Betriebsratswahl: einstweiliger Rechtsschutz bei laufender Wahl

LAG Baden-Württemberg 9 TaBV 4/94 vom 13. Apr. 1994

Leitsatz

1. Der amtierende Betriebsrat kann nicht Beteiligter eines Beschlussverfahrens sein, in dem der Arbeitgeber versucht, die angesetzte Betriebsratswahl zu verhindern, auszusetzen oder zu korrigieren.

2. Wer im Beschlussverfahren beteiligt sein kann, bestimmt sich nach der materiellen Betroffenheit (§ 83 Abs. 3 ArbGG). Bei einer einstweiligen Verfügung gegen das laufende Betriebsratswahlverfahren kann dies ausschließlich der Wahlvorstand sein.

3. In eine Betriebsratswahl kann nur in schwerwiegenden Fällen durch einstweilige Verfügung eingegriffen werden. Neben dem Vorliegen von Nichtigkeitsgründen kann auch bei eindeutiger Rechtslage und dem Vorliegen einer offensichtlich fehlerhaften Betriebsratswahl ein Eingriff in das Wahlverfahren gerechtfertigt sein.

4. Eine einheitliche Leitungsmacht mehrerer Konzernunternehmen, die einen Gemeinschaftsbetrieb führen, kann auch auf der Ebene einer Holdinggesellschaft gegeben sein.

5. Bei der Frage der Zulässigkeit des Eingriffs in ein laufendes Betriebsratswahlverfahren kommt es auf die Abwägung der Interessen des Arbeitgebers mit der Interessenlage der im Betrieb beschäftigten Arbeitnehmer an einer wirksamen Vertretung durch den Betriebsrat an.

6. Eine Betriebsvereinbarung/Gesamtbetriebsvereinbarung, nach der ein unzuständiges Betriebsratsgremium treuhänderisch und vorübergehend die Rechte eines Betriebes wahrnimmt, ist unwirksam und unverbindlich, da die Betriebsparteien über diese Rechte nicht disponieren können.

Gründe

I.

Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob die in den Betrieben der Beteiligten Ziff. 1 (im folgendem als... bezeichnet) und der Beteiligten Ziff. 2 (im folgendem als... bezeichnet) für den 15. April 1994 angesetzten Betriebsratswahlen durchgeführt werden können oder nicht. Die... besteht seit 01.01.1993 und hatte bis zum Jahresende 1993 73 Arbeitnehmer. Die... wurde zum 01.01.1994 gegründet; von der... wurden 9 Mitarbeiter übernommen. Mit der Wahlausschreibung vom 03.03.1994 hatte der Wahlvorstand für den Betrieb der... und für den Betrieb der... eine gemeinsame Betriebsratswahl angesetzt, die am 15.04.1994 stattfinden soll. Am 18. März 1994 hat die... und die... beim Arbeitsgericht einen Antrag auf Erlass einer Einstweiligen Verfügung gestellt mit folgendem Antrag:

1. Dem Antragsgegner wird es untersagt, die von ihm eingeleiteten Betriebsratswahlen unter Einbeziehung der in Freiburg beschäftigten Mitarbeiter der... GmbH durchzuführen.

Vorsorglich:

Das Arbeitsgericht Freiburg möge die ihm zur Erreichung des Zweckes erforderlichen Anordnungen gem. § 938 ZPO erlassen.

2. Dem Antragsgegner wird für jeden Fall der Zuwiderhandlung ein Ordnungsgeld bis zu DM 500.000,00 bzw. falls dies nicht beigetrieben werden kann. Ordnungshaft bis zu 6 Monaten zu vollziehen an dem Vorsitzenden des Antragsgegners angedroht.

Mit Beschluss vom 06.04.1994 hat das Arbeitsgericht Freiburg aufgrund einer mündlichen Verhandlung den Antrag zurückgewiesen.

Am 11.04.1994 haben die... und die... gegen den Beschluss vom Landesarbeitsgericht Baden-Württemberg Beschwerde eingelegt mit folgendem Antrag:

1. Der Beschluss des Arbeitsgerichtes Freiburg vom 06.04.1994 - 4 BV Ca 2/94 - wird abgeändert.

2. Dem Antragsgegner wird es untersagt, die von ihm eingeleiteten Betriebsratswahlen unter Einbeziehung der in Freiburg beschäftigten Mitarbeiter der... GmbH durchzuführen.

Vorsorglich:

Das Arbeitsgericht Freiburg möge die ihm zur Erreichung des Zweckes erforderlichen Anordnungen gem. § 938 ZPO erlassen.

3. Dem Antragsgegner wird für jeden Fall der Zuwiderhandlung eine Ordnungsgeld bis zu DM 500.000,00 bzw. falls dies nicht beigetrieben werden kann, Ordnungshaft bis zu 6 Monaten zu vollziehen an dem Vorsitzenden des Antragsgegners angedroht.

Der Beteiligte Ziff. 3 (im folgendem als Wahlvorstand bezeichnet) und Beteiligte Ziff. 4 (im folgendem Betriebsrat) beantragen, den Antrag zurückzuweisen.

Das Beschwerdegericht hat am 13.04.1994 wegen der Eilbedürftigkeit einen Anhörungstermin durchgeführt. Zu diesem Zeitpunkt lagen die Gründe der erstinstanzlichen Entscheidung noch nicht vor.

II.

Die Beschwerde ist zulässig, jedoch nicht begründet.

Der... und der... (beides Antragsgegnerinnen und Beschwerdeführerinnen) steht kein Recht zu, die für den 15.04.1994 für die Betriebe der... und... gemeinsam geplante Betriebsratswahl untersagt wird. Das Arbeitsgericht hat jedenfalls im Ergebnis zurecht den Antrag zurückgewiesen (die Gründe sind dem Beschwerdegericht nicht bekannt).

1. Das Beschwerdeverfahren gegen den Beteiligten Ziff. 4 (Betriebsrat) ist unzulässig. Der Betriebsrat ist am Wahlverfahren nicht beteiligt. Die Rechte aus dem Betriebsverfassungsgesetz und der Wahlordnung übt ausschließlich der Wahlvorstand aus. Wer in einem Beschlussverfahren beteiligt werden kann bestimmt sich danach, ob eine materielle Betroffenheit gegeben ist (§ 83 Abs. III ArbGG, vgl. BAG, Urteil vom 25.08.1981 - 1 ABR 61/79 -, AP § 83 ArbGG 1979 Nr. 2). Diese ist beim Betriebsrat nicht gegeben.

2. Das Beschwerdegericht hat nicht schon deshalb die Beschwerde zurückgewiesen, weil kein Verfügungsgrund wegen Zeitablauf bestehe. Auszugehen ist von dem Wahlausschreiben vom 03.03.1994, in dem eine gemeinsame Betriebsratswahl für die beiden Betriebe... und... angeordnet wurden. Richtig ist zwar, dass bereits am 23.12.1993 ein Wahlvorstand bestellt wurde, in dem zwei Personen gewählt wurden, die später von der am 01.01.1994 gegründeten... übernommen wurden. Es mag auch zutreffend sein, dass im Laufe des Monats Januar 1994 in den Betrieben der beiden Antragstellerinnen diskutiert wurde, man werde für beide Betriebe eine gemeinsamen Betriebsrat wählen. Gleichwohl waren die Antragstellerinnen nicht verpflichtet, bereits zu diesem Zeitpunkt gegen diese beabsichtigte gemeinsame Betriebsratswahl gerichtlich vorzugehen. Ein Rechtsschutzbedürfnis auf Untersagung der Betriebsratswahl hätte zu diesem Zeitpunkt verneint werden müssen. Die Antragstellerinnen hätten allenfalls gerichtlich geltend machen können, der Wahlvorstand sei fehlerhaft besetzt. In diesem Verfahren hätte inzidenter geprüft werden müssen, ob die Mitarbeiter in den Betrieben der... und... gemeinsam einen Betriebsrat wählen können oder nicht. Eine Verpflichtung der Antragstellerinnen, bereits zu diesem Zeitpunkt gegen die richtige Bestellung des Wahlvorstandes gerichtlich vorzugehen bestand jedoch nicht, jedenfalls nicht mit der Folge, dass mit der beantragten einstweiligen Verfügung nach Erlass des Wahlausschreibens der Verfügungsgrund versagt werden kann. Geht man aber vom 03.03.1994 als dem maßgeblichen Datum aus, dann ist der am 16.03.1994 eingereichte Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung so rechtzeitig, dass ein Verfügungsgrund bejaht werden muss.

Das Beschwerdegericht hat die Eilbedürftigkeit deshalb bejaht, weil bereits am 15.04.1.994 die Betriebsratswahl angesetzt war und eine Entscheidung nach diesem Zeitpunkt zur Sache nicht mehr möglich gewesen wäre.

3. Der Verfügungsanspruch kann nicht deshalb verneint werden, weil in eine Betriebsratswahl nur in schwerwiegenden Fällen eingegriffen werden kann. Die Auffassung, dass eine bevorstehende Betriebsratswahl nur dann untersagt werden darf, wenn Nichtigkeitsgründe geltend gemacht werden, kann nicht gefolgt werden. Die von den Antragstellerinnen zur Begründung ihres Antrages vorgebrachten Argumente betreffen unstreitig nur die Anfechtung der angesetzten Betriebsratswahl. Auch dann, wenn die durchgeführte Betriebsratswahl nur anfechtbar sein würde, kann ein rechtliches Interesse der Antragstellerinnen an einer Untersagung der fehlerhaften Betriebsratswahl nicht verneint werden, da ansonsten das Recht der Antragstellerinnen auf Wahl eines ordnungsgemäßen und mit dem Gesetz vereinbarende Betriebsrat ausgewählt werden würde. Bei Verweisung der Antragstellerinnen auf das normale Wahlanfechtungsverfahren müsste diese unter Umständen jahrelang auf eine bestandskräftige Entscheidung warten. Allerdings ist die Frage, ob gegen die bevorstehende Betriebsratswahl Nichtigkeitsgründe oder nur Anfechtungsgründe geltend gemacht werden insoweit von Bedeutung, als nur bei eindeutiger Rechtslage bzw. bei einer offensichtlich fehlerhaften Betriebsratswahl ein Eingriff in das bevorstehende Wahlverfahren gerechtfertigt ist. Auch im vorigen Fall hat weder die Schriftsätze der Parteien noch die mündliche Verhandlung eindeutig ergeben, ob eine in den Betrieben der... und... gemeinsam durchgeführte Betriebsratswahl den Vorschriften des Betriebsverfassungsgesetzes entspricht. Für die Auffassung der... und... es seien getrennte Betriebsräte zu wählen, spricht allerdings die Tatsache, dass es sich um Betriebe zweier selbständigen Unternehmen handelt und deshalb zunächst eine Vermutung für die Wahl getrennter Betriebsräte besteht. Nach dem Vortrag der Antragstellerinnen und den von ihr vorgelegten eidesstattlichen Versicherungen besteht für beide Betriebe getrennte Leitungsstrukturen, was ebenfalls für selbständige Betriebsteile spricht. Anderseits besteht eine solche Vernetzung der Organisationsstruktur beider Betriebe, die sich gegenseitigen ergänzen und die lediglich aus marktstrategischen Gründen unternehmerisch getrennt wurden. Nicht zu verkennen ist auch, dass eine einheitliche Leitungsmacht beider Unternehmen von der... GmbH (...) ausgeübt wird. Angesichts dieser komplizierten Vernetzung war es für das Beschwerdegericht nicht möglich, aufgrund der Anhörung der Parteien eine eindeutige Aussage darüber treffen zu können, ob in den Betrieben der... und der... ein gemeinsamer Betriebsrat zu wählen ist. Für die Entscheidung des Beschwerdegerichts war vielmehr eine Abwägung der Interessen der Antragstellerinnen mit der Interessenlage der bei der... und bei der... beschäftigten Mitarbeiter an einer wirksamen Vertretung durch einen Betriebsrat entscheidend. Hätte das Beschwerdegericht dem Antrag stattgegeben, so hätte die für den 15.04.1994 geplante Betriebsratswahl nicht durchgeführt werden können mit der Folge, dass ein neuer Wahlvorstand für beide Betriebe hätte bestellt werden müssen, dieser eine neues Wahlausschreiben hätte verfassen und die Wahl um etwa 2-3 Monate hätte aufschieben müssen. Da das Amt des bei der... bestehenden Betriebsrates am 05.05.1994 endete, wäre nach diesem Tag eine betriebsratslose Zeit bis zu den Neuwahlen eingetreten. Dem steht nicht entgegen, dass der Prozessvertreter der... und der... im Anhörungstermin erklärt haben, die Antragstellerinnen würden den im Amt befindlichen Betriebsrat ungeachtet eines eventuellen Ablaufes der Amtsperiode am 05.05.1994 bis zu einer Neuwahl des Betriebsrates bei der Antragstellerin Ziff. 1, längstens aber bis zum 30.06.1994 als einen mit Rechten und Pflichten im Amt befindlichen Betriebsrat ansehen und behandeln. Eine solche Absichtserklärung der... und der... ist rechtlich bedeutungslos und führt nicht dazu, dass der Betriebsrat Rechte der Mitarbeiter dieses Betriebes wirksam ausüben könnte. Betriebsratsrechte entstehen originär durch die Wahl des Betriebsrates und unterliegen nicht der Disposition des Arbeitgebers. Nichts anderes gilt für die zwischen der GmbH und dem Gesamtbetriebsrat der... GmbH geschlossenen Gesamtbetriebsvereinbarung vom 21.12.1993, in der unter Ziff. 2 Punkt 2 vereinbart wurde, dass die bisher zuständigen örtlichen Betriebsräte bis zur Konstituierung der neuen Betriebsräte der... GmbH in personellen Einzelmaßnahmen treuhänderisch eingeschaltet werden sollen. Das Beschwerdegericht hält diese Gesamtbetriebsvereinbarung in diesem Punkt ebenfalls für unverbindlich. Maßgebend für die Entscheidung des Beschwerdegerichts war somit, das lediglich durch eine Zurückweisung des Antrages sichergestellt werden kann, dass keine betriebsratslose Zeit entsteht und damit die Rechte der Mitarbeiter in den Betrieben der... und der... lückenlos bestehen bleibt. Da die Frage der Rechtmäßigkeit einer gemeinsamen Betriebsratswahl in beiden Betrieben weiterhin umstritten bleibt konnte das Beschwerdegericht davon ausgehen, dass ein weiteres Beschlussverfahren unumgänglich sein wird, um die Rechte der Beteiligten in Zukunft abzuklären. Ist ein solches Beschlussverfahren jedoch ohnehin unumgänglich, so ist es gerechtfertigt entscheidend darauf abzustellen, welche Interessen der Aussetzung bei den Betriebsratswahlen vom 15.04.1994 überwiegen. Gegenüber den überwiegenden Interessen der Mitarbeiter der Antragstellerinnen spricht lediglich die theoretische Möglichkeit, dass auch bei einem späteren Obsiegen der Antragstellerin möglicherweise eine betriebsratslose Zeit entstehen könnte, die jedoch bei rechtzeitiger Einleitung einer Neuwahl verhindert werden könnte. Diese Gründe hat das Beschwerdegericht bewogen, die Beschwerde der... und... zurückzuweisen.

Rechtsmittelbelehrung:

Gegen diese Entscheidung ist kein Rechtsmittel gegeben (§ 92 Abs. 1 Satz 3 ArbGG).