Begriff des Betriebsteils

BAG 7 ABR 59/94 vom 28. Juni 1995

Leitsatz

Nicht jede räumlich oder organisatorisch abgrenzbare Arbeitsstätte ist ein Betriebsteil im Sinne des § 4 S. 1 BetrVG. Erforderlich ist zumindest das Bestehen einer eigenen Leitung, die Weisungsrechte des Arbeitgebers ausübt.

Gründe

A. Die Beteiligten streiten darüber, ob sich am Standort E der beteiligten Arbeitgeberin noch ein als selbständiger Betrieb geltender Betriebsteil befindet.

Die Arbeitgeberin hat ihren Sitz in F. Sie unterhielt in E eine Vertriebsfunktionen wahrnehmende technische Geschäftsstelle, einen dem Kundendienst zuzurechnenden Servicestützpunkt und einen Montagestützpunkt. Die dort beschäftigten Arbeitnehmer haben seit mindestens 30 Jahren einen Betriebsrat gewählt.

Im Wege einer Organisationsänderung verlegte die Arbeitgeberin den Innendienst des Montagestützpunktes E, den Innendienst der technischen Geschäftsstelle und den Innendienst des Servicestützpunktes nach H. Den Innendienstmitarbeitern wurde H als Dienstsitz zugewiesen. Die Monteure der Montageleitstelle und andere Außendienstmitarbeiter wurden von der Arbeitgeberin personalführungsmäßig der Hauptverwaltung in F zugeordnet. Ihr Einsatz wird von sog. Montageinspektoren von H aus gesteuert.

Seit dieser Organisationsänderung unterhält die Arbeitgeberin in E nach Aufgabe früherer vorhandener Geschäftsräume nur noch ein aus einem Raum bestehendes sowie mit Telefon und Anrufbeantworter ausgestattetes Büro, das arbeitstäglich zwischen 7. 00 und 10. 00 Uhr mit einem Innendienstmitarbeiter aus H besetzt ist. Die Tätigkeit dieses Innendienstmitarbeiters beschränkt sich darauf, Krankmeldungen von Mitarbeitern an die zuständige Personalabteilung in F weiterzugeben und Anrufe von Kunden nach F oder H weiterzuleiten.

Auch nach der Organisationsänderung ist für die Monteure weiterhin E der Anknüpfungspunkt für die Berechnung der Auslösung nach dem anwendbaren Bundesmontagetarifvertrag der, Eisen-Metall- und Elektroindustrie. In einer Betriebsvereinbarung vom 25. Juni 1982 zwischen dem Arbeitgeber und dem Gesamtbetriebsrat ist bestimmt, dass für Fern- und Nahmontagen die Entsendung zu einem Montageeinsatz in der Regel vom Betriebssitz aus erfolgt.

Nachdem der vom Betriebsrat E für die Betriebsratswahl 1994 eingesetzte Wahlvorstand vom Arbeitgeber zwecks Erstellung der Wählerlisten eine Liste aller Arbeitnehmer verlangt hatte, teilte der Arbeitgeber dem Betriebsrat mit Schreiben vom 19. Januar 1994 mit, dass es spätestens ab 1. April 1994, also auf jeden Fall vor Ablauf der Amtszeit des jetzigen Betriebsrates am 31. Mai 1994, keinen Betrieb im betriebsverfassungsrechtlichen Sinne in E mehr geben werde. Dennoch wurde die Betriebsratswahl durchgeführt. Sie ist von der Arbeitgeberin in einem gesonderten Verfahren angefochten worden.

Im vorliegenden Verfahren haben der Betriebsrat und der Wahlvorstand die Auffassung vertreten, in E gebe es einen Betriebsteil, der wegen seiner weiten Entfernung vom Hauptbetrieb in F als selbständiger Betrieb gelte. Die 44 gewerblichen Arbeitnehmer (Monteure) und 13 Angestellte Techniker seien nach wie vor dem Betrieb in E zuzuordnen. Er meint, dass der Leiter der Montageabteilung, der Stellvertreter des Leiters des Montagestützpunktes sowie zwei Montageinspektoren nicht nur in H - sondern auch in E einen Dienstsitz hätten.

Der Betriebsrat und der Wahlvorstand haben - soweit es die Rechtsbeschwerde noch betrifft - beantragt

festzustellen, dass der Standort E des Arbeitgebers ein betriebsratsfähiger Betrieb im Sinne des § 4 S. 1 Ziff. 1 BetrVG ist.

Die Arbeitgeberin hat beantragt, den Antrag abzuweisen. Sie hat die Auffassung vertreten, in E bestehe wegen Nichterreichung der Arbeitnehmerzahl des § 1 BetrVG kein als selbständiger Betrieb geltender Betriebsteil mehr. Dort werde auch keine einzige betriebsverfassungsrechtlich erhebliche Entscheidung mehr getroffen. Betriebsverfassungsmäßig würden die Monteure, die ehemals dem Standort E zugeordnet waren, vom Montageausschuss des Gesamtbetriebsrates in F betriebsverfassungsrechtlich betreut.

Das Arbeitsgericht hat dem Antrag stattgegeben. Das Landesarbeitsgericht hat die Beschwerde der Arbeitgeberin zurückgewiesen. Mit der Rechtsbeschwerde verfolgt die Arbeitgeberin die Abweisung des Feststellungsantrags weiter. Der Betriebsrat und der Wahlvorstand beantragen, die Rechtsbeschwerde zurückzuweisen.

B. Die Rechtsbeschwerde ist begründet. Sie führt zur Abweisung des Antrags. Entgegen der Auffassung der Vorinstanzen ist der Standort E der Arbeitgeberin kein betriebsratsfähiger Betriebsteil im Sinne von § 4 S. 1 Ziff. 1 BetrVG. Es fehlt bereits am Vorliegen eines Betriebsteils im Sinne dieser Vorschrift. Auf die Frage der räumlichen Entfernung vom Hauptbetrieb kommt es daher nicht mehr an.

I. Bei der Arbeitsstätte in E, die nur aus einem Büroraum besteht, fehlt es bereits an dem Mindestmaß organisatorischer Eigenständigkeit, das für das Vorliegen eines Betriebsteils im Sinne des § 4 S. 1 BetrVG erforderlich ist.

1. Das Landesarbeitsgericht ist bei seiner gegenteiligen Würdigung sinngemäß davon ausgegangen, Betriebsteil im Sinne des § 4 S. 1 BetrVG sei jede räumlich und organisatorisch bzw. nach ihrer Arbeitsaufgabe von anderen Betriebsabteilungen unterscheidbare Arbeitsstätte, die nicht selbst Betrieb im Sinne des § 1 BetrVG oder Nebenbetrieb im Sinne des § 4 S. 2 BetrVG ist. Denn weil das Betriebsverfassungsgesetz nur die Begriffe Betrieb/Nebenbetrieb und Betriebsteil kenne, würde sonst eine solche Arbeitsstätte betriebsverfassungsrechtlich überhaupt nicht erfasst. In E sei noch ein Büroraum der Arbeitgeberin mit allen notwendigen technischen Einrichtungen vorhanden, der an jedem Arbeitstag zeitweise mit einem Arbeitnehmer besetzt sei und als Anlaufstelle für Kunden der Arbeitgeberin und ihrer Monteure dienen könne.

2. Hierbei hat das Landesarbeitsgericht nicht hinreichend beachtet, dass ein Betriebsteil zwar ein in den Betrieb eingegliederter Teil des Betriebes ist, aber von diesem doch organisatorisch abgrenzbar und relativ selbständig sein muss (allgemeine Meinung, vgl. z.B. Dietz/Richardi, BetrVG, 6. Aufl., § 4 Rz 11 ff.; Fitting/Auffarth/Kaiser/Heither, BetrVG, 17. Aufl., § 4 Rz 5; Kraft, GK-BetrVG, 5. Aufl., § 4 Rz 45; aus der Rechtsprechung z.B. BAG Beschluss vom 25. September 1986 - 6 ABR 68/84 - AP Nr. 7 zu § 1 BetrVG 1972, zu 3 der Gründe). Zwar bedarf ein Betriebsteil im Gegensatz zum selbständigen Betrieb im Sinne des § 1 BetrVG keines umfassenden eigenständigen Leitungsapparats, der insbesondere in personellen und sozialen Angelegenheiten wesentliche Entscheidungen selbständig treffen kann. Erforderlich für das Vorliegen eines Betriebsteils im Sinne des § 4 S. 1 BetrVG ist jedoch, dass dort überhaupt eine den Einsatz der Arbeitnehmer bestimmende Leitung institutionalisiert ist und von dieser das Weisungsrecht des Arbeitgebers ausgeübt wird (vgl. z.B. BAG Beschluss vom 29. Mai 1991 - 7 ABR 54/90 - AP Nr. 5 zu § 4 BetrVG, zu B II 2 am Ende der Gründe).

Hieran fehlt es ersichtlich bei dem Büro der Arbeitgeberin in E. Selbst während der wenigen Stunden, in denen es überhaupt mit einem Arbeitnehmer besetzt ist, werden dort keinerlei Entscheidungen getroffen. Während seiner arbeitstäglich dreistündigen Anwesenheit nimmt der dort tätige Arbeitnehmer nur Anrufe entgegen und leitet sie gegebenenfalls weiter.

II. Darüber hinaus kann der Büroraum in E auch deshalb kein nach § 4 S. 1 BetrVG als selbständiger Betrieb geltender Betriebsteil sein, weil ihm betriebsverfassungsrechtlich kein Arbeitnehmer, und erst recht nicht die gemäß § 4 S. 1 in Verb. mit § 1 BetrVG erforderliche Mindestzahl von fünf Arbeitnehmern, zugeordnet werden kann.

1. Der zeitweilig in E tätige Innendienstmitarbeiter ist ganz überwiegend in H beschäftigt und betriebsverfassungsrechtlich dem dortigen Betrieb zuzuordnen. Die Monteure der Arbeitgeberin haben überhaupt keine betriebsverfassungsrechtlich relevante Beziehung zum Büro in E. Dass sie dort ihre Krankmeldungen einreichen können, die dann an die zuständige Personalabteilung in F weitergeleitet werden, dient nur der Vereinfachung der Kommunikation. Was das Landesarbeitsgericht im übrigen mit der Formulierung aussagen will, der Büroraum könne als "Anlaufstelle" für die in E zugeordneten Monteure dienen, ist dem Senat nicht erkennbar. Selbst wenn die Monteure berechtigt sein sollten, sich dort vorübergehend aufzuhalten, ist dies betriebsverfassungsrechtlich unerheblich.

2. Erst recht ohne jede Bedeutung für die betriebsverfassungsrechtliche Zuordnung der Monteure ist die Frage, wie ihre Auslösungssätze berechnet werden. Wenn insoweit E weiterhin als Betriebssitz gilt, so mag dies der Besitzstandswahrung dienen oder sonstige Gründe haben, die sich allein auf die Höhe der den Monteuren zustehenden Auslösungsansprüche beziehen. Die Berechnungsfaktoren von Vergütungsbestandteilen können nicht zur Beantwortung der Frage herangezogen werden, welchem Betrieb bzw. Betriebsteil ein Arbeitnehmer betriebsverfassungsrechtlich zuzuordnen ist.