a.a.O) ist unter Rn. 25 ausgeführt, dass der Regelungszweck als auch der Wortlaut das Bestehen des Sonderkündigungsschutzes davon abhängig machen, dass die Kandidatur eines Arbeitnehmers zur bevorstehenden Betriebsratswahl sich bereits verfestigt hat. Danach genügt nicht einfach jede Verlautbarung einer möglichen Kandidatur oder die Bekundung eines Interesses hieran. Nach der Entscheidung des BAG vom 04.03.1976 (a.a.O. unter Rn. 29) erfordert der Regelungszweck des Sonderkündigungsschutzes eines Wahlbewerbers das Abstellen auf einen möglichst frühen Zeitpunkt, in dem eine genügend greifbare Möglichkeit einer Wahl besteht. Von dem Zeitpunkt an, in dem die für eine Kandidatur erforderliche Unterstützung durch andere Arbeitnehmer in der Form des § 14 Abs. 4 BetrVG vorliegen, muss der Arbeitgeber erstmalig ernsthaft mit der Möglichkeit rechnen, dass ein ihm möglicherweise nicht genehmer Bewerber in ein betriebsverfassungsrechtliches Amt gewählt werden kann. Das BAG führt weiter aus: "Zwar steht eine Kandidatur im formellen Sinne endgültig erst dann fest, wenn auch ein den Gültigkeitsanforderungen der Wahlordnung (…) entsprechender Wahlvorschlag beim Wahlvorstand eingereicht worden ist. Ein sachlicher Grund, weshalb sich erst dann das Schutzbedürfnis von Gegenmanahmen des Arbeitgebers zu dem Kündigungsschutzprivileg des § 15 KSchG verdichten könnte, ist nicht ersichtlich. Der Eingang des Wahlvorschlags beim Wahlvorstand verstärkt die potentielle Kündigungsgefahr nicht mehr (…)."

Entscheidend führt das BAG dann in der Entscheidung vom 04.03.1976 (a.a.O.) unter Rn. 33 aus:

Eine übermäßig lange zeitliche Ausdehnung des Kündigungsschutzes, etwa dadurch, dass bereits lange vor der Wahlvorschlagsliste mit einer ausreichenden Anzahl von Unterschriften erstellt werden, wird bereits dadurch verhindert, dass sowohl nach dem Wortlaut wie auch nach dem Schutzzweck der Vorschrift ein innerer Zusammenhang mit einer Wahl nach dem Betriebsverfassungsgesetz erforderlich ist. Ein Arbeitnehmer genießt als Wahlbewerber nur dann den Kündigungsschutz nach § 15 Abs. 3 KSchG n.F., wenn das Wahlverfahren eingeleitet ist. Daraus folgt, dass nur solche Vorschläge als Wahlvorschläge im Sinne des § 14 Abs. 5 BetrvG … anzusehen sind, die in der Zeit nach der Bestellung eines Wahlvorstandes (…) zustande gekommen sind. Das Vorhandensein eines Wahlvorstandes bezeichnet also den frühestmöglichen Zeitpunkt für den Beginn des Kündigungsschutzes (…).

Besonders dieser letzten Aussage folgt auch das erkennende Gericht. Der Wahlvorstand bei der Beklagten war am 08.01.2010 gebildet worden.

Die Wahlvorschlagsliste "Unser Team für Euch" erreichte den Wahlvorstand am 18.02.2010. Diesen Umstand haben die Zeugen B3 und L2 glaubhaft mit ihrer Zeugenaussage im Kammertermin vom 21.07.2010 bestätigt. Die Aussage deckt sich auch mit der schriftlichen Bestätigung des Zeitpunkts des Einreichens der Vorschlagsliste.

Unter Vorlage des Originals dieser Vorschlagsliste vom 18.02.2010 "Unser Team für Euch" hat zunächst der Zeuge B3 weiter glaubhaft versichert, dass die Stützunterschriften (Teil 2) mit der Bewerberliste (Teil 1) fest verbunden war, also so, wie es sich im Original darstellt mit zahlreichen Tackerungen am linken Rand und sogar einer Unterschrift des Zeugen jeweils in den geknickten linken Ecken. Auch der Zeuge L2 hat bestätigt, dass es sich dabei um das Original der Vorschlagsliste handelt, die dem Wahlvorstand am 18.02.2010 übergeben worden ist.

Vor diesem Hintergrund konnten für das Gericht keine ernsthaften Zweifel an der formgültigen Wirksamkeit der Vorschlagsliste "Unser Team für Euch" bestehen.

Somit stand zur Überzeugung des Gerichts fest, dass die klagende Partei bei Erhalt der Kündigung am 22.02.2010 den Status eines Wahlbewerbers seit dem 18.02.2010 innehatte und sich somit wirksam auf den Sonderkündigungsschutz nach § 15 Abs. 3 KSchG berufen durfte. Für diese Rechtsfolge spricht auch die Entscheidung des BAG vom 17.03.2005, 2 AZR 275/04, in NZA 2005 Seite 1064, in der ausgeführt ist, dass nach dem Sinn der gesetzlichen Regelung ein Wahlvorschlag aufgestellt ist, wenn die Wahl eingeleitet ist und alle Voraussetzungen für einen nicht von vornherein ungültigen Wahlvorschlag vorliegen. Denn ein zeitlich vor dem nach dem Wahlausschreiben festgesetzten Fristbeginn eingereichter Vorschlag ist eben kein von vornherein ungültiger Vorschlag, sondern ein Wahlvorschlag, der vom Wahlvorstand zu beachten ist (siehe u.a. Fitting, BetrVG, 25. Auflage, § 6 WO Rn. 3 m.w.N.). Voraussetzung für den Beginn des Wahlbewerberstatus ist, "dass das Wahlverfahren bereits durch die Bestellung eines Wahlvorstandes eröffnet ist", so Schipp in Tschöpe, -Anwaltshandbuch- Arbeitsrecht, 6. Auflage 2009, Teil 3 H, Rn. 71 mit weiterem Nachweis.

Der Wahlvorschlag vom 18.02.2010 ist auch nicht rechtsmissbräuchlich, wie die Beklagte meint, hinsichtlich der Zahl der aufgeführten Bewerber/innen. Nach § 6 Abs. 2 der Wahlordnung soll jede Vorschlagsliste mindestens doppelt so viele Bewerberinnen oder Bewerber aufweisen, wie Betriebsratsmitglieder zu wählen sind. Dass diese Mindestzahl auch deutlich überschritten werden kann, wird aus der Entscheidung des LAG Köln vom 29.03.2001, 5 TaBV 22/01, deutlich. Hier waren sogar 80 % und mehr der Arbeitnehmer auf einer Bewerberliste eingetragen. Das LAG Köln führt in der Entscheidung unter Rn. 23 hinreichend klar und deutlich aus, dass selbst darin ein Rechtsmissbrauch nicht gesehen werden kann. Insofern ist § 6 Abs. 2 der Wahlordnung klar und verständlich und bindend.

Die Beklagte kann auch aus dem zeitlichen Ablauf heraus keine rechtsmissbräuchliche Berufung der klagenden Partei auf den Wahlbewerberstatus konstruieren. Mit Einleitung der Betriebsratswahl durch Bestimmung des Wahlvorstandes am 08.01.2010 - im Übrigen uneingeschränkt bestätigt durch die Zeugenaussage B3 und L2 - war es jedem Arbeitnehmer der Beklagten unbenommen, sich für die bevorstehende Betriebsratswahl am 12.05.2010 in Form einer Kandidatur zu engagieren. Dass diese Kandidatur zeitlich mit der Anhörung des Betriebsrats zusammenfällt, mag der Beklagten schlecht aufstoßen, liegt aber in der Natur der Sache.

Ob weitere Unwirksamkeitsgründe der Kündigung vom 22.02.2010 vorliegen, musste das Gericht nicht abschließend entscheiden, wobei jedoch erhebliche Bedenken bestehen hinsichtlich des Komplexes der zunächst aufgenommenen Verhandlungen zur Einführung von Kurzarbeit im Januar 2010. Dies nicht zuletzt vor dem Hintergrund, dass der beklagtenseitig mitgeteilte Auftragseingang im Januar 2010 über dem vom Januar 2009 lag und damit aus verständigen Gründen heraus an die Einführung von Kurzarbeit gedacht werden konnte. Die Beklagte hat auch nicht die Gründe für den Wechsel von beabsichtigter Kurzarbeit zum Ausspruch der Kündigung dargelegt. Genauso wenig hat die Beklagte dargelegt, warum es bei den Kündigungen zu einem Verhältnis von zwei Maschinenersatzführern zu acht Maschinenbedienern kommen musste; der schlichte Hinweis auf einen entsprechenden prozentualen Anteil in der Produktion, der auch in keiner Weise in der Betriebsratsanhörung vom 12.02.2010 erläutert worden ist, genügt den entsprechenden Erfordernissen nicht.

Der Weiterbeschäftigungsanspruch der klagenden Partei ergibt sich zumindest aus den §§ 611, 613 BGB i.V.m. § 242 BGB und i.V.m. der Entscheidung des Großen Senats des BAG vom 27.02.1985 (Betriebsberater 1985, Seite 1978). Auch außerhalb des § 102 BetrVG hat der gekündigte Arbeitnehmer Anspruch auf vertragsgemäße Beschäftigung über den Ablauf der Kündigungsfrist hinaus bis zum rechtskräftigen Abschluss des Kündigungsschutzprozesses immer dann, wenn die Kündigung nach Feststellung des erstinstanzlichen Gerichts unwirksam ist und überwiegende schutzwerte Interessen des Arbeitgebers einer solchen Beschäftigung nicht entgegenstehen.

Hat der Arbeitnehmer in der 1. Instanz obsiegt, kann die Ungewissheit über den weiteren Prozessausgang bei eingelegter -oder zu erwartender- Berufung für sich allein ein überwiegendes Gegeninteresse des Arbeitgebers nicht begründen; hinzukommen müssen vielmehr zusätzliche Umstände, aus denen sich im Einzelfall ein überwiegendes Interesse des Arbeitgebers dahingehend ergibt, den Arbeitnehmer nicht weiter zu beschäftigen.

Etwaige Gegeninteressen hat die Beklage im vorliegenden Rechtsstreit nicht vorgebracht.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 Abs. 1 ZPO. Die unterliegende Partei trägt die Kosten des Rechtsstreits.

Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 61 Abs. 1 ArbGG i.V.m. § 42 Abs. 3 GKG und § 3 ZPO. Der Kündigungsschutzantrag war mit drei Bruttomonatsentgelten zu bewerten, der Weiterbeschäftigungsantrag mit zwei Bruttomonatsentgelten.