Betriebsratswahl: Beschäftigtenzahl i.S.v. § 9 BetrVG

LAG Hamm 3 TaBV 42/98 vom 18. März 1998

Leitsatz

Ein Wahlvorstand darf bei der Feststellung der Beschäftigtenzahl i.S.v. § 9 BetrVG für sieben zu wählende Betriebsratsmitglieder Aushilfen, die über sechs Monate im Jahr beschäftigt werden, und Arbeitnehmerinnen, die anlässlich von Erziehungsurlaubsgewährungen unbefristet eingestellt werden, berücksichtigen, so dass eine an sich mögliche Eingriffsregelung einer Arbeitgeberin gegen den Wahlvorstand in ein Betriebsratswahlverfahren aufgrund dieses Sachverhaltes unbegründet ist.

Gründe

A.

Mit dem am 13.02.1998 eingereichten Beschlussverfahren begehrt die Antragstellerin im Wege der einstweiligen Verfügung den Abbruch einer von einem Wahlvorstand eingeleiteten Betriebsratswahl.

Die antragstellende KG (künftig: Arbeitgeberin) betreibt in R. eine Spinnerei, ein Weberei-V. und eine Färberei, mit denen sie Garne und Gewebe produziert. Mittels einer auch dort angesiedelten großen Verwaltung vertreibt sie diese Produkte und auch gleiche Produkte, die sie an anderen Standorten fertigt. Der Antragsgegner dieses Verfahrens ist der Wahlvorstand (künftig: WV), der von dem Betriebsrat, der von den Beschäftigten am Standort R. gemeinsam gewählt worden ist, für die Einleitung und Durchführung wiederum einer gemeinsamen Betriebsratswahl der Beschäftigten am Standort R. bestellt worden ist. Der WV hängte am 11.02.1998 für eine Betriebsratswahl am 26.03.1998 ein Wahlausschreiben aus, wonach gemäß Abstimmung durch gemeinsame Wahl sieben Betriebsratsmitglieder (vier Arbeiter und drei Angestelltenvertreter) von 93 Arbeitern und 61 Angestellten zu wählen sind. Nach der vom WV erstellten Wählerliste sind 149 Beschäftigte wahlberechtigt.

Die Arbeitgeberin hat gemeint, ihre Arbeitnehmerzahl i.S.v. § 9 BetrVG betrage unter 151, so dass nicht sieben, sondern fünf Betriebsratsmitglieder zu wählen seien. Bei der Wählerliste der Arbeiter seien neun nicht mitzuzählen. Frau G., Herr K. und Herr K.--- würden nur gelegentlich beschäftigt werden. Frau W. habe selbst zum 28.02.1998 gekündigt. Auf ihrem Arbeitsplatz werde die Auszubildende H., die im Sommer ihren Abschluss mache, weiterbeschäftigt. Frau N. und Frau P. befänden sich im Erziehungsurlaub. Ihre Arbeitsplätze seien weggefallen. Auch dürfe der WV drei weitere Erziehungsurlaubsvertreterinnen nicht mitzählen, obwohl diese unbefristet eingestellt worden seien.

Die Arbeitgeberin hat beantragt,

dem Antragsgegner und Beteiligten zu 2) im Wege der einstweiligen Verfügung aufzugeben, dass im Betrieb der Antragstellerin eingeleitete Betriebsratswahlverfahren abzusetzen und die für den 26.03.1998 vorgesehene Betriebsratswahl abzusetzen.

Der WV hat beantragt den Antrag abzuweisen.

Der WV hat behauptet, der Unterschied in der Zahl der zu berücksichtigenden Beschäftigten im Wahlausschreiben und der Wählerliste liege darin, dass fünf geringfügig Beschäftigte nicht in der Wählerliste aufgeführt worden seien.

Im Kammertermin am 04.03.1998 hat der WV Lohnsteuerpauschalisierungslisten für die Monate Juli 1997 bis Dezember 1997 vorgelegt, nach denen die Arbeitgeberin jeden Monat einmal zehn, sonst zwölf bis 13 Aushilfen beschäftigt hat.

Durch Beschluss vom 04.03.1998 hat das Arbeitsgericht den Antrag abgewiesen. Es hat dazu u.a. ausgeführt, gem. §§ 2 a, 80, 85Abs. 1 sei der Antrag auf Erlass der einstweiligen Verfügung zulässig. Der Antrag sei aber unbegründet, da die Kammer im summarischen Verfahren, das im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes zu erfolgen habe, nicht abschließend die Frage der Betriebsgröße klären könne. Dabei müsse die Klärung dieser streitigen Frage dem Hauptsacheverfahren, einem eventuellen Wahlanfechtungsverfahren, vorbehalten bleiben. Der WV habe zu Recht von einer Kopfzahl von über 150 ausgehen können. Nicht zu beanstanden sei, dass der WV die fünf Aushilfen mitgezählt habe. Denn ausweislich der Lohnsteuerpauschalisierungslisten seien diese Arbeitnehmer neben anderen mindestens sechs Monate im Jahre 1997 beim Arbeitgeber beschäftigt gewesen. Gleiches gelte für die drei weiteren Aushilfen G., K. und K---. Auch Arbeitnehmer, die nur gelegentlich zu geringfügigen Arbeiten herangezogen würden, seien mitzuzählen, soweit sie mehr als sechs Monate im Jahr aushilfsweise beschäftigt würden. Da ausweislich der Lohnsteuerpauschalisierungslisten die benannten Arbeitnehmer sowie weitere mehr als sechs Monate im Jahr beschäftigt würden, habe der Arbeitgeber Tatsachen glaubhaft machen müssen, dass in Zukunft nicht mit der Beschäftigung im gleichen Umfange gerechnet werden könne. Der Arbeitgeber habe zwar darauf hingewiesen, dass einige Aushilfen nur in einem zwischenzeitlich stillgelegten Betriebsteil zu Aufräumarbeiten herangezogen worden seien. Da der WV aber nur einen Teil der Aushilfen berücksichtigt habe und eine der Aushilfen unstreitig noch am Terminstage im Betrieb gewesen sei, seien die vorgenannten Arbeitnehmer zunächst mit zu berücksichtigen.

Auch die Stellung der unbefristet eingestellten Arbeitnehmerinnen könne im summarischen Verfahren nicht abschließend geklärt werden. Bei unbefristeten Einstellungen sei der Vertretungscharakter nicht offensichtlich. Insbesondere lasse sich in einem solchen Falle für Außenstehende nicht unterscheiden, ob diese Arbeitnehmerinnen aus Anlass des Erziehungsurlaubes eingestellt worden seien. Etwas anderes ergebe sich auch nicht aus dem Wortlaut des § 21 Abs. 7 Bundeserziehungsgeldgesetz. § 9 BetrVG knüpfe an die Arbeitnehmerzahl an. Damit komme es nach § 21 Abs. 7 Satz 1 Bundeserziehungsgeldgesetz i.V.m. Abs. 1 Bundeserziehungsgeldgesetz darauf an, ob ein Vertreter für die Arbeitnehmer, die sich im Erziehungsurlaub befänden, eingestellt worden sei und dass eine Befristung vorliege. Die Dauer der Befristung könne sich nach § 21 Abs. 3 Bundeserziehungsgeldgesetz zwar auch aus den Zwecken des § 21 Abs. 1 Bundeserziehungsgeldgesetz ergeben; nach unstreitigem Vorbringen lasse sich den Arbeitsverträgen der Arbeitnehmerinnen dies aber nicht entnehmen.

Im übrigen wird auf die erstinstanzlichen Entscheidungsgründe verwiesen.

Gegen diesen Beschluss hat die Arbeitgeberin form- und fristgerecht einschließlich der Begründung Beschwerde beim Landesarbeitsgericht Hamm eingelegt.

Die Arbeitgeberin ist weiterhin unter Wiederholung ihres erstinstanzlichen Vorbringens der Ansicht, die vom WV anzunehmende Beschäftigtenzahl i.S.v. § 9 BetrVG liege unter 151.

Der Vertreter der Beschwerdeführerin beantragt,

den Beschluss des Arbeitsgerichts Rheine vom 04.03.1998 - 2 BV Ga 4/98 - aufzuheben und dem Antragsgegner und Beschwerdegegner im Wege der einstweiligen Verfügung aufzugeben, das in dem Betrieb der Antragstellerin eingeleitete Betriebsratswahlverfahren abzubrechen und die für den 26.03.1998 vorgesehene Betriebsratswahl abzusetzen.

Der Vertreter des WV beantragt,

die Beschwerde der Beteiligten zu 1) zurückzuweisen.

Der WV ist der Ansicht, bei der Beschäftigtenzahl seien noch Herr M. und Herr K::: zu berücksichtigen. Er habe Herrn M. nicht gezählt, weil dieser am 30.01.1981 geboren sei. § 9 BetrVG stelle jedoch für die Wahl von sieben Betriebsratsmitgliedern auf die Arbeitnehmerzahl und nicht auf deren Wahlberechtigung ab. Herr K::: sei auch als Aushilfe und mehr als sechs Monate im Jahr bei der Arbeitgeberin tätig.

Wegen des weiteren Vorbringens der Beteiligten wird auf den vorgetragenen Akteninhalt verwiesen.

B.

I.

Die gem. §§ 89, 87, 66, 64Abs. 1, 516 ff. ZPO an sich statthafte und form- und fristgerecht eingelegte Beschwerde der Arbeitgeberin ist unbegründet.

II.

1. Wie das erstinstanzliche Gericht zutreffend unter Zitierung auch der Rechtsprechung der erkennenden Kammer ausgeführt hat, ist zwar die von der Arbeitgeberin erstrebte Eingriffsregelung in das Wahlverfahren zulässig, obwohl die Arbeitgeberin keine einstweilige Regelung, wie sie § 940 ZPO vorsieht, sondern eine Leistungs- oder Befriedigungsverfügung entsprechend dem Antrage im Hauptverfahren erstrebt. Zur weiteren Begründung der Zulässigkeit des Antrages schließt sich die erkennende Kammer den erstinstanzlichen Entscheidungsgründen an (§§ 87 Abs. 2, 64 Abs. 6 ArbGG, 543 ZPO).

2. Der Antrag ist jedoch in Übereinstimmung mit dem erstinstanzlichen Gericht unbegründet.

a) Da die von der Arbeitgeberin erstrebte Eingriffsregelung eine von der Rechtsprechung zugelassene Ausnahmeverfügung ist, ist dieser unter Anlegung eines strengen Maßstabes und der Gesamtabwägung für das Für und das Wider nur stattzugeben, wenn ein festzustellender Rechtsmangel nicht korrigierbar ist und die Weiterführung der Wahl mit Sicherheit eine erfolgreiche Anfechtung oder die Nichtigkeit zur Folge hätte (LAG Hamm, Beschluss vom 09.03.1994, 3 TaBV 25/94; Fitting/Kaiser/Heither/Engels, Kommentar zum Betriebsverfassungsgesetz, 18. Aufl., § 18 Rdn. 22 a; Kreutz, GK-Betriebsverfassungsgesetz, 5. Aufl., § 18 Rdn. 77 m.w.N.). Die bloße Wahrscheinlichkeit eines Verstoßes gegen eine wesentliche Wahlvorschrift genügt für die erstrebte Eingriffsregelung damit nicht (so auch Kreutz, a.a.O.).

b)

aa) Der Arbeitgeberin ist einzuräumen, dass ein Verstoß gegen die Beschäftigtenzahl von über 150 für sieben zu wählende Betriebsratsmitglieder durch den WV ein Verstoß gegen eine wesentliche Wahlverfahrensvorschrift i.S.v. § 19 Abs. 1 BetrVG ist, die die Arbeitgeberin zur Wahlanfechtung berechtigt, denn die Beschäftigtenzahlen des § 9 BetrVG, von denen die Betriebsratsmitgliederzahlen abhängen, sind zwingend (Fitting/Kaiser/Heither/ Engels, a.a.O., § 9 Rdn. 2; LAG Hamm, Entscheidung vom 09.02.1994 - 3 TaBV 25/94).

bb) Aber für die erkennende Kammer ist nicht unter Anlegung eines strengen Maßstabes, d.h. offensichtlich, feststellbar, dass die Beschäftigtenzahl i.S.v. § 9 BetrVG von dem WV im Zeitpunkt des Erlasses des Wahlausschreibens mit unter 151 anzusetzen war. Nach dem gegebenen Sachverhalt spricht nicht einmal die bloße Wahrscheinlichkeit dafür.

Für die Bestimmung der Regelzahl der Beschäftigten i.S.v. § 9 BetrVG darf der WV nicht allein auf den Tag des Erlasses des Wahlausschreibens abstellen. Im Anschluss an die Rechtsprechung des BAG (in NZA 1992, 183 und in NZA 1993, 958; so auch die erkennende Kammer, Entscheidung vom 18.01.1995, 3 TaBV 136/94) sind in der Regel diejenige Zahl von Arbeitnehmern beschäftigt, die während des größten Teiles des Jahres beschäftigt werden. Darüber hinaus bedarf es für die Feststellung der Regelzahl eines Rückblickes auf die bisherige personelle Stärke des Betriebes und einer Einschätzung der zukünftigen Entwicklung. Die zukünftige Entwicklung ist vom WV nur zu berücksichtigen, wenn die Arbeitgeberin konkrete Veränderungsentscheidungen schon getroffen hat. Bloße Befürchtungen oder Erwartungen berechtigen den WV nicht dazu, die Zahl der regelmäßig Beschäftigten geringer anzusehen. In Grenzfällen hat der WV einen gewissen Beurteilungsspielraum im Rahmen seines pflichtgemäßen Ermessens.

cc) Nach diesen Rechtsprechungsvorgaben durfte der WV, wie er es getan hat, die mehr als sechs Monate im Jahr tätigen Aushilfen für die Feststellung der Beschäftigtenzahl mitzählen. Ferner konnte er neben den im Erziehungsurlaub befindlichen Arbeitnehmerinnen auch die neu eingestellten Arbeitnehmerinnen für die Beschäftigtenzahl berücksichtigen, mögen diese auch, wie die Arbeitgeberin behauptet, anlässlich der Erziehungsurlaubsgewährungen eingestellt worden sein. Die neu eingestellten Arbeitnehmerinnen sind unbefristet und ohne ausdrückliche Verknüpfung im Arbeitsvertrag mit den Beurlaubungen eingestellt worden, wie die Arbeitgeberin dem erstinstanzlichen Gericht im Kammertermin vom 04.03.1998 erklärt hat. Auch dem Betriebsrat ist eine solche Verknüpfung bei dem Zustimmungsverfahren zu den Einstellungen gem. § 99 Abs. 1 BetrVG nicht mitgeteilt worden, wie der WV unbestritten schon im erstinstanzlichen Schriftsatz vom 26.02.1998 Seite 3 vorgetragen hat. Das Gesetz sieht in § 9 BetrVG keine Begrenzung der Beschäftigtenzahl durch den Einstellungsanlass vor.

Entgegen der Ansicht der Arbeitgeberin ist die Zählung der neu eingestellten Arbeitnehmerinnen aus Anlass der Erziehungsurlaubsgewährungen nicht durch § 21 Abs. 7 Bundeserziehungsgeldgesetz (BErzGG) ausgeschlossen (so schon die erkennende Kammer, Entscheidung vom 18.01.1995, 3 TaBV 136/94). § 21 Abs. 7 Satz 1 BErzGG verweist für den Ausschluss der Zählung ausdrücklich auf die Berücksichtigung des § 21 Abs. 1 BErzGG, d.h., die nicht mitzuzählenden Arbeitnehmerinnen müssen als Vertreter befristet für die Arbeitnehmerinnen eingestellt sein, die sich im Erziehungsurlaub befinden. In diesem einstweiligen Verfügungsverfahren kann letztlich diese Meinung der erkennenden Kammer zu der Auslegung des § 21 BErzGG dahingestellt bleiben, da jedenfalls insoweit nicht offensichtlich ein Verstoß des WV bei der Festsetzung der Beschäftigtenzahl festgestellt werden kann.

Richtig ist außerdem die zweitinstanzlich vorgetragene Ansicht des WV, dass er noch den Auszubildenden M. und Herrn K. bei der Beschäftigtenzahl berücksichtigen durfte, so dass in jedem Falle die Beschäftigtenzahl über 150 beträgt und deshalb sieben Betriebsratsmitglieder zu wählen sind.

III.

Gegen diesen Beschluss ist kein Rechtsmittel statthaft, (§§ 92 Abs. 1 Satz 3 ArbGG).