Gerichtliche Bestellung eines Wahlvorstands im Hauptsacheverfahren; Funktionsunfähiger Wahlvorstand

LAG Köln 3 TaBVGa 3/13 vom 29. Mai 2013

Leitsatz

Die gerichtliche Ergänzung eines funktionsunfähigen Wahlvorstands ist im Wege des einstweiligen Rechtschutzes nicht möglich.

Tenor

Die Beschwerde der Beteiligten zu 1) gegen den Beschluss des Amtsgerichts Aachen vom 19.03.2013 – 3 BVGa 1/13 h – wird zurückgewiesen

Gründe

I.

Die Beteiligten streiten im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes über die personelle Ergänzung eines Wahlvorstands zur Betriebsratswahl im Betrieb der Beteiligten zu 2).

Die Beteiligte zu 1) ist eine Gewerkschaft. Die Beteiligte zu 2) ist ein Automobilunternehmen mit mehr als 50 Arbeitnehmern und gehört der sog. J -Gruppe an. Im Betrieb der Beteiligten zu 2) existiert - wie in allen anderen gruppenzugehörigen Unternehmen kein Betriebsrat.

Am 20.10.2011 fand im Betrieb der Beteiligten zu 2) auf Einladung der Beteiligten zu 1) eine Wahlversammlung zur Wahl eines Wahlvorstands für eine Betriebsratswahl statt. In dieser Wahlversammlung wurde kein Wahlvorstand gewählt. Die Beteiligte zu 1) leitete daraufhin im Dezember 2011 ein arbeitsgerichtliches Beschlussverfahren mit dem Antrag auf gerichtliche Bestellung eines Wahlvorstands zur Durchführung einer Betriebsratswahl ein. Mit Beschluss vom 03.05.2012 bestellte das Arbeitsgericht Aachen einen Wahlvorstand im Betrieb der Beteiligten zu 2) und ernannte die Herren S , H und M zu dessen Mitgliedern (1 BV 221/11 h). Noch vor Zustellung des Beschlusses am 09.08.2012 legten die Herren H und M mit gleichlautenden Schreiben vom 09.07.2012 ihr Amt als Wahlvorstand mit sofortiger Wirkung nieder. Die Beteiligte zu 2) legte gegen den arbeitsgerichtlichen Beschluss am 14.08.2012 Beschwerde beim Landesarbeitsgericht Köln ein und begründete diese am 01.10.2012 dahingehend, dass der Wahlvorstand nach der Amtsniederlegung zweier Mitglieder mangels Ersatzmitgliedern durch das Arbeitsgericht ergänzt werden müsse. Mit Schriftsatz vom 13.02.2013 beantragte die Beteiligte zu 1) in diesem Verfahren im Wege der Anschlussbeschwerde an Stelle der zurückgetretenen Wahlvorstandmitglieder die Gewerkschaftsmitglieder Frau W - und Herrn K zu Mitgliedern des Wahlvorstands zu ernennen. In der mündlichen Verhandlung vom 15.02.3013 vor dem Landesarbeitsgericht nahm die Beteiligte zu 2) ihre Beschwerde zurück, woraufhin das Verfahren durch das Gericht eingestellt wurde (9 TaBV 67/12).

Am 26.02.2013 hat daraufhin die Beteiligte zu 1) das vorliegende einstweilige Verfügungsverfahren eingeleitet. Ein erneutes Hauptsacheverfahren ist ebenfalls beim Arbeitsgericht Aachen anhängig gemacht worden. Eine Entscheidung steht in diesem Verfahren noch aus.

Die Beteiligte zu 1) hat geltend gemacht, ihr Vertreter, Herr S , habe sich mehrfach vergeblich im Betrieb darum bemüht, Beschäftigte zu finden, die zur Übernahme des Wahlvorstandsamts bereit seien. Daher habe sie nunmehr zwei ihrer Mitglieder benannt, die entsprechende Bereitschaft bekundet hätten. Der rechtskräftig unvollständig benannte Wahlvorstand sei nachträglich personell zu ergänzen, nachdem er wegen des Rücktritts zweier Mitglieder handlungsunfähig geworden sei. Der Verfügungsgrund ergebe sich aus der gebotenen Dringlichkeit im Hinblick auf die von § 18 Abs. 1 Satz 1 BetrVG gesetzlich geforderte unverzügliche Einleitung der Betriebsratswahl durch den Wahlvorstand. Sämtlichen tatsächlichen Vortrag hat die Beteiligte zu 1) durch entsprechende eidesstattliche Versicherungen glaubhaft gemacht.

Die Beteiligte zu 1) hat beantragt,

im Wege der einstweiligen Verfügung Betrieb der Beteiligten zu 2) ergänzend folgende Personen zu benennen:

1. Frau M W 2. Herrn M K

Die Beteiligte zu 2) hat beantragt,

den Antrag zurückzuweisen.

Die Beteiligte zu 2) hat zunächst gerügt, dass die Beteiligte zu 1) ihre Behauptung, sie sei im Betrieb vertreten, nicht hinreichend konkretisiert habe. Sie bestreitet mit Nichtwissen, dass sich die Beteiligte zu 1) darum bemüht habe, Beschäftigte zu finden, die bereit gewesen wären, das Amt des Wahlvorstands zu übernehmen. Sie hat ferner die Auffassung vertreten, die Beteiligte zu 1) habe die erforderliche besondere Eilbedürftigkeit für das vorliegende Verfahren nicht glaubhaft gemacht. Nach Kenntnis von der Amtsniederlegung der Herren H und M im Juli 2012 habe sei erst sieben Monate später erstmalig mit der Anschlussbeschwerde im Februar 2013 reagiert. Es sei nicht ersichtlich, warum sie diese lange Zeit zugewartet habe.

Das Arbeitsgericht hat mit Beschluss vom 19.03.2013 den Antrag zurückgewiesen. In der Begründung ist es im Wesentlichen der Argumentation der Beteiligten zu 2) gefolgt, es fehle im Hinblick auf das lange Zuwarten nach dem Rücktritt der beiden Wahlvorstandsmitglieder im Juli 2012 jedenfalls an der Glaubhaftmachung des erforderlichen Verfügungsgrundes. Wegen der Begründung im Einzelnen wird auf die Gründe des erstinstanzlichen Beschlusses (Bl. 83 ff. d. A.) Bezug genommen. Die Beteiligte zu 1) hat gegen diesen ihr am 25.03.2013 zugestellten Beschluss am 04.04.2013 Beschwerde eingelegt und hat diese am 12.04.2013 begründet.

Die Beteiligte zu 1) meint, eine selbstverschuldete Verzögerung liege nicht vor. Da erst am 15.02.2013 formell rechtskräftig festgestanden habe, dass im Betrieb der Beteiligten zu 2) ein Wahlvorstand bestellt sei und dass dieser in seiner personellen Zusammensetzung nicht mehr zusammentreten könne, habe sie den vorliegenden Antrag nicht früher stellen können. Bei einem vor Rechtskraft gestellten Antrag wäre der Beteiligten zu 1) entgegengehalten worden, dass sie die personelle Ergänzung des Wahlvorstands im laufenden Hauptsacheverfahren geltend machen könne (wie auch geschehen), dass sie die Entscheidung des Landesarbeitsgerichts abwarten müssen und dass sie nicht genug Zeit darauf verwendet habe, im Betrieb weiter nach internen Beschäftigten für den Wahlvorstand zu suchen. Erst recht sei nicht ersichtlich, auf welche Weise eine - unterstellt - positiv beschiedene einstweilige Verfügung hätte umgesetzt werden sollen. Erst mit Rücknahme der Beschwerde durch die Beteiligte zu 2) habe rechtskräftig festgestanden, dass ein - wenn auch personell unvollständiger - Wahlvorstand im Betrieb der Beteiligten zu 2) bestellt sei.

Das vorliegende einstweilige Verfügungsverfahren sei erforderlich, da davon auszugehen sei, dass die Beteiligte zu 2) alle Möglichkeiten in formeller und materieller Hinsicht ergreifen werde, um die Wahl eins Betriebsrats in ihrem Betrieb zu verhindern.

Die Beteiligte zu 1) bestreitet, dass die bislang nicht zustande gekommene Bestellung eines Wahlvorstands auf das Verhalten und die Person des Gewerkschaftssekretärs S zurück zu führen sei. Im Gegenteil habe dieser noch am 23.05.2013 mit Mitgliedern der Beteiligten zu 1) telefoniert und nach der Bereitschaft zur Übernahme des Wahlvorstandamtes gefragt.

Die Beteiligte zu 1) beantragt,

unter Abänderung des Beschlusses des Arbeitsgerichts Aachen vom 19.03.2013 - 3 BVGa 1/13 h -,

im Wege der einstweiligen Verfügung zu Mitgliedern des Wahlvorstands zur Durchführung der Betriebsratswahl im Betrieb der Beteiligten zu 2) ergänzend folgende Personen zu benennen:

1. Frau M W S 2. Herrn M K

Die Beteiligte zu 2) beantragt,

die Beschwerde zurückzuweisen.

Die Beteiligte zu 2) bestreitet weiterhin, dass die Beteiligte zu 1) eine durch ihre Mitglieder im Betrieb vertretene Gewerkschaft sei. Sie behauptet, es sei auf die unglückliche Art des Gewerkschaftssekretärs S in der Wahlversammlung am 20.11.2011 zurückzuführen, dass dort ein Wahlvorstand nicht gewählt worden sei. Die Beteiligte zu 2) wolle keinen Wahlvorstand verhindern, sondern, es werde lediglich der Gewerkschaftssekretär S als "nicht geeignet" angesehen.

In verfahrensrechtlicher Hinsicht tritt die Beteiligte zu 2) der erstinstanzlichen Entscheidung bei und meint ebenfalls, die Beteiligte zu 1) habe zu lange zugewartet, bevor sie die einstweilige Verfügung beantragt habe. Außerdem fehle es an hinreichend substantiiertem Sachvortrag der Beteiligten zu 1) dazu, welche konkreten Bemühungen sie unternommen habe, Betriebsangehörige zu finden, die zu einer Übernahme des Wahlvorstandsamts bereit gewesen seien. Schließlich bestreitet die Beteiligte zu 2) mit Nichtwissen, dass Frau W -S und Herr K hierzu bereits seien.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen sowie die Sitzungsniederschriften Bezug genommen.

II.

1. Die Beschwerde der Beteiligten zu 1) ist zulässig, weil sie statthaft(§ 87 Abs. 1 ArbGG) und frist- sowie formgerecht eingelegt und begründet worden ist (§§ 87 Abs. 2 S. 1, 66 Abs. 1 S. 1, 64 Abs. 6 S. 1 ArbGG, 519,520 ZPO).

2. Die Beschwerde bleibt jedoch in der Sache erfolglos. Das Arbeitsgericht hat den Antrag auf personelle Ergänzung des Wahlvorstands im Ergebnis zu Recht zurückgewiesen.

a) Zwar scheitert das Begehren der Beteiligten zu 1) nicht am Fehlen eines Verfügungsgrundes. Eine selbstverschuldete Eilbedürftigkeit liegt nicht vor, denn es ist allein auf das prozessuale Verhalten der Beteiligten zu 2) zurückzuführen, dass die Beteiligte zu 1) erst so spät eine Ergänzung des Wahlvorstands gerichtlich beantragen konnte. Denn Voraussetzung hierfür ist das Vorliegen eines rechtskräftig bestellten Wahlvorstands. Aufgrund des seitens der Beteiligten zu 2) eingelegten Rechtsmittels und der spätestmöglichen Rücknahme (im Termin der mündlichen Verhandlung vor dem Beschwerdegericht), ist Rechtskraft aber erst am 15.02.2013 eingetreten.

b) Es fehlt jedoch an dem ebenfalls erforderlichen Verfügungsanspruch.

aa) Grundsätzlich kann jedes Mitglied sein Amt im Wahlvorstand jederzeit niederlegen (Richardi/Thüsing, BetrVG, 13. Aufl., § 16 Rn. 60). In diesem Fall rückt ein Ersatzmitglied nach. Ist kein Ersatzmitglied vorhanden, muss der Betriebsrat ein neues Mitglied bestellen. Besteht noch kein Betriebsrat, erfolgt die Ergänzung des durch die Amtsniederlegung unvollständig und damit funktionsunfähig gewordenen Wahlvorstands durch das Arbeitsgericht auf Antrag der nach § 17 Abs. 4 BetrVG gesetzlich Antragsberechtigten. Dies entspricht der gefestigten Rechtsprechung des Bundesarbeitsgericht und der Instanzgerichte sowie der allgemeinen Auffassung im Schrifttum (vgl. BAG, Beschluss vom 14.12.1965 - 1 ABR 6/65, AP Nr. 5 zu § 16 BetrVG, LAG Düsseldorf, Beschluss vom 07.11.1974 - 7 TaBV 87/74, DB 1975, 260; LAG Hamm, Beschluss vom 02.10.2009 - 10 TaBV 27/09; Fitting, BetrVG, 16. Aufl., § 16 Rn. 64; Richardi/Thüsing, BetrVG, 13. Aufl., § 16 Rn. 60; WPK/Wlotzke, BetrVG, 4. Aufl., § 16 Rn. 7).

bb) Diese gerichtliche Ergänzung eines funktionsunfähigen Wahlvorstands ist jedoch nicht im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes möglich.

Zwar ist für Streitigkeiten über das Verfahren der Betriebsratswahl nach allgemeiner Auffassung grundsätzlich auch der einstweilige Rechtsschutz eröffnet (GK/Kreutz, BetrVG, 9. Aufl., § 16 Rn. 85; HSWGNR/Nicolai, BetrVG, 8. Aufl., § 17 Rn. 35 ff.). Von diesem Grundsatz gilt aber eine Ausnahme für die Bestellung des Wahlvorstands durch das Arbeitsgericht. Das folgt aus der Gesetzessystematik.

Nach § 17 Abs. 4 BetrVG kommt dem Arbeitsgericht bei der Bestellung des Wahlvorstands nur eine gesetzliche Auffangfunktion zu. Nur dann, wenn auf dem originär vom Gesetz vorgesehenen Weg über die Wahlversammlung kein Wahlvorstand zustande kommt, kann die arbeitsgerichtliche Bestellung beantragt werden. Eine derartige gerichtliche Bestellung wird nach allgemeinen Grundsätzen des arbeitsgerichtlichen Beschlussverfahrens erst mit Rechtskraft des Beschlusses wirksam (LAG Niedersachsen, Beschluss vom 04.12.2003 - 16 TaBV 91/03, NZA-RR 2004, 197; Düwell/Brors, BetrVG, 3. Aufl., § 17 Rn. 10). Dementsprechend kann in einer Betriebsversammlung noch ein Wahlvorstand gewählt werden, solange kein rechtskräftiger gerichtlicher Bestellungsbeschluss vorliegt (vgl. BAG, Beschluss vom 19.03.1974 -1 ABR 87/73, AP Nr. 1 zu § 17 BetrVG 1972; WPK/Wlotzke, BetrVG, 4. Aufl., § 17 Rn. 13).

Für die wirksame gerichtliche Bestellung eines Wahlvorstands ist damit ein rechtskräftiger Beschluss in der Hauptsache erforderlich. Denn einstweilige Verfügungen können zwar nicht nur in formelle, sondern unter dem Vorbehalt einer erleichterten Abänderbarkeit entsprechend § 927 ZPO auch in materielle Rechtskraft erwachsen (vgl. BGH, vom 09.12.2004 - III ZR 200/04, NJW 2005, 436; LAG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 18.03.2010 -25 TaBVGa 2608/09, LAGE § 85 ArbGG 1979 Nr. 8). Das gilt aber nur für den Anspruch auf Sicherung oder Regelung nach den §§ 935, 940 ZPO i.V.m.§§ 85 Abs. 2 Satz 2, 87 Abs. 2 ArbGG, nicht aber für den zu sichernden Anspruch selbst. Hierüber kann nur in einem Hauptsacheverfahren entschieden werden (vgl. LAG Berlin-Brandenburg, a.a.O.; LAG Köln, Urteil vom 17.09.2009 – 4 SaGa 10/09 jeweils mit weiteren Nachw.).

Demnach kann die gerichtliche Bestellung eines Wahlvorstands nur in einem Hauptsacheverfahren erfolgen; eine einstweilige Verfügung ist insoweit ausgeschlossen. Das Gleiche gilt für die gerichtliche Ergänzung eines funktionsunfähig gewordenen Wahlvorstands, denn diese erfolgt nach denselben Rechtsgrundsätzen wie die Bestellung.

Etwas anderes könnte allenfalls bei einer rechtsmissbräuchlichen Verhaltensweise des Wahlvorstands gelten, wenn beispielsweise durch eine gezielte Amtsniederlegung einzelner Wahlvorstandsmitglieder letztlich die wirksame Bestellung eines funktionsfähigen Wahlvorstands dauerhaft verhindert würde. Das gälte erst recht, wenn ein derartiges Verhalten des Wahlvorstands durch den Arbeitgeber beeinflusst würde. Anhaltspunkte hierfür waren im vorliegenden Verfahren nicht ersichtlich.

III.

Gegen diese Entscheidung findet nach § 92 Abs. 1 Satz 3 ArbGG die Rechtsbeschwerde nicht statt. Ein Rechtsmittel ist nicht gegeben.

Rechtsmittelbelehrung

Gegen diesen Beschluss ist ein Rechtsmittel nicht gegeben.

Wegen der Möglichkeit der Nichtzulassungsbeschwerde wird auf§ 92a ArbGG verwiesen.

Die gerichtliche Ergänzung eines funktionsunfähigen Wahlvorstands ist im Wege des einstweiligen Rechtschutzes nicht möglich.