Zusammensetzung des Betriebsrats nach Geschlechtern

LAG Rheinland-Pfalz 10 TaBV 743/02 vom 13. Nov. 2002

Gründe

I. Die Beteiligten streiten im Rahmen eines Wahlanfechtungsverfahrens über die personelle Zusammensetzung des Betriebsrats (Beteiligter zu 2).

Am 06.03.2002 fand im Betrieb des Arbeitgebers (Beteiligter zu 5) eine Betriebsratswahl statt. Wahlberechtigt waren 41 Arbeitnehmerinnen und 92 Arbeitnehmer. Für die Wahl des siebenköpfigen Betriebsrats waren drei Vorschlagslisten eingereicht worden, auf denen jeweils nur eine Frau - und zwar auf dem fünften Platz der Liste I, dem vierten Platz der Liste II sowie auf dem dritten Platz der Liste III - und ansonsten ausschließlich Männer kandidierten. Auf die Listen I und III entfielen jeweils 34 Stimmen, auf die Liste II 35 Stimmen.

Unter Anwendung des in § 5 WahlO vorgeschriebenen d'Hondtschen Höchstzahlensystems errechnete der Wahlvorstand für das Geschlecht, welches sich in der Belegschaft in der Minderheit befindet, d. h. für die Frauen, einen Mindestanteil von zwei Betriebsratssitzen. Da sich unter den auf die Vorschlagslisten entfallenen Höchstzahlen keine Frau befand, führte der Wahlvorstand sodann das in § 15 Abs. 5 WahlO vorgesehene Verfahren durch und gelangte dabei zu der Feststellung, dass anstelle der männlichen Bewerber auf Platz 3 der Liste II und auf Platz 2 der Liste III die beiden auf diesen Listen befindlichen Frauen in den Betriebsrat gewählt sind.

Das Wahlergebnis wurde am 06.03.2002 bekannt gemacht.

Die fünf Antragsteller, allesamt wahlberechtigte Arbeitnehmer des Beteiligten zu 5), haben am 20.03.2002 die Wahl angefochten. Sie sind der Ansicht, es seien nicht nur zwei sondern vielmehr drei Frauen in den Betriebsrat gewählt worden. Dies ergebe sich aus § 15 Abs. 2 BetrVG, wonach das Minderheitsgeschlecht mindestens entsprechend seinem zahlenmäßigen Verhältnis im Betriebsrat vertreten sein müsse. Da im Betrieb des Beteiligten zu 5) bei Erlass des Wahlausschreibens 41 Frauen und 92 Männer beschäftigt worden seien, was rechnerisch einem Anteil der Frauen von 30,8 % an der Gesamtbelegschaft entspreche, stünden den Frauen auch mindestens 30,8 % der sieben Betriebsratssitze zu. Die sich hieraus rechnerisch ergebende Anzahl von 2,15 Sitzen sei wegen der zwingenden Vorschrift des § 15 Abs. 2 BetrVG auf drei aufzurunden. Anstelle des männlichen Bewerbers auf Platz 2 der Liste I, Herrn W G (Beteiligter zu 3), sei daher die auf Platz fünf dieser Liste befindliche Bewerberin S L (Beteiligte zu 4) in den Betriebsrat gewählt.

Die Antragsteller haben beantragt,

festzustellen, dass anstelle des Beteiligten W G Frau S L in den Betriebsrat gewählt worden ist.

Der Betriebsrat sowie der Beteiligte zu 3) haben beantragt,

den Antrag zurückzuweisen.

Das Arbeitsgericht hat mit Beschluss vom 19.06.2002, auf dessen tatbestandlichen Teil (Bl. 46 und 47 d. A.) zur Darstellung des erstinstanzlichen Sach- und Streitstandes Bezug genommen wird, dem Antrag stattgegeben. Hinsichtlich der maßgeblichen Entscheidungsgründe wird auf die Seiten 5 bis 17 dieses Beschlusses (= Bl. 48 bis 60 d. A.) verwiesen.

Gegen den ihnen am 03.07.2002 zugestellten Beschluss haben der Betriebsrat und der Beteiligte zu 3) am 17.07.2002 Beschwerde beim Landesarbeitsgericht Rheinland - Pfalz eingelegt und diese am 20.08.2002 begründet.

Die Beschwerdeführer tragen im Wesentlichen vor, die Entscheidung des Arbeitsgerichts beruhe auf einer fehlerhaften Auslegung des § 15 Abs. 2 BetrVG. Aus dieser Vorschrift ergebe sich nämlich nicht, dass das Minderheitsgeschlecht mindestens entsprechend seinem prozentualen Anteil an der Belegschaft im Betriebsrat vertreten sein müsse. Die Norm stelle vielmehr auf das zahlenmäßige Verhältnis ab, welches jedoch in verschiedener Weise, u. a. auch gerade durch die Methode nach d'Hondt ermittelt werden könne. Die vom Arbeitsgericht vertretene Auffassung sei auch nicht mit Artikel 3 Abs. 2 GG in Einklang zu bringen sondern führe in vielen Fällen zu einer vom Gesetzgeber nicht gewollten Überrepräsentation des Minderheitsgeschlecht. Sei beispielsweise in einem Betrieb mit insgesamt 10.000 Arbeitnehmern nur eine Frau beschäftigt, so würde dieser, folge man der Auffassung des erstinstanzlichen Gerichts, ein Sitz im Betriebsrat zustehen.

Zur Darstellung des Vorbringens der Antragsgegner im Beschwerdeverfahren im Weiteren wird auf die Beschwerdebegründungsschrift vom 16.08.2002 (Bl. 87 bis 92 d. A.) sowie auf den ergänzenden Schriftsatz vom 11.11.2002 (Bl. 111 und 112 d. A.) Bezug genommen.

Die Antragsgegner beantragen,

den Beschluss des Arbeitsgerichts Ludwigshafen vom 19.06.2002, AZ: 8 BV 820/02, aufzuheben und den Antrag der Beteiligten zu 1) zurückzuweisen.

Die Antragsteller beantragen,

die Beschwerde zurückzuweisen.

Die Antragsteller verteidigen den mit der Beschwerde angefochtenen Beschluss und tragen unter Bezugnahme auf ihr erstinstanzliches Vorbringen im Wesentlichen vor, aus § 15 Abs. 2 BetrVG ergebe sich eindeutig, dass der Anteil des Minderheitsgeschlechts im Betriebsrat nicht geringer als dessen Anteil an der Belegschaft sein dürfe.

Zur Darstellung des Vorbringens der Antragsteller im Beschwerdeverfahren im Weiteren wird auf die Beschwerdeerwiderungsschrift vom 24.09.2002 (Bl. 107 und 108 d. A.) Bezug genommen.

II. Die statthafte Beschwerde ist sowohl form- als auch fristgerecht eingelegt und begründet worden. Das hiernach insgesamt zulässige Rechtsmittel hat auch in der Sache Erfolg.

Der zulässige Antrag auf Feststellung, dass die Beteiligte zu 4) anstelle des Beteiligten zu 3) in den Betriebsrat gewählt worden ist, ist nicht begründet.

1. Der Antrag ist zulässig.

Die fünf Antragsteller sind als Wahlberechtigte gemäß § 19 Abs. 2 Satz 1 BetrVG zur Wahlanfechtung berechtigt. Die Anfechtung der Wahl erfolgte auch innerhalb der in § 19 Abs. 2 Satz 2 BetrVG normierten Frist von zwei Wochen nach Bekanntgabe des Wahlergebnisses.

Der Antrag ist auch in der gewählten Form zulässig. Ein Anfechtungsantrag nach § 19 Abs. 1 BetrVG muss nämlich nicht darauf gerichtet sein, die Wahl insgesamt für unwirksam zu erklären. Vielmehr kann der Anfechtungsantrag, wie im vorliegenden Fall, auf die (bloße) Berichtigung des Wahlergebnisses beschränkt werden (vgl. DLW/Wildschütz, I/Rd-Ziffer 381 m. N. a. d. Rspr.). Für die Zulässigkeit eines solchen Antrages ist es auch grundsätzlich ohne Belang, ob der geltend gemachte bzw. im Anfechtungsverfahren festgestellte Wahlfehler durch eine Berichtigung behoben werden kann. Ist dies nicht möglich, so ist der zu enge Berichtigungsantrag nicht als unzulässig sondern als unbegründet abzuweisen. In diesem Fall ist das Gericht wegen der Bindung an den Antrag nicht berechtigt, die Wahl insgesamt für unwirksam zu erklären (vgl. Kreutz, GK - BetrVG, 6. Auflage, § 19 Rd-Ziffer 118 m. N. a. d. Rspr.).

2. Der Antrag ist jedoch nicht begründet. Die Beteiligte zu 4) ist nicht anstelle des Beteiligten zu 3) in den Betriebsrat gewählt.

Entgegen der Ansicht der Antragsteller beläuft sich der Mindestanteil der Betriebsratssitze für das Geschlecht in der Minderheit im vorliegenden Fall nicht auf drei sondern vielmehr auf lediglich zwei Sitze. Nach dem übereinstimmenden Vorbringen der Beteiligten waren bei Erlass des Wahlausschreibens im Betrieb insgesamt 41 Arbeitnehmerinnen und 92 Arbeitnehmer beschäftigt. Auf die Frauen entfielen somit bei Anwendung des in § 5 WahlO vorgeschriebenen d'Hondtschen Höchstzahlensystems - wie vom Wahlvorstand zutreffend errechnet - zwei Mindestsitze.

§ 5 WahlO verstößt nicht gegen höherrangiges Recht (hier: § 15 Abs. 2 BetrVG). Mit Erlass dieser Vorschrift hat der Verordnungsgeber Gebrauch gemacht von der in § 126 Nr. 5 a BetrVG enthaltenen Ermächtigung, durch Rechtsverordnung u. a. die Verteilung der Sitze im Betriebsrat auf die Geschlechter zu regeln. Das dabei vom Verordnungsgeber gewählte d'Hondtsche Höchstzahlensystem zur Errechnung der dem Minderheitsgeschlecht zustehenden Anzahl von Mindestsitzen widerspricht - entgegen der Auffassung der Antragsteller - nicht der in § 15 Abs. 2 BetrVG enthaltenen Regelung, wonach das Geschlecht in der Minderheit mindestens entsprechend seinem zahlenmäßigen Verhältnis im Betriebsrat vertreten sein muss. Zwar kann die Anwendung des d' Hondtschen Systems, wie im vorliegenden Fall, dazu führen, dass das Geschlecht in der Minderheit weniger Sitze erhält als es seinem prozentualen Anteil an der Gesamtbelegschaft entspricht. Gleichwohl steht § 5 WahlO insoweit in Einklang mit § 15 Abs. 2 BetrVG. Eine dem prozentualen Anteil entsprechende Anzahl von Mindestsitzen für das Geschlecht in der Minderheit ist nämlich in § 15 Abs. 2 BetrVG nicht vorgeschrieben. Dies ergibt sich bereits aus dem Wortlaut der Norm. Der dort vom Gesetzgeber verwendete Begriff "zahlenmäßiges Verhältnis" ist nämlich, auch im allgemeinen Sprachgebrauch, nicht gleichbedeutend mit dem Begriff "prozentualer Anteil". Für die Berechnung eines zahlenmäßigen Verhältnisses gibt es eine Vielzahl von Methoden. Eine hiervon ist das vom Verordnungsgeber gewählte d'Hondtsche Höchstzahlensystem. Es ist allgemein anerkannt und begegnet keinerlei Zweifel, dass dieses System, welches u. a. auch früher bei der Bundestagswahl angewendet wurde, geeignet ist, das zahlenmäßige Verhältnis verschiedener Personengruppen zueinander rechnerisch auszudrücken bzw. darzustellen. Somit bestehen auch keinerlei Bedenken hinsichtlich der Anwendung des d'Hondtschen Höchstzahlensystems bei der Berechnung der dem Minderheitsgeschlecht entsprechend seinem zahlenmäßigen Verhältnis nach § 15 Abs. 2 BetrVG zustehenden Anzahl von Mindestsitzen.

Nichts anderes ergibt sich aus dem in § 15 Abs. 2 BetrVG enthaltenem Wort "mindestens". Dieses Wort enthält nämlich keine Vorgaben zur Ermittlung des zahlenmäßigen Verhältnisses. Vielmehr wird damit dem Minderheitsgeschlecht die Möglichkeit einer Überrepräsentanz eingeräumt. Dies ergibt sich aus der Entstehungsgeschichte der betreffenden Norm. In dem am 02.04.2001 in den Bundestag eingebrachten Gesetzentwurf der Bundesregierung(BT - Drucksache 14/5741) war für § 15 Abs. 2 BetrVG folgender Wortlaut vorgesehen: "Die Geschlechter müssen entsprechend ihrem zahlenmäßigen Verhältnis im Betriebsrat vertreten sein, wenn dieser aus mindestens drei Mitgliedern besteht". Diese Formulierung ist im Rahmen der Beratungen des Ausschusses für Arbeit und Sozialordnung auf Kritik gestoßen, da die vorgesehene Regelung verhindert hätte, dass Frauen auch über ihr zahlenmäßiges Verhältnis hinaus in den Betriebsrat gewählt werden können. Gerade im Hinblick auf diesen Umstand hat der Ausschuss für Arbeit und Sozialordnung die nunmehr in § 15 Abs. 2 BetrVG enthaltene Formulierung empfohlen (BT - Drucksache 14/6352, dort Seite 54). Die "Mindestregelung" soll daher ausschließlich die Möglichkeit einer Überrepräsentanz des Geschlechts in der Minderheit gewährleisten. Für die Berechnung des zahlenmäßigen Verhältnisses ist dies jedoch ohne Bedeutung.

Sonstige Umstände, welche zu der von den Antragstellern begehrten Korrektur des Wahlergebnisses führen könnten, sind nicht ersichtlich.

III. Der Wahlanfechtungsantrag war daher unter Abänderung des erstinstanzlichen Beschlusses abzuweisen.

Die Rechtsbeschwerde an das Bundesarbeitsgericht wurde wegen der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache zugelassen.