Betriebsratskosten bei nichtiger Betriebsratswahl

BAG 7 ABR 42/97 vom 29. Apr. 1998

Leitsätze

Beruht die Nichtigkeit einer Betriebsratswahl nach § 118 Abs. 2 BetrVG auf einer nicht offenkundigen Verkennung des Geltungsbereichs des Betriebsverfassungsgesetzes, steht einem nichtig gewählten Betriebsratsmitglied ein Anspruch auf Erstattung tatsächlicher Aufwendungen nach betriebsverfassungsrechtlichen Grundsätzen zu.

Hinweise des Senats: Vgl. Senatsbeschluss vom 30. April 1997 - 7 ABR 60/95 AP Nr. 60 zu § 118 BetrVG.

Gründe

A. Die Beteiligten streiten darüber, inwieweit der Arbeitgeber bei einer nichtigen die Kosten der Betriebsratstätigkeit zu tragen hat.

Der Arbeitgeber betreibt im gesamten Bundesgebiet Jugenddörfer, sozialpädagogische Institute und Schulen. Für seine in Westfalen gelegenen Einrichtungen, zu denen auch das Jugenddorf B gehört, ist er seit 1964 Mitglied des Diakonischen Werks der Evangelischen Kirche in Westfalen, das dem Diakonischen Werk der Evangelischen Kirche Deutschlands (EKD) angeschlossen ist. Bei der im Jugenddorf B am 3. Dezember 1993 durchgeführten Betriebsratswahl wurde der Antragsteller zum Mitglied des Betriebsrats gewählt. Nachdem bereits im September 1993 von den Betriebsräten anderer Einrichtungen des Arbeitgebers ein Gesamtbetriebsrat konstituiert worden war, beschloss der Betriebsrat des Jugenddorfs B am 8. Dezember 1993, den Antragsteller als Vertreter der Gruppe der Angestellten in den Gesamtbetriebsrat zu entsenden.

Die Betriebsratswahl hatte der Arbeitgeber wie die in anderen Einrichtungen unter Hinweis auf § 118 Abs. 2 BetrVG angefochten. Durch Beschluss vom 12. Juli 1995 erklärte das Landesarbeitsgericht die Betriebsratswahl für nichtig, nachdem das Arbeitsgericht durch Beschluss vom 3. Februar 1994 den Wahlanfechtungsantrag zurückgewiesen hatte. Der Beschluss des Landesarbeitsgerichts ist nach erfolgloser Durchführung des Rechtsbeschwerdeverfahrens mit Verkündung des Senatsbeschlusses vom 30. April 1997 (- 7 ABR 60/95 -) rechtskräftig geworden, Während des laufenden Wahlanfechtungsverfahrens nahm der Antragsteller auf Beschluss des Betriebsrats am 12. Januar 1995 an einer Gesamtbetriebsratssitzung in Homburg (Saar) und am 16. März 1995 an einer Betriebsräteversammlung in Bonn teil. Der Arbeitgeber verweigerte im Hinblick auf die zwischenzeitlich vom Landesarbeitsgericht festgestellte Nichtigkeit der Wahl die Erstattung von Reisekosten und die Zahlung von Tagegeldern entsprechend der für seine Einrichtungen geltenden Reisekostenordnung.

Der Antragsteller hat die Auffassung vertreten, bis zur rechtskräftigen Feststellung der Nichtigkeit der Betriebsratswahl habe er auf die Rechtmäßigkeit seiner Mandatsausübung vertrauen dürfen. Der Arbeitgeber habe daher diejenigen Kosten zu erstatten, die auch bei einer ordnungsgemäßen Betriebsratswahl für die Wahrnehmung betriebsverfassungsrechtlicher Aufgaben angefallen wären.

Der Antragsteller hat beantragt, den Arbeitgeber zu verpflichten, an den Antragsteller 539,56 DM (netto) sowie weitere 279,01 DM (netto) nebst 4 % Zinsen ab jeweiliger Rechtshängigkeit zu zahlen.

Der Arbeitgeber hat beantragt, den Antrag zurückzuweisen.

Er hat die Auffassung vertreten, aufgrund der Zugehörigkeit seiner Einrichtung zum Diakonischen Werk der EKD sei das Vorliegen des Ausnahmetatbestandes des § 118 Abs. 2 BetrVG offenkundig gewesen. Im Übrigen sei die Erforderlichkeit der Betriebsräteversammlung nicht dargetan.

Die Vorinstanzen haben dem Antrag stattgegeben. Mit seiner Rechtsbeschwerde verfolgt der Arbeitgeber das Ziel, den Antrag abzuweisen. Der Antragsteller beantragt die Zurückweisung der Rechtsbeschwerde.

B. Die Rechtsbeschwerde des Arbeitgebers ist teilweise begründet. Dem Antragsteller steht kein Anspruch auf Zahlung von Tagegeldern in Höhe von insgesamt 73,75 DM zu. Dagegen kann er von dem Arbeitgeber die Erstattung von Reisekosten in Höhe von 495,56 DM bzw. 249,26 DM verlangen, die ihm anlässlich seiner Teilnahme an einer Sitzung des Gesamtbetriebsrats und einer Betriebsräteversammlung entstanden sind.

1. Der Antragsteller stützt seinen Kostenerstattungsanspruch auf § 40 Abs. 1 i.V.m. § 51 Abs. 1 Satz 1 und § 30 sowie § 53 BetrVG. Dabei streiten die Beteiligten um die betriebsverfassungsrechtlichen Folgen einer nichtigen Betriebsratswahl. Das betrifft eine Angelegenheit aus dem Betriebsverfassungsrecht, die nach § 2 a Abs. 1 Nr. 1 i.V.m. Abs. 2 ArbGG im Beschlussverfahren auszutragen ist.

II. Der Antragsteller kann trotz der zwischenzeitlich erfolgten Feststellung der Nichtigkeit der Betriebsratswahl vom Arbeitgeber die Erstattung von Fahrtkosten verlangen, die ihm zuvor bei der Wahrnehmung betriebsverfassungsrechtlicher Aufgaben tatsächlich entstanden sind.

1. Nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts enden die betriebsverfassungsrechtlichen Befugnisse eines Betriebsrats, dessen Wahl innerhalb der Frist des § 19 BetrVG angefochten worden ist, erst mit der Rechtskraft der die Unwirksamkeit der Wahl aussprechenden gerichtlichen Entscheidung (BAG Beschluss vom 13. März 1991 - 7 ABR 5/90 - BAGE 67, 316 = AP Nr. 20 zu § 19 BetrVG 1972, m.w.N.). Bis zu diesem Zeitpunkt bleibt der gewählte Betriebsrat im Amt; für seine Geschäftsführung und die daran knüpfende Kostentragungspflicht des Arbeitgebers gelten die im Betriebsverfassungsgesetz geregelten Voraussetzungen.

2. Eine Wahlanfechtung aus Gründen, die zur Nichtigkeit einer Betriebsratswahl führen, ist im Betriebsverfassungsgesetz weder hinsichtlich der Nichtigkeitsvoraussetzungen noch hinsichtlich der Nichtigkeitsfolgen gesetzlich geregelt. Es entspricht jedoch einem für das Betriebsverfassungsgesetz allgemein anerkannten Grundsatz, dass neben den im gesetzlich geregelten Wahlanfechtungsverfahren geltend zu machenden Wahlmängeln auch solche Gesetzesverstöße vorliegen können, die das Entstehen einer Arbeitnehmervertretung von vornherein ausschließen (Däubler/Kittner/Klebe, BetrVG, 5. Aufl., § 19 Rz 39 f.; Fittirig/Kaiser/Heither/Engels, BetrVG, 18. Aufl., § 19 Rz 3 f.; Hess/Schlochauer/Glaubitz, BetrVG, 5. Aufl., § 19 Rz 12 f.; Kreutz, GK-BetrVG, 6. Aufl., § 19 RZ 131 f.; Richardi, BetrVG, 7. Aufl., § 19 Rz 70 f.). Ein solcher Mangel liegt nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts vor, wenn die Verletzung grundlegender Wahlvorschriften gravierend und dieser Verstoß auch evident ist. Dazu muss bei der Wahl gegen wesentliche Grundsätze des Wahlrechts in einem so hohen Maße verstoßen worden seien, dass nicht einmal der Anschein einer der dem Gesetz entsprechenden Wahl gewahrt wird (BAG Beschluss vom 11. April 1978 - 6 ABR 22/77 - AP Nr. 8 zu § 19 BetrVG 1972, m.w.N.).

In diesen Fällen hat der Ausspruch der Nichtigkeit der Wahl nur deklaratorische Wirkung. Dem aus einer nichtigen Betriebsratswahl hervorgegangenen Betriebsrat stehen von Anfang an keine betriebsverfassungsrechtlichen Befugnisse zu (BAG Beschluss vom 13. März 1991, a.a.O.). Ausmaß und Offenkundigkeit der Nichtigkeitsgründe schließen es selbst bis zur Rechtskraft der arbeitsgerichtlichen Entscheidung aus, den nichtig gewählten Betriebsrat in betriebsverfassungsrechtlicher Hinsicht denjenigen Betriebsratsmitgliedern gleichzustellen, deren Wahl lediglich unwirksam ist.

3. Diese Rechtsgrundsätze bedürfen in den Fällen der Einschränkung, in denen die Nichtigkeit der Wahl auf einer nicht offenkundigen Verkennung des Geltungsbereichs des Betriebsverfassungsgesetzes nach § 118 Abs. 2 BetrVG beruht.

a) Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts ist eine Betriebsratswahl auch dann nichtig, wenn sie in einem Betrieb durchgeführt wird, der nach § 118 Abs. 2 BetrVG nicht unter den Geltungsbereich des Betriebsverfassungsgesetzes fällt, weil es sich um eine karitative und erzieherische Einrichtung einer Religionsgemeinschaft handelt (BAG Beschluss vom 9. Februar 1982 - 1 ABR 36/80 - BAGE 41, 5 = AP Nr. 24 zu § 118 BetrVG 1972, m.w.N.). Denn insoweit fehlt es von Anbeginn an den gesetzlichen Voraussetzungen für die Durchführung einer Betriebsratswahl.

b) Das Vorliegen dieses Nichtigkeitsgrundes ist jedoch in aller Regel nicht offenkundig. Mit der Herausnahme der Kirchen und ihren karitativen und erzieherischen Einrichtungen trägt das Betriebsverfassungsgesetz den durch Art. 140 GG i.V.m. Art, 137 Abs. 3 WRV gewährleisteten Selbstbestimmungsrecht von Religionsgemeinschaften Rechnung. Danach können die Kirchen und ihre Einrichtungen ihre Angelegenheiten innerhalb der für alle geltenden Gesetze ordnen und verwalten.

Dieses Recht erstreckt sich auch auf rechtlich selbständige Vereinigungen und deren Einrichtungen, die nach Zweck oder Aufgabenstellung entsprechend dem kirchlichen Selbstverständnis dazu berufen sind, den weltbezogenen Auftrag der Kirchen wahrzunehmen und zu erfüllen (BAG Beschluss vom 30. April 1997 - 7 ABR 60/95 - AP Nr. 60 zu § 118 BetrVG 1972, m.w.N.). Diese Beurteilung erfordert regelmäßig die Beantwortung schwieriger verfassungsrechtlicher Fragestellungen und eine Bewertung derjenigen Merkmale, aus denen sich ein Mindestmaß an kirchlicher Einflussmöglichkeit ergibt, die den Ausschluss des BetrVG zur Folge hat. Das begründet im Gegensatz zu den Fällen, in denen die Nichtigkeit der Wahl wegen grober und offenkundiger Rechtsverstöße auf der Hand liegt, bis zum rechtskräftigen Abschluss des Wahlanfechtungsverfahrens ein besonderes Schutzbedürfnis für diejenigen Betriebsratsmitglieder, die in einer schwierig zu beurteilenden und unklaren Rechtslage die Geschäfte für den Betriebsrat führen und die dabei entstehenden Kosten aus ihrem Vermögen bestreiten. Sie sind hinsichtlich ihrer tatsächlichen Aufwendungen zu behandeln wie diejenigen Betriebsratsmitglieder, deren Wahl für unwirksam erklärt worden ist.

4. Unter Zugrundelegung dieser Grundsätze kann der Antragsteller die Erstattung von Fahrtkosten aus Anlass seiner Teilnahme an einer Gesamtbetriebsratssitzung und einer Betriebsräteversammlung verlangen, die vor dem rechtskräftigen Abschluss des Wahlanfechtungsverfahrens durchgeführt worden waren. Die Verkennung des Geltungsbereichs des Betriebsverfassungsgesetzes war vorliegend nicht offenkundig. Ob das von dem Arbeitgeber geführte Jugenddorf aufgrund der Mitgliedschaft des Trägervereins im Diakonischen Werk der Evangelischen Kirche in Westfalen eine Einrichtung der EKD ist, konnte letztlich erst mit Rechtskraft des Senatsbeschlusses vom 30. April 1997 als geklärt gelten. Zuvor gab es einander widersprechende instanzgerichtliche Entscheidungen.

Die Teilnahme an der Sitzung des Gesamtbetriebsrats und einer Betriebsräteversammlung gehört zu den gesetzlichen Aufgaben des Mitglieds des Gesamtbetriebsrats (§ 51 BetrVG, § 53 BetrVG). Die in diesem Zusammenhang entstehenden Reisekosten waren zur Erfüllung dieser gesetzlichen Aufgabenstellung erforderlich und der Höhe nach nicht unverhältnismäßig. Der Gesamtbetriebsrat ist nicht verpflichtet, seine Sitzungen oder die von ihm zu verantwortende Betriebsräteversammlung am Sitz der Hauptverwaltung des Unternehmens einzuberufen.

Das Landesarbeitsgericht war auch nicht gehalten, den unsubstantiierten Zweifeln des Arbeitgebers an der Erforderlichkeit der Betriebsräteversammlung nachzugehen. Nach § 53 Abs. 1 BetrVG hat der Gesamtbetriebsrat mindestens einmal im Kalenderjahr eine Betriebsräteversammlung einzuberufen. Insoweit konnte sich der Antragsteller zunächst darauf beschränken, dem Landesarbeitsgericht zur Prüfung seiner Anspruchsberechtigung die Einladung des Gesamtbetriebsrats zur Betriebsräteversammlung vorzulegen. Es wäre sodann Sache des Arbeitgebers gewesen darauf hinzuweisen, aus welchen Gründen sich berechtigte Zweifel an der Erforderlichkeit der Sitzungsteilnahme des Antragstellers ergeben konnten.

Der Antragsteller kann von dem Arbeitgeber nicht die Zahlung von Tagegeldern entsprechend einer betrieblichen Reisekostenordnung verlangen. Die Beschränkung der Nichtigkeitsfolgen bei einer nicht offenkundigen Verkennung des Geltungsbereichs des Betriebsverfassungsgesetzes nach § 118 Abs. 2 BetrVG dient dem Schutz derjenigen, die im Vertrauen auf die Richtigkeit ihrer Rechtsansicht die tatsächlich entstandenen und erstattungsfähigen Kosten ihrer Amtsausübung zunächst selbst getragen haben. Das schließt die Erstattung von pauschalen Tagegeldern aus, die ohne Nachweis konkret entstandener Aufwendungen und ungeachtet ihrer Erstattungsfähigkeit verlangt werden.