Betriebsverfassungsrecht: Erforderlichkeit der Teilnahme des Betriebsrats an Konferenzen über die Durchführung einer Betriebsratswahl

BAG 1 AZR 99/54 vom 10. Nov. 1954

Leitsätze

1. Die Durchführung von Betriebsratswahlen gehört nicht zu den Aufgaben des Betriebsrats, sondern des Wahlvorstandes.

2. Daher ist die Teilnahme von Betriebsratsmitgliedern an Betriebsrätekonferenzen über die Durchführung bevorstehender Betriebsratswahlen nicht zur ordnungsmäßigen Durchführung von Betriebsratsaufgaben erforderlich. Für hierdurch versäumte Arbeitszeit besteht kein Anspruch auf Fortzahlung des Arbeitsentgelts.

Tatbestand

Die Beklagte betreibt eine Lederhandschuhfabrik. Sie ist betriebsratspflichtig und beschäftigt i.d.R. weniger als 20 Arbeitnehmer. Der Kläger, der von Beruf Handschuhmacher ist, war Betriebsobmann.

Am 10. März 1553 hatte die Gewerkschaft Leder, Ortsverwaltung Stuttgart, folgendes Schreiben an die ihr angehörenden Betriebsratsvorsitzenden gerichtet:

"Am Donnerstag, den 12. März findet eine Sitzung aller Betriebsratsvorsitzenden unserer Ortsverwaltung statt im Gewerkschaftshaus Stuttgart, Jugendsaal, Beginn 13.30 Uhr.

Tagesordnung:

"Durchführung der Betriebsrätewahlen 1953

In Anbetracht der wichtigen Tagesordnung bitten wir alle Vorsitzenden der Betriebsräte an dieser Sitzung teilzunehmen und pünktlich zu erscheinen."

Der Kläger nahm an dieser Sitzung teil und versäumte deswegen 4 1/2 Arbeitsstunden. Die Beklagte weigerte sieh, für diese Zeit Lohn in Höhe von 7,78 DM zu zahlen.

Der Kläger hat beantragt,

die Beklagte zur Zahlung von 7,78 DM zu verurteilen. Er hat vorgebracht, es habe sich bei der Sitzung im Gewerkschaftshaus nicht um eine allgemeine Schulung von Gewerkschaftsmitgliedern gehandelt, sondern um die Unterrichtung der Betriebsratsvorsitzenden in einer konkreten akuten Angelegenheit, die auch den Betrieb der Beklagten betroffen habe. Es habe im Februar/März 1953 in den Betrieben eine große Unsicherheit wegen der Durchführung der bevorstehenden Betriebsratswahlen geherrscht. Um diese Unsicherheit durch eine zweckentsprechende Unterrichtung zu beseitigen, sei die Sitzung einberufen worden. Es seien nur die Betriebsratsvorsitzenden der fraglichen Betriebe eingeladen worden, damit wenigstens ein Mann in jedem Betrieb über die Art und Weise, wie die Wahl durchzuführen sei, Bescheid gewusst habe. Die Teilnahme des Klägers an der Unterrichtung sei erforderlich gewesen, weil er sonst seinen Aufgaben als Betriebsobmann im Betrieb der Beklagten nicht habe ordnungsmäßig nachkommen können.

Die Beklagte hat gebeten,

die Klage abzuweisen.

Sie hat ausgeführt, die Teilnahme von Betriebsräten an Veranstaltungen der Gewerkschaften gehöre nicht zu den Amtspflichten der Betriebsratsmitglieder. Infolgedessen sei eine etwaige Arbeitsversäumnis vom Arbeitgeber nicht zu bezahlen. Dies gelte ganz besonders für Schulungskurse. Nur bei Arbeitsversäumnis infolge Wahrnehmung von unmittelbar betriebsbezogenen Aufgaben müsse der Arbeitgeber den Lohn weiter zahlen.

Das Arbeitsgericht hat die Beklagte nach Klageantrag verurteilt und die Berufung gegen das Urteil zugelassen.

Die hiergegen eingelegte Berufung wurde durch Urteil des Landesarbeitsgerichts Stuttgart vom 15. Oktober 1953 zurückgewiesen. Die Revision wurde zugelassen.

Gegen das Urteil, dessen Zustellung nicht aktenkundig ist, legte die Beklagte am 12. März 1954 Revision ein, die sie am 09 April 1954 begründete. Mit der Revision erstrebt die Beklagte Aufhebung des Urteils des Landesarbeitsgerichts Stuttgart vom 15. Oktober 1953 und des Arbeitsgerichts Stuttgart vom 15. Juni 1953 sowie Klageabweisung, hilfsweise Aufhebung des angefochtenen Urteils und Zurückverweisung der Sache zur anderweitige Verhandlung und Entscheidung an das Landesarbeitsgericht.

Die Revision rügt unrichtige Anwendung des § 37 Abs. 2 BetrVG. Sie führt aus, die Teilnahme des Klägers an der Betriebsrätekonferenz habe nicht zur ordnungsmäßigen Durchführung seiner Aufgaben als Betriebsobmann gehört, weil gewerkschaftliche Veranstaltungen nichts mit dem innerbetrieblichen Aufgabenbereich eines Betriebsrats zu tun haben könnten. Insbesondere falle aber die Durchführung von Betriebsrätewahlen nicht in den Aufgabenbereich der Betriebsräte. Selbst wenn man aber in diesen Punkten die Ansichten des angefochtenen Urteils teile, sei die Anhörung einer gewerkschaftlichen Belehrung während der Arbeitszeit nicht erforderlich gewesen, insbesondere nicht für den Kläger, der Betriebsobmann eines kleinen Betriebes mit leicht Überschaubaren Verhältnissen gewesen sei.

Der Kläger bittet,

die Revision zurückzuweisen.

Gründe

Die Revision ist begründet.

Wenn die Revisionsklägerin meint, die Teilnahme an einer von einer Gewerkschaft veranstalteten Betriebsrätekonferenz könne niemals zur ordnungsmäßigen Durchführung von Betriebsratsaufgaben erforderlich sein, so ist dies unrichtig. Insoweit wird auf die Ausführungen in dem Urteil des Senats - 1 AZR 19/53 - vom 10. November 1954 verwiesen.

Hingegen ist der Revisionsklägerin darin Recht zu geben, dass die Teilnahme des Klägers an einer Betriebsrätekonferenz über die Durchführung von Betriebsratswahlen 1953 zur ordnungsmäßigen Durchführung seiner Betriebsratsaufgaben nicht erforderlich war. Denn nach den ausdrücklichen Bestimmungen des Betriebsverfassungsgesetzes sowie der hierzu ergangenen Wahlordnung vom 18. März 1953 (BGBl I, 58) obliegt die Durchführung der Betriebsratswahlen dem Wahlvorstand (§ 17 Abs. 1 Satz 1 BetrVG; § 1 WahlO). Der etwa noch vorhandene alte Betriebsrat hat mit der Durchführung der kommenden Betriebsratswahl grundsätzlich nichts zu tun. Ist dies aber der Fall, so brauchte sich auch der Kläger keine Kenntnisse über die Durchführung der Betriebsratswahlen 1953 zu verschaffen; die im Frühjahr 1953 durchzuführende Betriebsratswahl gehörte nicht zu seinem Aufgabenbereich als Betriebsobmann.

Der Hinweis, der Wahlvorstand sei durch den Betriebsrat spätestens 6 Wochen vor Ablauf seiner Amtszeit zu bestellen (§ 15 Abs. 1 Satz 1 BetrVG) vermag an diesem Ergebnis nichts zu ändern. Denn bei der Bestellung des Wahlvorstandes, die allerdings zur Aufgabe des Klägers als Betriebsobmann gehörte, handelte es sich lediglich um die Schaffung der institutionellen Voraussetzung zur Durchführung der Betriebsratswahlen. Es ist nichts dafür vorgebracht, dass sich die Betriebsrätekonferenz gerade mit dieser Frage der Bestellung eines Wahlvorstandes befasst hätte. Es ist auch nicht ersichtlich, dass und warum gerade hier für den Kläger als Betriebsobmann besondere Schwierigkeiten vorgelegen hätten, die nach Art und Umfang des Betriebes eine vorherige Information auf einer Betriebsrätekonferenz notwendig gemacht hätten. Zwar war seinerzeit nicht klar, wie die Betriebsratswahlen durchzuführen waren. Das Betriebsverfassungsgesetz war Gerade erst am 14. November 1952 in Kraft getreten, die Wahlordnung war noch nicht erlassen. Es mag zutreffen, dass deswegen in den Betrieben hier und dort eine gewisse Unruhe herrschte. Aber all dies rechtfertigt die Teilnahme des Klägers in seiner Eigenschaft als Betriebsobmann an einer Betriebsrätekonferenz über die Durchführung kommender Betriebsratswahlen, mit der er aufgabenmäßig nichts zu tun hatte. Das angefochtene Urteil meint, es sei zweckmäßig gewesen, dass wegen der damaligen besonderen Schwierigkeiten wenigstens ein Angehöriger der Arbeitnehmerschaft des Betriebes der Revisionsklägerin über die Handhabung und Durchführung der Betriebsratswahl 1953 sachgemäß informiert gewesen wäre. Dabei wird aber verkannt, dass es hier auf diesem Gesichtspunkt nicht ankommt. Die Teilnahme an einer Betriebsrätekonferenz, die zwar einer zweckmäßigen Wissensvermittlung dient, aber offensichtlich gerade nicht zur Durchführung von Betriebsratsaufgaben erforderlich ist, bedingt keine Versäumnis von Arbeitszeit, die entgeltpflichtig ist.

Der Hinweis des Klägers, dass der amtierende Betriebsrat nach einzelnen Bestimmungen des BetrVG (§§ 7 Abs. 1 Satz 2, 9 Abs. 2 BetrVG) sehr wohl mit der kommenden Betriebsratswahl etwas zu tun habe, geht fehl. Diese Bestimmungen haben jedenfalls nichts mit der Durchführung der Betriebsratswahl zu tun. Insbesondere ergibt sich aus § 7 Abs. 1 Satz 2 BetrVG nichts dafür dass bei dem Dispens von Voraussetzungen der Wählbarkeit von Betriebsangehörigen in den Betriebsrat der Betriebsrat selbst eine Funktion auszuüben hat. § 9 Abs. 2 BetrVG, der von Betrieben mit mehr als 1.000 Arbeitnehmern spricht, trifft für den konkreten Fall nicht zu. Im Übrigen kann hier dahingestellt bleiben, ob nach § 19 Abs. 3 BetrVG gegebenenfalls bei schwieriger Rechtslage eine Teilnahme von Mitgliedern des Wahlvorstandes an einer Informationskonferenz der Gewerkschaften als notwendige Versäumnis von Arbeitszeit angesehen werden kann.

Nach allem ist der Anspruch des Klägers unbegründet. Das angefochtene Urteil war daher mit dem Urteil des Arbeitsgerichts Stuttgart aufzuheben. Bei richtiger Anwendung des § 37 Abs. 2 BetrVG auf den festgestellten Sachverhalt war die Sache zur Endentscheidung reif. Die Klage musste abgewiesen werden. Die Entscheidung über die Kosten folgt aus § 91 ZPO.