Keine informationelle Allzuständigkeit der SBV

ArbG Hamburg Az. 5 BV 13/21 vom 9. Nov. 2021

Leitsatz

1. Der Schwerbehindertenvertretung obliegt keine informationelle Allzuständigkeit. Soweit allgemeine Interessen der Mitarbeiter*innen im Betrieb betroffen sind, obliegt deren Wahrnehmung dem Betriebsrat.

2. Die Schwerbehindertenvertretung hat ein Einsichtsrecht in die Daten der Mitarbeiter*innen im Zusammenhang mit der Bewertung im Rahmen des Personal Development nur insoweit, als es um die konkrete Beurteilung von Mitarbeiter*innen mit Schwerbehinderung bzw. diesen gleichgestellten Mitarbeiter*innen geht.

Etwas Anderes ergibt sich nicht aus dem Argument der Schwerbehindertenvertretung, sie sei zum Zwecke des Vergleichs der Daten betreffend die Festsetzung der Zielerreichungen bzw. der Beurteilungsstufen und der Ausschüttungen der Boni an die Mitarbeiter*innen darauf angewiesen, nicht nur die Daten betreffend die schwerbehinderten und denen gleichgestellten Mitarbeiter*innen einzusehen, sondern auch die Daten sämtlicher Mitarbeiter*innen im Betrieb. Ein derartig allgemeines Informationsrecht der Schwerbehindertenvertretung existiert nicht.

Tenor

1. Der Antrag der Beteiligten zu 1) wird zurückgewiesen.

2. Die Entscheidung ergeht gerichtskostenfrei.

Tatbestand

I.

Die Beteiligte zu 1) (im Folgenden: Antragstellerin) ist die Vertrauensperson der schwerbehinderten Beschäftigten im Unternehmen der Beteiligten zu 2).

Die Beteiligte zu 2) beschäftigt in ihrem Betrieb in Hamburg etwa 700 Mitarbeiter*innen, darunter etwa 30 Personen, die anerkannt schwerbehindert oder einer schwerbehinderten Person gleichgestellt sind.

In dem Betrieb der Beteiligten zu 2) gibt es ein mehrstufiges Zielvereinbarungs- und Beurteilungssystem. Von der Festlegung der Beurteilungsstufe hängt die Höhe der für das jeweilige Kalenderjahr erfolgenden Bonuszahlung und eine etwaige Gehaltserhöhung im darauffolgenden Kalenderjahr an den Beschäftigten ab.

Es gibt drei Beurteilungsstufen:

- needs improvement (= verbesserungswürdig)

- strong (= gut)

- outstanding (= hervorragend).

Es werden zwei Kriterien beurteilt: Verhalten und Leistung. Es ergeben sich also verschiedene Kombination pro Person, z.B. "strong/needs improvement". Die jeweiligen Abteilungsleiter*innen können dann - auf Grundlage des zur Verfügung stehenden individuellen Abteilungsbudgets - festlegen, wie hoch der Bonus (prozentual auf das jeweilige Gehalt gerechnet) für welche der möglichen Kombinationen ausfallen soll.

Das System ist in der Betriebsvereinbarung "Personal Developement (PD)" (im Folgenden: BV PD) und in der "Betriebsvereinbarung zur leistungsabhängigen Bonuszahlung für die Grade BA2 bis VP Jahr 2019" geregelt.

In § 8 "Schutzbestimmungen" der BV PD ist geregelt:

8.1. Mitarbeiter mit einer Behinderung gemäß SGB IX

Bei der jeweiligen Zielfestlegung für diesen Personenkreis wird auf Wunsch des betroffenen Mitarbeiters die jeweilige Behinderung berücksichtigt. Daher können sich die Ziele (und damit auch die Zielerreichung) in diesen Fällen von denen anderer Mitarbeiter unterscheiden.

Unberührt bleiben die Bestimmungen des AGG.

Im Vorfeld der Unterrichtung der Beschäftigten über die Festlegung ihrer Beurteilungsstufen und der Höhe der daraus resultierenden Bonuszahlung erstellt die Beteiligte zu 2) eine Datensammlung ("Gesamtliste"), aus der sich jedenfalls Name, Vorname, Abteilung, Schwerbehinderteneigenschaft, Gleichstellung, die beabsichtigte Beurteilungsstufe (für das laufende Kalenderjahr), der beabsichtigte Bonus (für das laufende Kalenderjahr) sowie eine etwaig beabsichtigte Gehaltserhöhung (für das darauffolgende Kalenderjahr) aller Beschäftigten ergeben.

Die Beteiligte zu 2) übersendet diese Datensammlung jeweils im Anschluss an die Erstellung an den Betriebsrat zur Einsicht und zur etwaigen Stellungnahme. Von diesem Stellungnahmerecht macht der Betriebsrat bzw. der Gehaltsausschuss des Betriebsrats üblicherweise Gebrauch, stellt Nachfragen bei Vertretern der Personalabteilungen und fordert ggf. Änderungen.

Die Antragstellerin bat im Jahr 2019 im Ergebnis erfolglos darum, dass die Beteiligte zu 2) ihr die Gesamtliste ebenfalls zur Einsichtnahme und etwaigen Stellungnahme übersende.

Sie begründete dies mit ihrer sich aus Gesetz und den o.g. Betriebsvereinbarungen ergebenden Aufgabe als Vertrauensperson der schwerbehinderten Beschäftigten, etwaige Benachteiligungen der Gruppe der schwerbehinderten und gleichgestellten Beschäftigten im Beurteilungs- und Boniwesen prüfen zu können, was zwingend erfordere, anhand vonDaten vergleichen zu können, wie diese Gruppe im Vergleich zu der Gruppe der Beschäftigten ohne Schwerbehinderung oder Gleichstellung beurteilt werde.

Die Beteiligte zu 2) verweigerte gegenüber der Antragstellerin die Hergabe der sog. Gesamtliste und teilte mit E-Mail vom 20.12.2019 (Anlage ASt 3, Bl. 75 d.A.) mit, sie sei allenfalls bereit, Daten über die beabsichtigten Beurteilungen, Boni und Gehaltsentwicklungen der schwerbehinderten und gleichgestellten Beschäftigten zu liefern. Die Daten der anderen Beschäftigten seien vertraulich und könnten aus datenschutzrechtlichen Gründen nicht an die Schwerbehindertenvertretung weitergegeben werden.

Auf eine weitere Anfrage der Antragstellerin erklärte sich die Beteiligte zu 2) mit Schreiben vom 07.02.2020 (Anlage ASt 5, Bl. 80 f. d.A.) ohne Präjudiz für die Sach- und Rechtslage bereit, eine Übersicht der Beurteilungen und geplanten Gehaltserhöhungen aufgeteilt nach den jeweiligen Graden zur Verfügung zu stellen und übersandte in der Folge ein Kurvendiagrammm und eine 5spaltige Übersicht über erfolgte Bewertungen (Anlage ASt 6, Bl. 82 ff. d.A.). In dem Kurvendiagramm sind einerseits die Bewertung 2019 für alle Arbeitnehmer*innen sowie andererseits die Bewertung für die Arbeitnehmer*innen mit Behinderung grafisch dargestellt.

Nach Vorlage der Datenauswertungen für 2019 gab es weder Beschwerden von Mitarbeiter*innen über etwaige Ungleichbehandlungen noch vertrat die Antragstellerin die Auffassung, es sei im Rahmen der PD-Beurteilungen 2019 zu einer Benachteiligung von Mitarbeiter*innen mit Schwerbehinderung gekommen.

Mit E-Mail vom 21.01.2021 (Anlage ASt 7, Bl. 85 f. d.A.) forderte die Antragstellerin die Möglichkeit der Einsichtnahme in die aktuelle Gesamtliste.

Die Beteiligte zu 2) übermittelte der Antragstellerin mit E-Mail vom 22.01.2021 (Anlage AG 2, Bl. 120 d.A.) eine Aufstellung für die Gehaltsrunde 2020 mit Daten zu sämtlichen Arbeitnehmer*innen mit Schwerbehinderung.

Mit E-Mail vom 26.01.2021 (Anlage ASt 8, Bl. 87 d.A.) verweigerte die Beteiligte zu 2) gegenüber der Antragstellerin die Einsichtnahme in die sog. Gesamtliste und führte zur Begründung aus, es bestehe kein Recht der Schwerbehindertenvertretung auf Einsichtnahme in eine Liste, die entsprechende Daten hinsichtlich sämtlicher Beschäftigten enthalte.

Die Antragstellerin vertritt die Auffassung, die von der Beteiligten zu 2) im Februar 2020 zur Verfügung gestellten Unterlagen ermöglichten keinen Vergleich der beabsichtigten Bewertungen, Boni und Gehaltsent-wicklungen zwischen Beschäftigten mit und ohne Behinderung, da die Zugehörigkeit des einzelnen Beschäftigten zu den Abteilungen und Tätigkeiten nicht identifizierbar sei. Es werde nur ein betriebsweiter allgemeiner Überblick in Prozenten gegeben.

Die Antragstellerin sei berechtigt, im zeitlichen Vorfeld der Festsetzung der Zielerreichung / Beurteilungsstufe und Ausschüttung der Boni an die Beschäftigten Einsicht in die sog. Gesamtliste zur Prüfung und etwaigen Stellungnahme zu erhalten. Dieser Anspruch ergebe sich aus § 178 Abs. 2 Satz 1 SGB IX.

Das weit gefasste dreistufige Beteiligungsrecht der Schwerbehindertenvertretung (rechtzeitige Unterrichtung, Anhörung vor einer Entscheidung und Mitteilung nach getroffener Entscheidung) erstrecke sich nicht nur auf einseitige Maßnahmen des Arbeitgebers, sondern auf alle Angelegenheiten, die sich spezifisch auf schwerbehinderte Menschen auswirkten.

Das Beteiligungsrecht des § 178 Abs. 2 S. 1 SGB IX sei Ausfluss des in § 182 Abs. 1 SGB IX verankerten Grundsatzes der engen Zusammenarbeit. Sinn dieser sehr weitgehenden Unterrichtungs-, Anhörungs- und Mitteilungspflicht des Arbeitgebers sei es, zu vermeiden, dass eine Entscheidung des Arbeitgebers die Belange der schwerbehinderten Menschen in ungerechtfertigter Weise beeinträchtigt.

Die Schwerbehindertenvertretung solle vor jeder arbeitgeberseitigen Entscheidung die Gelegenheit haben, aus ihrer fachlichen Sicht als für die Eingliederung schwerbehinderter Menschen zuständige Sondervertretung unterrichtet zu sein und auf mögliche, vom Arbeitgeber nicht bedachte Auswirkungen seiner Planungen sowie behinderungsspezifische Belange hinzuweisen und zwar zu einem Zeitpunkt, da die Entscheidung noch beeinflussbar ist, also sobald der Arbeitgeber von der Angelegenheit Kenntnis erlangt hat und ihm die Unterrichtung ohne schuldhaftes Zögern möglich ist.

Die Vorschrift des § 178 Abs. 2 S. 1 SGB IX begründe eine informationelle Allzuständigkeit der Schwerbehindertenvertretung, die deutlich über die Informationsrechte des Betriebsrats hinausgehe.

Zu beachten sei auch die Vorschrift des § 178 Abs. 1 S. 2 Nr. 1 SGB IX, die den Aufgabenkreis der Schwerbehindertenvertretung konkretisiert und eine Überwachungspflicht konstituiert. Nach dieser Überwachungspflicht erfülle die Schwerbehindertenvertretung ihre Aufgaben insbesondere dadurch, dass sie darüber wacht, ob die zugunsten schwerbehinderter Menschen geltenden Gesetze, Verordnungen, Tarifverträge, Betriebs- oder Dienstvereinbarungen und Verwaltungsanordnungen durchgeführt werden. Die Schwerbehindertenvertretung habe den Arbeitgeber auf die Nichteinhaltung entsprechender Vorschriften aufmerksam zu machen, um auf diese Weise Abhilfe zu schaffen.

Zur Erfüllung dieser Überwachungsaufgabe setze § 178 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 SGB IX ein Informationsbeschaffungsrecht der Schwerbehindertenvertretung voraus. Sie könne und müsse sich zur Wahrnehmung ihrer Überwachungsaufgabe an den Arbeitgeber wenden. Dieser habe der Schwerbehindertenvertretung Auskünfte zu erteilen und bei Bedarf Zugang zu den Unterlagen zu verschaffen, welche diese zur Erfüllung ihrer Überwachungsaufgabe benötige.

Der Schwerbehindertenvertretung sei nur bei Kenntnisnahme der sog. Gesamtliste aufgrund der damit verbundenen Vergleichsmöglichkeit zwischen der Gruppe der nichtbehinderten und der Gruppe der schwerbehinderten und gleichgestellten Beschäftigten die Kontrolle darüber möglich, ob die Gruppe der behinderten Beschäftigten in den Beurteilungsprozessen benachteiligt worden sei.Zusätzlich sei es Aufgabe der Schwerbehindertenvertretung zu prüfen, ob die in der der BV PD enthaltene Schutzbestimmung des § 8 für Beschäftigte mit Behinderung auch eingehalten werde.

Die Wahrung der Persönlichkeitsrechte der Gruppe der nichtbehinderten Beschäftigten sei durch die Verschwiegenheitsverpflichtung der Schwerbehindertenvertretung aus § 179 Abs. 7 SGB IX hinreichend abgesichert.

Die Antragstellerin beantragt:

die Beteiligte zu 2) wird verpflichtet, der Antragstellerin vor der kalenderjährlich arbeitgeberseitig erfolgenden Festlegung der Beurteilungsstufe der Beschäftigten des Betriebs Hamburg Einsichtnahme in die Datensammlung zu gewähren, aus welcher sich mindestens Name, Vorname, Abteilung, Schwerbehinderteneigenschaft oder Gleichstellung, die beabsichtigte Beurteilungsstufe (für das laufende Kalenderjahr), der beabsichtigte Bonus (für das laufende Kalenderjahr) sowie eine etwaig beabsichtigte Gehaltserhöhung (für das darauffolgende Kalenderjahr) aller Beschäftigten ergeben.

Die Beteiligte zu 2) beantragt,

den Antrag zurückzuweisen.

Die Beteiligte zu 2) vertritt die Auffassung, die Vorschrift des § 178 Abs. 2 S. 1 SGB IX begründe keine informatorische Allzuständigkeit der Schwerbehindertenvertretung.

In systematischer Hinsicht werde ein solches Verständnis insbesondere durch die Vorschrift des § 178 Abs. 2 S. 4 SGB IX widerlegt, der zufolge die Schwerbehindertenvertretung bei Bewerbungen Einsicht in die entscheidungsrelevanten Teile der Bewerbungsunterlagen habe; außerhalb des Bewerbungsverfahren bestehe kein Einsichtsrecht in die Daten sämtlicher Mitarbeiter*innen.

Außerdem verstoße die Einsichtnahme der Antragstellerin in die sog. Gesamtliste gegen § 26 Abs. 1 BDSG i.V.m. Art. 88 DSGVO und sei damit datenschutzrechtlich unzulässig.

Wegen des weiteren Sachvortrags der Beteiligten, der von ihnen überreichten Unterlagen, ihrer Rechtsausführungen sowie ihrer protokollierten Erklärungen wird ergänzend auf den gesamten Akteninhalt Bezug genommen.

Gründe

II.

Der Antrag ist zulässig, aber unbegründet.

1.

Der Antrag ist zulässig.

Das Beschlussverfahren ist gemäß §§ 2a Abs. 1 Nr. 3a, 80 Abs. 1 ArbGG die richtige Verfahrensart.

Der Antrag ist gemäß § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO hinreichend bestimmt. Der Streitgegenstand ist konkret bezeichnet, die Streitfrage kann zwischen den Beteiligten mit Rechtskraftwirkung entschieden werden.

2.

Der Antrag ist unbegründet. Die Antragstellerin hat keinen Anspruch auf Einsichtnahme in die Datensammlung, aus der sich mindestens Name, Vorname, Abteilung, Schwerbehinderteneigenschaft oder Gleichstellung, die beabsichtigte Beurteilungsstufe (für das laufende Kalenderjahr), der beabsichtigte Bonus (für das laufende Kalenderjahr) sowie eine etwaig beabsichtigte Gehaltserhöhung (für das darauffolgende Kalenderjahr) aller Beschäftigten ergeben.

a)

Ein Anspruch der Antragstellerin auf Einsichtnahme der sog. Gesamtliste der Beteiligten zu 2) ergibt sich nicht aus § 178 Abs. 2 S. 1 SGB IX.

Der Schwerbehindertenvertretung obliegt keine informationelle Allzuständigkeit. Soweit allgemeine Interessen der Mitarbeiter*innen im Betrieb betroffen sind, obliegt deren Wahrnehmung dem Betriebsrat.

(1)

Die Antragstellerin hat ein Einsichtsrecht in die Daten der Mitarbeiter*innen im Zusammenhang mit der Bewertung im Rahmen des Personal Development nur insoweit, als es um die konkrete Beurteilung von Mitarbeiter*innen mit Schwerbehinderung bzw. diesen gleichgestellten Mitarbeiter*innen geht.

Diese Informationen hat die Antragstellerin zuletzt erhalten, als die Beteiligte zu 2) mit E-Mail vom 22.01.2021 (Anlage AG 2, Bl. 120 d.A.) eine Aufstellung für die Gehaltsrunde 2020 mit Daten zu sämtlichen Arbeitnehmer*innen mit Schwerbehinderung übermittelt hat.

Ziel der gesetzlichen Regelungen in § 178 Abs. 2 S. 1 SGB IX ist es u.a., behinderungsbedingte Nachteile auszugleichen und gleiche Teilhabechancen zu eröffnen. Die Schwerbehindertenvertretung soll daher Gelegenheit haben, den Arbeitgeber aus ihrer fachlichen Sicht auf mögliche, ggf. nicht bedachte Auswirkungen seiner Entscheidung hinzuweisen. Die Unterrichtungs- und Anhörungsrechte sollen es ihr ermöglichen, auf eine sachdienliche Behandlung hinzuwirken, wenn die Belange eines schwerbehinderten Menschen oder schwerbehinderter Beschäftigter als Kollektiv für die Entscheidung des Arbeitgebers erheblich sind (BAG Beschluss v. 24.02.2021 - 7 ABR 9/20, juris-Rz. 29).

Der Zuständigkeitsbereich der Schwerbehindertenvertretung beschränkt sich innerhalb der Gesamtarbeitnehmerschaft auf die Gruppe der schwerbehinderten und der diesen gleichgestellten behinderten Menschen (LAG Hamm, Beschluss v. 10.01.2020 - 13 TaBV 60/19, juris-Rz, 40). Diese Begrenzung der Vertretungsbefugnis der Schwerbehindertenvertretung wird gestützt durch die Vorschrift des § 177 Abs. 2 SGB IX, wonach für die Wahl der Schwerbehindertenvertretung ausschließlich schwerbehinderte Menschen wahlberechtigt sind. Mithin ist die demokratische Legitimation der Schwerbehindertenvertretung darauf beschränkt, nur für diesen Personenkreis die gesetzlich zugewiesenen Aufgaben einschließlich der Rechte aus § 178 Abs. 2 SGB IX wahrzunehmen (LAG Hamm, a.a.O., juris-Rz. 46).

(2)

Etwas Anderes ergibt sich nicht aus dem Argument der Antragstellerin, sie sei zum Zwecke des Vergleichs der Daten betreffend die Festsetzung der Zielerreichungen bzw. der Beurteilungsstufen und der Ausschüttungen der Boni an die Mitarbeiter*innen darauf angewiesen, nicht nur die Daten betreffend die schwerbehinderten und denen gleichgestellten Mitarbeiter*innen einzusehen, sondern auch die Daten sämtlicher Mitarbeiter*innen im Betrieb.

Ein derartig allgemeines Informationsrecht der Schwerbehindertenvertretung existiert nicht. Es ist für diverse Konstellationen vorstellbar, dass arbeitgeberseitig eine Entscheidung in Bezug auf Menschen mit Behinderung in anderer Form getroffen wird als für Menschen ohne Behinderung. Dennoch ist das Informationsrecht der Schwerbehindertenvertretung gemäß § 178 Abs. 2 S. 1 SGB IX dem Wortlaut nach explizit beschränkt auf Angelegenheiten, die einen einzelnen oder die schwerbehinderten Menschen als Gruppe berühren.

Diese klare Beschränkung des Informationsrechts wird einzig durchbrochen gemäß § 178 Abs. 2 S. 4 SGB IX, demzufolge die Schwerbehindertenvertretung bei Bewerbungen das Recht auf Einsichtnahme in die entscheidungsrelevanten Teile der Bewerbungsunterlagen, und zwar nicht nur der Schwerbehinderten, sondern sämtlicher Bewerber*innen hat. Die Regelung des § 178 Abs. 2 S. 4 SGB IX zeigt, dass es einer Spezialregelung bedurfte, um der Schwerbehindertenvertretung die Einsichtnahme in die Bewerbungsunterlagen sämtlicher Bewerber*innen zu ermöglichen; ein solches allgemeines Einsichtnahmerecht auch in Unterlagen der Mitarbeiter*innen bzw. Bewerber*innen ohne Schwerbehinderung lässt sich nicht aus § 178 Abs. 2 S. 1 SGB IX ableiten.

(3)

Die Kammer vermag nicht zu erkennen, dass es genereller Zweck des Unterrichtungsrechts der Schwerbehindertenvertretung gemäß § 178 Abs. 2 S. 1 SGB IX ist, die Schwerbehindertenvertretung in die Lage zu versetzen, zu jedem Thema Vergleiche zwischen den schwerbehinderten Mitarbeiter*innen und den Mitarbeiter*innen ohne Schwerbehinderung anzustellen.

Der Schwerbehindertenvertretung ist gemäß § 178 Abs. 1 S. 2 Nr. 1 SGB IX u.a. die Aufgabe zugewiesen, über die Erfüllung der nach § 164 Abs. 4 SGB IX dem Arbeitgeber obliegenden Verpflichtungen zu wachen (BAG Beschluss v. 24.02.2021 - 7 ABR 9/20, juris-Rz. 33). Dieser Verpflichtung kann die Antragstellerin aufgrund der ihr von der Beteiligten zu 2) zur Verfügung gestellten Daten - die Mitarbeiter*innen mit Schwerbehinderung betreffend - nachkommen.

b)

Nach Auffassung der Kammer kann dahinstehen, ob die von der Antragstellerin beantragte Einsichtnahme in die sog. Gesamtliste außerdem eine unzulässige Datenverarbeitung gemäß § 26 Abs. 1 BDSG i.V.m. Art. 88 DSGVO darstellt.

Jedenfalls hat die Antragstellerin keinen Anspruch auf Einsichtnahme der Daten sämtlicher Mitarbeiter*innen der Beteiligten zu 2).

3.

Die Kammer kann nachvollziehen, dass die Antragstellerin zur Wahrung der Rechte der schwerbehinderten Mitarbeiter*innen im Betrieb Einsicht in die Daten sämtlicher Mitarbeiter*innen begehrt, um im Vergleichswege etwaige Ungleichbehandlungen zwischen der Gruppe der nichtbehinderten Mitarbeiter*innen und der schwerbehinderten bzw. diesen gleichgestellten Mitarbeiter*innen aufdecken und die Rechte etwaig benachteiligter schwerbehinderter Mitarbeiter*innen vertreten zu können.

Auch wenn den obigen Erwägungen zufolge kein Anspruch der Antragstellerin auf Einsichtnahme in die sog. Gesamtliste der Beteiligten zu 2) besteht, regt die Kammer an, der Antragstellerin - wie bereits in Bezug auf die Daten für 2019 geschehen - die Daten der sog. Gesamtliste in voll-anonymisierter Form zur Verfügung zu stellen, so dass die Antragstellerin jedenfalls die Möglichkeit hat festzustellen, ob eine strukturelle Ungleichbehandlung beider Mitarbeitergruppen in Bezug auf die Beurteilung der Zielerreichung der Mitarbeiter*innen besteht.

III.

Die Entscheidung ergeht gerichtskostenfrei (§ 2 Abs. 2 GKG iVm. § 2a Abs. 1 ArbGG).