Rubrik Arbeits- und Sozialrecht

BAG 1 ABR 62/94 vom 27. Juni 1995

Leitsatz

1. Ist für den Teil eines Betriebs ein Betriebsrat gewählt und die Wahl nicht angefochten worden, so hat der Betriebsrat alle entsprechenden Beteiligungsrechte. Das gilt unabhängig davon, ob er tatsächlich für eine betriebsratsfähige Einheit gewählt wurde.

2. Ein Betriebsteil, der nach § 4 Satz 1 BetrVG als Betrieb gilt, ist auch für die Anwendung des § 111 BetrVG als Betrieb anzusehen.

3. Entlässt ein Arbeitgeber alle Arbeitnehmer und löst er damit die betriebliche Organisation auf, so kann er einen Sozialplan nicht später mit der Begründung verweigern, die Kündigungen seien unwirksam gewesen, weil in Wirklichkeit ein Betriebsübergang vorgelegen habe.

Gründe

A. Die Beteiligten streiten über die Wirksamkeit eines durch Einigungsstellenbeschluss aufgestellten Sozialplans.

Die Arbeitgeberin betreibt ein Bewachungsunternehmen mit rund 2500 Arbeitnehmern, von denen etwa 2000 bei der Bewachung militärischer Objekte eingesetzt sind. Diese sind auf rund 70 Orte verteilt. Insoweit schließt die Arbeitgeberin befristete Verträge mit der Bundesrepublik Deutschland auf eine Dauer von drei bis fünf Jahren für die einzelnen Objekte. In den Bewachungsverträgen sind Art und Umfang der Bewachung sowie die Anforderungen an das Wachpersonal festgelegt. Ergänzend hierzu regeln umfangreiche Wachanweisungen der zuständigen Dienststellen der Bundeswehr alle Einzelheiten. Nach Vertragsablauf werden die Aufträge erneut ausgeschrieben und vergeben.

Nach Abschluss eines Bewachungsauftrags stellt die Zentrale der Arbeitgeberin das erforderliche Wachpersonal für das betreffende Objekt ein. Die Arbeitnehmer werden in der Fortbildungsstätte der Arbeitgeberin für ihre Tätigkeit ausgebildet. Von der Zentrale werden sie mit Uniformen, Waffen, Funkgeräten und Hunden ausgerüstet. Auch die Personalverwaltung einschließlich der Entlohnung ist Sache der Zentrale.

Im jeweiligen militärischen Objekt sind als Vorgesetzte der dort beschäftigten Arbeitnehmer ein Schichtführer und ein stellvertretender Schichtführer eingesetzt. Der Schichtführer hat den Wachdienst zu organisieren, und zwar für 24 Stunden täglich. Er teilt die einzelnen Arbeitnehmer im Rahmen der Schichtpläne zum Dienst ein. Er sorgt für Vertretungen und erstellt den Urlaubsplan. Die Schichtpläne werden von "Inspektionsleitern" der Arbeitgeberin ausgearbeitet, die jeweils für mehrere Bewachungsobjekte zuständig und den Schichtführern gegenüber weisungsbefugt sind.

Zu den von der Arbeitgeberin betreuten Einrichtungen der Bundeswehr gehörte auch das Munitionsdepot U. Dort beschäftigte sie 54 Arbeitnehmer, die einen Betriebsrat wählten. Der Bewachungsauftrag wurde von der Bundesrepublik Deutschland zum 30. September 1992 gekündigt und an ein anderes Unternehmen vergeben. Daraufhin kündigte die Arbeitgeberin die Arbeitsverhältnisse sämtlicher in U beschäftigten Arbeitnehmer betriebsbedingt zum 30. September 1992. Die meisten von ihnen bewarben sich beim neuen Auftragnehmer und wurden von diesem eingestellt.

Der Betriebsrat verlangte einen Sozialplan. Die Arbeitgeberin lehnte das mit der Begründung ab, das Depot U sei kein Betrieb. Auf Antrag des Betriebsrats wurden vom Arbeitsgericht der Vorsitzende einer Einigungsstelle bestellt und die Zahl der Beisitzer bestimmt. Die Einigungsstelle beschloss gegen die Stimmen der von der Arbeitgeberin bestellten Beisitzer einen Sozialplan, der Abfindungen für die entlassenen Arbeitnehmer vorsieht.

Die Arbeitgeberin hat geltend gemacht, der Beschluss der Einigungsstelle sei unwirksam. Die Einigungsstelle habe nicht tätig werden können, weil kein sozialplanpflichtiger Vorgang vorgelegen habe. An einer Betriebsstilllegung fehle es schon deshalb, weil das Munitionsdepot U weder ein Betrieb noch ein Betriebsteil der Arbeitgeberin i.S. des § 111 Satz 2 Nr. 1 BetrVG gewesen sei. Ihr dortiger Wachdienst habe nicht die organisatorische Selbständigkeit besessen, die von einem Betrieb zu fordern sei. Alle wesentlichen Entscheidungen, z.B. über die Schichtstärke, die Gestaltung der Schicht, die Form der Bewachung, die Arbeitszeit, die Entlohnung, die Uniformierung und die Art der Waffen sowie über Kündigungen und Weiterbeschäftigungen seien zentral getroffen worden. Der Schichtführer sei seiner Funktion nach einem Vorarbeiter vergleichbar gewesen. Dem stehe auch nicht entgegen, dass die Arbeitgeberin die Bildung eines Betriebsrats geduldet habe. Dies sei nur geschehen, weil die Tätigkeit eines Betriebsrats für den gesamten Betrieb der Arbeitgeberin schwerfälliger und damit weniger effizient gewesen wäre.

Selbst wenn es sich aber um einen Betrieb oder Betriebsteil im betriebsverfassungsrechtlichen Sinne gehandelt haben sollte sei dieser nicht stillgelegt worden, sondern auf den neuen Auftragnehmer übergegangen. Die Arbeitnehmer hätten auch keine Nachteile erlitten. Unabhängig von der rechtlichen Einordnung als Betriebsübergang sei das Nachfolgeunternehmen zu ihrer Übernahme bereit gewesen.

Die Arbeitgeberin hat beantragt,

festzustellen, dass der Beschluss der Einigungsstelle vom 20. April 1993 unwirksam ist.

Der Betriebsrat hat beantragt,

den Antrag abzuweisen.

Nach seiner Auffassung handelte es sich um eine sozialplanpflichtige Betriebsstilllegung. Der Wachdienst im Depot U sei schon deshalb als Betrieb anzusehen gewesen, weil dort mit Billigung der Arbeitgeberin ein Betriebsrat gebildet worden sei. Abgesehen davon hätten die Voraussetzungen vorgelegen, unter denen nach § 4 Satz 1 Nr. 1 BetrVG ein Betriebsteil als Betrieb gelte. Der Wachdienst habe die hierfür erforderliche organisatorische Selbständigkeit aufgewiesen. Der Schichtführer habe Leitungsaufgaben erfüllt, die Beteiligungsrechte des Betriebsrats ausgelöst hätten. Mit der Entlassung sämtlicher Arbeitnehmer sei der Betrieb stillgelegt worden. Ein Betriebsübergang habe nicht vorgelegen, weil der Bewachungsauftrag nicht durch Rechtsgeschäft von der Arbeitgeberin auf das Nachfolgeunternehmen übertragen worden sei.

Das Arbeitsgericht hat den Antrag abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht hat die hiergegen gerichtete Beschwerde der Arbeitgeberin zurückgewiesen. Mit der vom Landesarbeitsgericht zugelassenen Rechtsbeschwerde verfolgt die Arbeitgeberin ihren Antrag weiter. Der Betriebsrat bittet, die Rechtsbeschwerde zurückzuweisen.

B. Zu Unrecht macht die Arbeitgeberin geltend, der Einigungsstellenspruch sei unwirksam, weil es an einem sozialplanpflichtigen Vorgang gefehlt habe. Der Betriebsrat konnte nach § 112 Abs. 4 BetrVG die Aufstellung eines Sozialplans durch die Einigungsstelle verlangen. Es lag eine Betriebsstilllegung i.S. des § 111 Satz 2 Nr. 1 BetrVG vor. Der Wachdienst der Arbeitgeberin im Bundeswehrdepot U war ein Betrieb mit in der Regel mehr als 20 wahlberechtigten Arbeitnehmern. Diesen hat die Arbeitgeberin durch Entlassung aller Arbeitnehmer stillgelegt.

I. Es bestand ein Betriebsrat, der die Beteiligungsrechte nach den §§ 111 ff. BetrVG ausüben konnte. Allerdings meint die Arbeitgeberin, im Depot U hätte ein Betriebsrat gar nicht gewählt werden müssen, weil die Merkmale eines Betriebes i.S. des Betriebsverfassungsgesetzes dort nicht erfüllt gewesen seien. Hierauf kommt es jedoch für die Tätigkeit des Betriebsrats nicht an. Dessen Wahl ist nicht nach § 19 BetrVG angefochten worden. Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts führt die Verkennung des Betriebsbegriffs bei der Betriebsratswahl nicht zu deren Nichtigkeit. Die Wahl ist nur anfechtbar (BAG Beschluss vom 7. Dezember 1988 - 7 ABR 10/88 - AP Nr. 15 zu § 19 BetrVG 1972, m.w.N.). Dies hat das Bundesarbeitsgericht gerade auch für Fälle entschieden, in denen es darum ging, ob ein Teil eines Betriebs als selbständiger Betriebsteil nach § 4 Satz 1 BetrVG betriebsratsfähig ist oder nicht (BAG AP, a.a.O..; BAG Beschluss vom 11. April 1978 - 6 ABR 22/77 - AP Nr. 8 zu § 19 BetrVG 1972). Wird die Betriebsratswahl, wie im vorliegenden Fall, nicht angefochten, so bleibt der Betriebsrat mit allen betriebsverfassungsrechtlichen Befugnissen im Amt.

II. Hieraus ergibt sich zugleich, dass der von der Arbeitgeberin unterhaltene Wachdienst im Depot U als Betrieb i.S. des § 111 Satz 2 Nr. 1 BetrVG zu gelten hatte.

Die Bildung eines Betriebsrats für einen Betriebsteil setzt voraus, dass dieser nach § 4 Satz 1 BetrVG als selbständiger Betrieb gilt. Solange für einen Betriebsteil unangefochten ein Betriebsrat besteht, ist auf diesen Betriebsteil die Fiktion des § 4 Satz 1 BetrVG anzuwenden. Bleibt eine Verkennung des Betriebsbegriffs bei der Betriebsratswahl ohne Einfluss auf das Amt des Betriebsrats, weil dessen Wahl nicht angefochten wird, so kann das für die Beteiligungsrechte des Betriebsrats nicht unerheblich sein. Auch für die Ausübung der Beteiligungsrechte muss die Annahme gelten, dass die Einheit, für die der Betriebsrat gewählt worden ist, einen Betrieb im betriebsverfassungsrechtlichen Sinne darstellt. Würde der Betriebsrat wegen der Verkennung des Betriebsbegriffs in der Ausübung seines Amtes beschränkt, so widerspräche dies der in § 19 BetrVG enthaltenen Wertung, nach der ein Rechtsverstoß, der die Wahlanfechtung begründet, unbeachtlich wird, wenn eine Anfechtung unterbleibt. Es wäre mit den Erfordernissen der Rechtssicherheit, denen § 19 BetrVG dient(BAG Beschluss vom 13. November 1991 - 7 ABR 8/91 - BAGE 69, 41, 44 = AP Nr. 9 zu § 26 BetrVG 1972, zu B 1 der Gründe; BAG Beschluss vom 13. November 1991 - 7 ABR 18/91 - BAGE 69, 49, 54 = AP Nr. 3 zu § 27 BetrVG 1972, zu B II 1 a der Gründe), nicht zu vereinbaren. Bei der Ausübung einzelner Beteiligungsrechte soll nicht immer wieder darüber gestritten werden, ob der Betriebsrat überhaupt für einen Betrieb im Sinne des Betriebsverfassungsgesetzes gewählt worden ist.

Bestand im Depot U ein Betrieb der Arbeitgeberin i.S. des § 4 Satz 1 BetrVG, so muss dies auch bei der Anwendung des § 111 Satz 2 Nr. 1 BetrVG beachtet werden. Die Fiktion des § 4 Satz 1 BetrVG ist nicht auf die Betriebsratswahl beschränkt. Vielmehr gilt der Betriebsbegriff dieser Vorschrift ganz allgemein für das Betriebsverfassungsrecht. Das ergibt sich schon aus dem Wortlaut des § 4 BetrVG, der keine Einschränkung enthält.

III. Die Arbeitgeberin hat den Betrieb in U stillgelegt.

1. Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts erfordert die Stilllegung, dass die zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmern bestehende Betriebs- und Produktions- oder Dienstleistungsgemeinschaft aufgelöst wird. Sie findet ihre Veranlassung und zugleich ihren sichtbaren Ausdruck darin, dass der Unternehmer die bisherige wirtschaftliche Betätigung in der ernstlichen Absicht einstellt, den bisherigen Betriebszweck dauernd oder doch zumindest für eine wirtschaftlich nicht unerhebliche Zeitspanne aufzugeben (BAG Beschluss vom 4. Juli 1989 - 1 ABR 35/88 - AP Nr. 27 zu § 111 BetrVG 1972, zu B II 2 a der Gründe; BAG Urteil vom 21. Februar 1990 - 5 AZR 160/89 - BAGE 64, 196, 201 = AP Nr. 85 zu § 613 a BGB, zu II 1 b der Gründe).

Diese Voraussetzungen liegen hier vor. Infolge der anderweitigen Vergabe des Bewachungsauftrags durch die Bundeswehr hat die Arbeitgeberin mit Ablauf des 30. September 1992 ihre Bewachungstätigkeit im Depot U eingestellt, den dort bestehenden Wach dienst aufgelöst und dessen sämtliche Angehörigen entlassen.

2. Erfolglos wendet die Arbeitgeberin ein, in Wirklichkeit sei der Betrieb nicht stillgelegt, sondern auf das nachfolgende Bewachungsunternehmen übertragen worden. Nach § 613 a BGB seien die Arbeitsverhältnisse der Arbeitnehmer daher auf dieses Unternehmen übergegangen, die Kündigungen seien unwirksam gewesen.

a) Das Landesarbeitsgericht hat einen Betriebsübergang verneint und sich dabei auf die Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts berufen. Dieses hat mehrfach entschieden, dass die Neuvergabe eines Bewachungsauftrags durch die Bundeswehr nach Ablauf des bisherigen Auftrags nicht zu einem Betriebs(teil-)übergang von dem früheren auf das nachfolgende Bewachungsunternehmen führe. Sei ein bestehender Bewachungsvertrag nur auf einen möglichen Betriebsteil bezogen und für dessen Fortführung notwendig, dann müsse für die Annahme eines Betriebsübergangs diese einzige Kundenbeziehung des Betriebsteils auf den Erwerber übergehen, und zwar abgeleitet vom bisherigen Betriebsinhaber. Daran fehle es aber, wenn nach einer Ausschreibung ein anderes als das bisher tätige Bewachungsunternehmen den Zuschlag erhalte (z.B. BAG Urteil vom 29. September 1988 - 2 AZR 107/88 - AP Nr. 76 zu § 613 a BGB, zu A II der Gründe).

b) Ob ein Betriebsübergang mit dieser Begründung weiterhin verneint werden kann, erscheint zweifelhaft. Der Begriff des Betriebsübergangs kann nicht allein auf der Grundlage des § 613 a BGB bestimmt werden. Das ergibt sich aus dem Grundsatz der gemeinschaftsrechtskonformen Auslegung innerstaatlichen Rechts. Danach sind nationale Gesetze, die auf EG-Recht beruhen, so auszulegen, dass sie dessen Anforderungen gerecht werden. Das hat der Europäische Gerichtshof in ständiger Rechtsprechung gefordert (z.B. Urteile vom 10. April 1984 - Rs 14/83 (von Colson und Kamann) - und - Rs 79/83 (Harz) - AP Nr. 1 und 2 zu § 611 a BGB) und das Bundesarbeitsgericht ebenfalls in ständiger Rechtsprechung für sich akzeptiert (z.B. BAGE 71, 195, 205 = AP Nr. 1 zu § 612 BGB Diskriminierung, zu B II 3 c aa der Gründe). § 613 a BGB beruht auf Gemeinschaftsrecht, denn u.a. mit dieser Vorschrift wird die Richtlinie 77/187/EWG vom 14. Februar 1977 "über die Wahrung von Ansprüchen der Arbeitnehmer beim Übergang von Unternehmen, Betrieben oder Betriebsteilen" (ABl. Nr. L 61 v. 5. März 1977, S. 26) in deutsches Recht umgesetzt.

Nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs setzt ein Betriebsübergang i.S.v. Art. 1 der Richtlinie 77/187/EWG nicht voraus, dass materielle oder immaterielle Betriebsmittel auf den Übernehmer übertragen werden (EuGH Urteil vom 14. April 1994 - Rs C-392/92 (Schmidt) - AP Nr. 106 zu § 613 a BGB). Weiter ist es nicht erforderlich, dass die Übertragung auf rechtsgeschäftlichen Beziehungen beruht, die unmittelbar oder mittelbar zwischen dem bisherigen und dem neuen Betriebsinhaber bestehen. So hat der Europäische Gerichtshof den Übergang eines Restaurantbetriebes zwischen zwei Pächtern in einem Fall bejaht, in dem ein nicht übertragbares Pachtverhältnis zunächst aufgelöst und anschließend mit einem anderen Pächter neu begründet worden war (EuGH Urteil vom 10. Februar 1988 - Rs 324/86 (Daddy's Dance Hall) - Slg. 1988, 739).

c) Die Frage, ob Fälle der hier vorliegenden Art Betriebsübergänge i.S. des § 613 a BGB sein können, bedarf indessen in diesem Verfahren keiner abschließenden Beantwortung. Auch wenn die Neuvergabe des Bewachungsauftrags ein Betriebsübergang gewesen sein sollte, würde die Anwendbarkeit des § 111 Satz 2 Nr. 1 BetrVG dadurch im vorliegenden Fall nicht ausgeschlossen. Die Arbeitgeberin kann sich gegenüber ihrem eigenen vorherigen Tun, der Entlassung sämtlicher in U beschäftigten Arbeitnehmer, nicht auf die zum Schutz der Arbeitnehmer ergangene Vorschrift des § 613 a BGB berufen, indem sie einwendet, ihre eigenen Kündigungen seien unwirksam gewesen.

Nach dem Grundsatz, dass jedermann in Ausübung seiner Rechte und in Erfüllung seiner Pflichten nach Treu und Glauben zu handeln hat (§ 242 BGB), kann die Rechtsausübung dann unzulässig sein, wenn sie zu früherem Verhalten in Widerspruch steht (venire contra factum proprium). Ein solches Vorgehen, das zu früherem eigenem Verhalten in unlösbarem Widerspruch steht, ist dann anzunehmen, wenn sich jemand zu seinem Vorteil auf eine Rechtsvorschrift beruft, die er selbst missachtet. Insoweit ist bei der Beanspruchung von Rechtspositionen gegenüber anderen Teilnehmern am Rechtsleben eine gewisse Konsistenz zu fordern (MünchKomm-BGB/Roth, 3. Aufl., § 242 Rz 350 f.).

Hiergegen verstößt die Arbeitgeberin, wenn sie die Arbeitnehmer nun darauf verweist, sie hätten gegen die Kündigungen den - möglicherweise - von § 613 a BGB gebotenen Schutz in Anspruch nehmen müssen, anstatt auf die Wirksamkeit der Kündigungen zu vertrauen, sich mit der Betriebsstilllegung abzufinden und deswegen einen Sozialplan zu fordern. Die Arbeitgeberin hat die Kündigungen ausgesprochen, um ihre betriebliche Organisation im Depot U aufzulösen. Damit hat sie gegenüber der Belegschaft die Rechtsposition vertreten, dass die Entlassungen zulässig waren. Hieran muss sie sich festhalten lassen. Da sie die Befugnis für sich in Anspruch genommen hat, den Betrieb stillzulegen und damit einen sozialplanpflichtigen Tatbestand zu schaffen, kann sie die Forderung nach einem Sozialplan nicht dadurch abwenden, dass sie sich nachträglich auf die Unwirksamkeit der Kündigungen und damit auf die Rechtswidrigkeit ihres eigenen Vorgehens beruft.

IV. Ist danach von einer Betriebsstilllegung auszugehen, so kommt es für deren Sozialplanpflichtigkeit nicht mehr darauf an, ob die betroffenen Arbeitnehmer tatsächlich Nachteile i.S. des § 111 Satz 1 BetrVG erleiden. § 111 Satz 2 BetrVG fingiert für Betriebsstilllegungen, dass sie wesentliche Nachteile für die Belegschaft zur Folge haben können. Die Beteiligungsrechte des Betriebsrats entfallen daher nicht, wenn im Einzelfall solche Nachteile nicht zu befürchten sind. Ob ausgleichs- oder milderungswürdige Nachteile entstanden sind, ist bei der Aufstellung des Sozialplans zu prüfen und von der Einigungsstelle nach billigem Ermessen zu berücksichtigen (BAGE 40, 36 = AP Nr. 11 zu § 111 BetrVG 1972). Ob die Einigungsstelle im vorliegenden Fall bei der Aufstellung des Sozialplans die Grenzen ihres Ermessens überschritten hat, weil sie den möglicherweise nach § 613 a BGB bestehenden Bestandsschutz der Arbeitsverhältnisse außer Betracht gelassen hat, steht hier nicht zur Entscheidung. Auf die Unwirksamkeit des Einigungsstellenspruchs wegen Ermessensüberschreitung, hat sich die Arbeitgeberin nicht berufen. Sie hätte nach § 76 Abs. 5 Satz 4 BetrVG auch nur innerhalb von zwei Wochen nach der Zustellung des Spruchs geltend gemacht werden können.