Zum Thema "räumliche Nähe"
Dkk § 4 Rn 34
Die Frage der »räumlich weiten Entfernung« ist gegenüber dem Hauptbetrieb (vgl. Rn. 10 ff., 23 ff.) zu beurteilen und nicht allein unter dem Gesichtspunkt der objektiven, nach Kilometern bemessenen Entfernung zu prüfen. Entscheidend ist vielmehr, ob trotz der gegebenen Entfernung eine ordnungsgemäße Betreuung der in dem Betriebsteil beschäftigten AN durch den BR des Hauptbetriebs möglich ist (BAG 24. 2. 76, AP Nr. 2 zu § 4 BetrVG 1972; ErfK-Eisemann, Rn. 3; Fitting, Rn. 19; GK-Kraft/Franzen, Rn. 10 ff.; Richardi, Rn. 16). Die Vorschrift verdeutlicht den Zweck der Bildung von »Wahlkreisen« dort, wo eine enge Kommunikation zwischen BR und AN besteht (vgl. Kohte, Anm. zu BAG 29. 1. 92, AP Nr. 1 zu § 7 BetrVG 1972). Es müssen die Voraussetzungen gegeben sein, die dazu führen, die Belegschaft als eine Einheit mit eigenem Leben anzusehen (ablehnend Fitting, Rn. 19). Ausschlaggebend sind somit die tatsächlichen Lebensverhältnisse, insbes. die Verkehrsmöglichkeiten (Qualität der Verbindungen, z. B. nur sporadisch verkehrende Busse oder Bahnen, häufiges Umsteigen, erforderliche Gesamtfahrzeit gemessen an der reinen km-Entfernung sehr hoch, trotz geringer km-Entfernung häufige Staus im Stadtverkehr usw.) und die Gewährleistung der Zusammenarbeit der AN mit dem BR. Unerheblich ist, ob die betreffenden Betriebsteile in derselben polit. Gemeinde liegen (ErfK-Eisemann, a. a. O.). Wenn die Entfernung persönliche Kontakte zwischen den Belegschaftsangehörigen unmöglich macht, wenn der BR nicht in der Lage ist, sich über die persönlichen Angelegenheiten aller Angehörigen des Betriebs und der Betriebsteile aus unmittelbarer und ständiger Anschauung selbst zu unterrichten, so kann der Betriebsteil nicht mehr zum Hauptbetrieb gerechnet werden (BAG 23. 9. 60 und 24. 9. 68, AP Nrn. 4, 9 zu § 3 BetrVG). Das Gleiche gilt, wenn BR-Mitglieder nicht mehr, ggf. auch kurzfristig, zu einer Sitzung zusammentreten können (Fitting, Rn. 19). In neueren Entscheidungen wird wieder – wie schon in früheren Entscheidungen auch des BAG – entscheidend auch auf die leichte Erreichbarkeit des BR für die einzelnen AN des Betriebsteils abgestellt, so dass nicht nur die Kommunikationsbeziehung BR–AN von Bedeutung ist, sondern auch die Beziehung AN–BR (z. B. zwecks Aufsuchens der BR-Sprechstunde; vgl. etwa LAG Köln 13. 4. 89, AiB 90, 359, Ls.; LAG Baden-Württemberg 29. 10. 71, DB 71, 2267: »in erster Linie ist auf die Nähe des BR zur Belegschaft und erst in zweiter Linie auf die Nähe des BR zur Betriebsleitung abzustellen«; ebenso schon BAG 1. 2. 63, 23. 9. 60, AP Nrn. 5, 4 zu § 3 BetrVG; ähnlich bereits LAG Hamm 21. 8. 53, AuR 53, 380 mit Anm. Schnorr).
Rn 35
Der Begriff »räumlich weit vom Hauptbetrieb entfernt«, wie er in Nr. 1 verwendet wird, ist ein unbestimmter Rechtsbegriff, so dass dem Tatsachengericht (ArbG, LAG) bei der Gesamtwertung der einschlägigen Tatsachen ein Beurteilungsspielraum zusteht, der nur beschränkt der Nachprüfung durch die Rechtsbeschwerde zugänglich ist (vgl. BAG 29. 3. 77, AuR 78, 254). Daraus ergibt sich bereits, dass für einen gewissen Entfernungsbereich relativ sichere Aussagen darüber möglich sind, ob der Betriebsteil noch zum Hauptbetrieb zählt, weil er als nicht räumlich weit entfernt gilt; sodann schließt sich ein Entfernungsbereich an, bei dem sichere Prognosen darüber, wie ein Gericht entscheiden würde, kaum möglich sind. Hier wird man neben der Qualität der Verkehrsverbindungen auch mit darauf abstellen müssen, wo die Entscheidungen des Arbeitgebers in mitbestimmungspflichtigen Angelegenheiten getroffen werden (vgl. aber mit beachtlichen Argumenten LAG Köln 13. 4. 89, AiB 90, 359, Ls., das der Nähe zwischen BR und Belegschaft größeres Gewicht beimisst als dem Vorhandensein des sozialen Gegenspielers am Ort der Belegschaftsvertretung; ebenso die in Rn. 34 erwähnten älteren BAG-Entscheidungen). Ebenso sollte in die Wertung die Belegschaftsstärke des Betriebsteils einbezogen werden (vgl. Rn. 32). Schließlich gibt es den Entfernungsbereich, der wieder relativ sichere Aussagen zulässt, weil er bereits nach der Verkehrsanschauung als »weite Entfernung« angesehen wird, so dass der Betriebsteil einen eigenen BR erhält (ebenso LAG Köln 13. 4. 89, a. a. O.). Die Maßstäbe für noch hinnehmbare räumliche Entfernungen können u. U. dann großzügiger bemessen werden, wenn moderne Informations- und Kommunikationstechnik zur jederzeitigen uneingeschränkten Nutzung bereitsteht (vgl. Rn. 25 a. E.; beispielhaft insoweit ArbG Berlin 19. 11. 99, NZA-RR 01, 36, das einer Abteilung aus 26 im Außendienst tätigen Kundendienstmonteuren, deren Arbeitseinsatz von einer »schlichten« Vorgesetztenstelle auf telekommunikativem Wege gesteuert wurde, wegen einer Entfernung des Servicegebietes vom Hauptbetrieb von ca. 500 – 800 km als betriebsratsfähigen Betriebsteil ansah). Allerdings darf nicht verkannt werden, dass die hierin liegende Reduzierung von Kommunikation auf einen technikgestützten Vorgang deren soziale Komponente verdrängen kann.
Rn 36
36 Nach der Rspr. werden bei guter Straßen- und Bahnverbindung als nicht räumlich weit angesehen, so dass die Zuordnung des Betriebsteils zum Hauptbetrieb erfolgt:
– 7 – 14 km:
(LAG Hannover 13. 2. 54, BetrR 54, 200 ff.);
– 10 km:
(BAG 5. 6. 64, AP Nr. 7 zu § 3 BetrVG);
– 15 km:
(ArbG Mannheim 6. 6. 53 – 2 Ca 605/53);
– 17 km:
(LAG Hamm 9. 12. 77, DB 78, 1282);
– 20 km:
(LAG München 28. 9. 53, AP 54 Nr. 73; LAG Köln 4. 5. 00, AiB 01, 353 m. Anm. W. Schneider);
– 22 km:
(BAG 17. 2. 83, AP Nr. 4 zu § 4 BetrVG 1972; LAG Hamburg 1. 11. 82, BB 83, 1095);
– 27 km:
(ArbG Lörrach 5. 3. 81 – 3 BV 31/81);
– 30 km:
(ArbG Braunschweig 9. 3. 72 – 1 BV 1/72);
– 35 km:
(ArbG Mannheim 13. 12. 72 – 4 BV 5/72);
– 40 – 45 km:
(BAG 24. 2. 76, AP Nr. 2 zu § 4 BetrVG 1972; 29. 3. 77, AuR 78, 254 [mit kritischer Anm. Birk, AuR 78, 226]; LAG Niedersachsen 12. 10. 82 – 12 TaBV 5/81; ArbG Hagen 4. 4. 02 – 2 BV 35/01 –, wenn die notwendige Fahrzeit unter einer Stunde liegt);
– 60 – 65 km:
(ArbG Minden 2. 3. 72 – BV 1/72, jedoch nur, weil eine optimale Betreuungsmöglichkeit durch den BR des Hauptbetriebes gewährleistet werden konnte);
– 70 km:
(BAG 24. 9. 68, AP Nr. 9 zu § 3 BetrVG; wegen optimaler Betreuung durch freigestellte BR-Mitglieder wurde die Entfernung Köln – Essen als nicht weit entfernt angesehen; LAG Köln 13. 4. 89, AiB 90, 359 sieht dieselbe Strecke zu Recht als weit an).
usw.