Wahlberechtigung der zur Berufsausbildung Beschäftigten

BAG 7 ABR 34/95 vom 20. März 1996

Leitsätze

1. Für die Beurteilung der Wahlberechtigung der zu ihrer Berufsausbildung Beschäftigten in reinen Ausbildungsbetrieben (vgl. BAG Beschlüsse vom 21. Juli 1993, BAGE 74, 1 = AP Nr. 8 zu § 5 BetrVG 1972 Ausbildung; 26. Januar 1994, BAGE 75, 312 = AP Nr. 54 zu § 5 BetrVG 1972) ist unerheblich, ob sich eine Vielzahl innerbetrieblicher Regelungen in sozialen Angelegenheiten auch auf die Auszubildenden erstreckt und der Ausbilder gegenüber diesem Personenkreis weisungsbefugt ist.

2. In einem Wahlanfechtungsverfahren ist der Betriebsrat beschwerdebefugt, soweit das Arbeitsgericht einen von ihm gestellten Antrag abgewiesen oder die Betriebsratswahl für nichtig oder unwirksam erklärt hat.

Gründe

A. Zwischen den Beteiligten ist die Wirksamkeit einer Betriebsratswahl streitig.

Der Beteiligte zu 3) ist ein Berufsbildungswerk, das ausschließlich berufliche Ausbildungsmaßnahmen für benachteiligte Jugendliche und Jungerwachsene durchführt. Dazu schließt es mit jedem Auszubildenden einen Ausbildungsvertrag und zahlt auch die Ausbildungsvergütung. Die im Betrieb des Beteiligten zu 3) bestehenden Urlaubs-, Arbeitszeit-, Pausen- und sonstige Regelungen gelten auch für die Auszubildenden. Der praktische Teil der Ausbildung zum Büro- bzw. Großhandelskaufmann oder Konstruktions- und Industriemechaniker erfolgt in den dafür eingerichteten Büros und Werkstätten des Beteiligten zu 3). Dagegen wird die schulische Ausbildung in einer staatlichen Berufsschule durchgeführt. Die Ausbildung und Betreuung der 159 Auszubildenden erfolgt durch 44 Arbeitnehmer des Beteiligten zu 3).

Am 26. Mai 1994 wurde im Berufsbildungswerk des Beteiligten zu 3) ein aus drei Personen bestehender Betriebsrat gewählt. Zuvor hatte das Arbeitsgericht dem Wahlvorstand im Wege einer einstweiligen Verfügung aufgegeben, die Auszubildenden aus der Wählerliste zu streichen. Dadurch verringerte sich die Zahl der zu wählenden Betriebsratsmitglieder von 7 auf 3.

Bei den fünf Beteiligten zu 1) handelt es sich um Arbeitnehmer des Beteiligten zu 3). Sie halten die Betriebsratswahl vom 26. Mai 1994, deren Ergebnis noch am selben Tag bekannt gemacht worden ist, für unwirksam. Bei dem Betrieb des Beteiligten zu 3) handele es sich nicht um eine schulische Einrichtung, sondern um einen auf praktische Ausbildung ausgerichteten Betrieb. Dessen Auszubildende seien Arbeitnehmer im Sinne des § 5 Abs. 1 BetrVG, schon weil sie wie die übrigen Arbeitnehmer in den Betrieb eingegliedert seien und der Beteiligte zu 3) ihnen gegenüber weisungsbefugt sei. Sie seien daher auch berechtigt, sich an der Betriebsratswahl zu beteiligen.

Die Beteiligten zu 1) haben beantragt

festzustellen, dass die im Betrieb des Beteiligten zu 3) am 26. Mai 1994 durchgeführte Betriebsratswahl rechtsunwirksam ist.

Der Beteiligte zu 3) hat beantragt, den Antrag abzuweisen. Er meint, ein Verstoß gegen wesentliche Wahlvorschriften sei nicht ersichtlich. Die Auszubildenden seines Berufsbildungszentrums seien keine Arbeitnehmer im Sinne des § 5 Abs. 1 BetrVG. Ihr Einsatz erfolge nicht im Rahmen der arbeitstechnischen Zwecksetzung des Betriebes.

Der zu 2) beteiligte Betriebsrat hat vor dem Arbeitsgericht keinen Antrag gestellt. Erst vor dem Landesarbeitsgericht hat er beantragt, die Betriebsratswahl für rechtsunwirksam zu erklären.

Das Arbeitsgericht hat den Antrag der Beteiligten zu 1) abgewiesen. Die Beschwerde der Beteiligten zu 1) und 2) hat das Landesarbeitsgericht zurückgewiesen. Mit ihrer vom Landesarbeitsgericht zugelassenen Rechtsbeschwerde verfolgen die Beteiligten zu 1), denen sich der Beteiligte zu 2) angeschlossen hat, ihr ursprüngliches Antragsziel weiter. Der Beteiligte zu 3) hat die Zurückweisung der Rechtsbeschwerde beantragt.

B. Die Rechtsbeschwerde der antragstellenden Arbeitnehmer ist unbegründet. Zu Recht haben die Vorinstanzen den Wahlanfechtungsantrag zurückgewiesen.

I. Die formellen Voraussetzungen der Wahlanfechtung sind erfüllt. Die nach § 19 Abs. 2 Satz 1 BetrVG anfechtungsberechtigten Arbeitnehmer haben die am 26. Mai 1994 in dem Hamburger Berufsbildungszentrum des beteiligten Arbeitgebers durchgeführte Betriebsratswahl innerhalb der Zwei-Wochen-Frist des § 19 Abs. 2 Satz 2 BetrVG rechtzeitig angefochten.

II. Ein Wahlanfechtungsgrund im Sinne des § 19 Abs. 1 BetrVG liegt nicht vor. Wie die Vorinstanzen zutreffend erkannt haben, gehören die im Berufsbildungszentrum tätigen 159 Auszubildenden nicht zu dem Kreis der wahlberechtigten Arbeitnehmer im Sinne des § 5 Abs. 1 in Verb. mit § 7 BetrVG.

1. Bei seiner Beurteilung, ob diese Auszubildenden im Hamburger Berufsbildungszentrum zur Ausbildung Beschäftigte und damit wahlberechtigte Arbeitnehmer dieses Betriebes sind, hat das Landesarbeitsgericht zutreffend die neuere Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts zugrunde gelegt. Danach setzt das Wahlrecht von Auszubildenden voraus, dass sie aufgrund eines privatrechtlichen Ausbildungsvertrages im Rahmen der arbeitstechnischen Zwecksetzung des Ausbildungsbetriebes eine berufliche Unterweisung erhalten. Dafür entscheidend ist die Eingliederung des Auszubildenden in den Betrieb des Ausbildenden. Hierfür wird eine betrieblich praktische Unterweisung gefordert, bei der der Arbeitgeber dem Auszubildenden praktische Aufgaben zu Ausbildungszwecken zuweist. Die betriebsverfassungsrechtlich entscheidende Eingliederung des Auszubildenden liegt indes nur vor, wenn sich die berufspraktische Ausbildung im Rahmen der arbeitstechnischen Zwecksetzung des Betriebes vollzieht, zu dessen Erreichung die betriebsangehörigen Arbeitnehmer zusammenarbeiten. Dazu muss die Berufsausbildung mit dem laufenden Produktions- oder Dienstleistungsprozess des Betriebes verknüpft sein. Das ist der Fall, wenn der Auszubildende mit solchen Tätigkeiten beschäftigt wird, die zu den beruflichen Aufgaben der Arbeitnehmer dieses Betriebes gehören. Ist der Betriebszweck eines Ausbildungsbetriebes allein auf die Vermittlung einer berufspraktischen Ausbildung beschränkt, sind die dort tätigen Auszubildenden nicht in vergleichbarer Weise wie die übrigen Arbeiter oder Angestellten im Betrieb integriert. Ihre Ausbildung vollzieht sich nicht im Rahmen der jeweiligen arbeitstechnischen Zwecksetzung eines Produktions- oder Dienstleistungsbetriebes. Vielmehr ist ihre Ausbildung selbst Gegenstand des Betriebszwecks. Daraus folgt, dass Auszubildende in reinen Berufsausbildungswerken mangels Eingliederung keine Arbeitnehmer im Sinne des BetrVG sind, soweit sie nicht ihrerseits dort innerhalb des laufenden Betriebes mit einer Zwecksetzung eingesetzt werden, die auch die dort beschäftigten Arbeitnehmer verfolgen (BAG Beschlüsse vom 26. Januar 1994, BAGE 75, 312 = AP Nr. 54 zu § 5 BetrVG 1972 und 21. Juli 1993, BAGE 74, 1 = AP Nr. 8 zu § 5 BetrVG 1972 Ausbildung).

Nach diesen Grundsätzen erweist sich die angefochtene Betriebsratswahl als wirksam. Die 159 zur Berufsausbildung Beschäftigten waren nicht berechtigt, sich an der Betriebsratswahl zu beteiligen. Bei ihnen handelt es sich nicht um zur Berufsausbildung Beschäftigte im Sinne des § 5 Abs. 1 BetrVG. Der arbeitstechnische Zweck des Berufsbildungszentrums beschränkt sich nach den mit der Rechtsbeschwerde nicht angegriffenen Feststellungen des Landesarbeitsgerichts auf die Durchführung beruflicher Ausbildungsmaßnahmen in bestimmten Berufszweigen. Den dortigen Auszubildenden werden Kenntnisse und Fertigkeiten für den Beruf eines Büro- bzw. Großhandelskaufmanns oder Konstruktions- und Industriemechanikers vermittelt. Sie werden nicht für Berufe ausgebildet, die im Berufsbildungszentrum im Rahmen dessen arbeitstechnischer Zwecksetzung eingesetzt werden. Eine Ausbildung zum Ausbilder findet nicht statt.

2. Zu Recht hat es das Landesarbeitsgericht für unerheblich gehalten, ob sich eine Vielzahl innerbetrieblicher Regelungen in sozialen Angelegenheiten auch auf die Auszubildenden erstreckt und der Arbeitgeber als Ausbilder ihnen gegenüber ebenso weisungsbefugt ist wie gegenüber den anderen Arbeitnehmern des Betriebes. Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts sind wahlberechtigt nur die betriebszugehörigen Arbeitnehmer im Sinne des § 5 Abs. 1 BetrVG (BAG Beschluss vom 29. Januar 1992 - 7 ABR 27/91 - AP Nr. 1 zu § 7 BetrVG 1972, zu III 1 a der Gründe, m.w.N., ständige Rechtsprechung). Die Betriebszugehörigkeit setzt voraus, dass eine tatsächliche Eingliederung des Arbeitnehmers in die jeweilige Betriebsorganisation (BAGE 61, 7, 13 = AP Nr. 1 zu § 9 BetrVG 1972, zu B II 1 der Gründe) stattgefunden hat. Hierfür ist maßgebend, dass der Arbeitnehmer zusammen mit den im Betrieb bereits beschäftigten Arbeitnehmern eine Tätigkeit verrichtet, die ihrer Art nach weisungsgebunden ist und der Verwirklichung des arbeitstechnischen Zwecks des Betriebes dient (BAG Beschluss vom 18. Oktober 1994 - 1 ABR 9/94 - AP Nr. 5 zu § 99 BetrVG 1972 Einstellung, auch zum Abdruck in der Amtlichen Sammlung des Gerichts bestimmt). Für die Betriebszugehörigkeit ist demnach kennzeichnend die Verwirklichung eines arbeitstechnischen Betriebszwecks durch weisungsgebundene Tätigkeit. Beide Merkmale müssen nebeneinander vorliegen. Fehlt es an einem, ist die Wahlberechtigung insgesamt zu verneinen. Vorliegend dient die Ausbildung nicht der Verwirklichung des Betriebszwecks des Bildungszentrums. Das hindert eine für die Wahlberechtigung kennzeichnende Eingliederung in den Betrieb des Arbeitgebers, ohne dass es auf dessen Weisungsbefugnis noch entscheidend ankommt. Das hat das Landesarbeitsgericht zutreffend erkannt.

3. Auch die von den beteiligten Arbeitnehmern geäußerte Kritik an der methodischen Vorgehensweise des Senats bei der Änderung seiner Rechtsprechung in den Entscheidungen vom 21. Juli 1993 und vom 26. Januar 1994 (a.a.O.) vermag der Rechtsbeschwerde nicht zum Erfolg zu verhelfen. Die Änderung der Senatsrechtsprechung ist von der Literatur - soweit ersichtlich - überwiegend zustimmend zur Kenntnis genommen worden (Fitting/Kaiser/Heither/Engels, BetrVG, 18. Aufl., § 5 Rz 91 f.; Kraft, SAE 1994, 260; Meisel, SAE 1994, 338; Glatzel, AR-Blattei Betriebsverfassung V, 530.5 Nr. 25; Weber, BBiG, Stand November 1995, § 1 Anm. 6 a; kritisch Ortmann, Der Betriebsrat 1994, 37; a.A. Dannenberg, AiB 1994, 521). Entgegen der Ansicht der Rechtsbeschwerde ist der Wortlaut des § 5 Abs. 1 BetrVG nicht eindeutig. Er bedarf der Auslegung. Zwar trifft es zu, dass der Gesetzgeber den Begriff der zur Berufsausbildung Beschäftigten in unterschiedlichen Regelungszusammenhängen gleichlautend verwendet. Das schließt es jedoch nicht aus, den Begriff im Lichte der jeweiligen Norm auszulegen. Demzufolge geht das Bundesarbeitsgericht in ständiger Rechtsprechung davon aus, dass der in § 5 Abs. 1 BetrVG verwendete Begriff der Berufsausbildung einer normzweckorientierten Auslegung zugänglich ist (BAGE 63, 188, 195 = AP Nr. 40 zu § 5 BetrVG 1972). Diesen Auslegungsgrundsatz haben die zuständigen Senate des Bundesarbeitsgerichts stets auch in anderen Regelungszusammenhängen angewandt und entschieden, dass außerhalb des Berufsbildungsgesetzes nach der Zwecksetzung der jeweiligen Norm zu prüfen ist, welcher Bedeutungsgehalt dem Begriff der Berufsausbildung zukommt (Urteil vom 22. Juni 1994 - 7 AZR 469/93 - AP Nr. 15 zu § 1 BeschFG 1985, auch zum Abdruck in der Amtlichen Sammlung des Gerichts bestimmt; Urteil vom 23. Juni 1983, BAGE 43, 115 = AP Nr. 10 zu § 78 a BetrVG 1972).

Eine Abkehr von seiner bisherigen Rechtsauffassung hat der Senat in erster Linie auf systematische Erwägungen gestützt und aus den Gesetzesmaterialien sowie dem textlichen Zusammenhang des § 5 Abs. 1 BetrVG geschlossen, dass auch bei den zur Berufsausbildung Beschäftigten diejenigen Kriterien erfüllt sein müssen, die für die Arbeitnehmereigenschaft im betriebsverfassungsrechtlichen Sinne allgemein kennzeichnend sind. Dazu gehört neben der Leistung fremdbestimmter Arbeit auf arbeitsvertraglicher Grundlage auch, dass diese Personen vom Arbeitgeber innerhalb der betrieblichen Organisation zur Erfüllung eines bestimmten Betriebszwecks eingesetzt werden. Die daraus zu ziehenden Schlussfolgerungen haben den Senat unter Berücksichtigung normzweckorientierter Kriterien dazu veranlasst, die Gefahr der Majorisierung der Arbeitnehmer, die den Betriebszweck verwirklichen, durch die von ihnen Auszubildenden stärker zu gewichten, auch wenn dies den Verlust der betriebsverfassungsrechtlichen Repräsentanz der Auszubildenden in diesen Betrieben zur Folge hat. Entgegen der Meinung der Rechtsbeschwerde besteht zwischen den einzelnen Auslegungsmethoden kein vorgegebenes Rangverhältnis. Das Gewicht der einzelnen Auslegungskriterien hängt von ihrer jeweiligen Aussagekraft ab, die zueinander zu gewichten und einem konkreten Auslegungsergebnis zuzuführen sind (Larenz, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, 6. Aufl., S. 343, 346; Bydlinski, Juristische Methodenlehre und Rechtsbegriff, 2. Aufl., S. 558 ff., 565).

C. Die Rechtsbeschwerde des Betriebsrats ist zulässig, aber unbegründet. Entgegen der Ansicht des Landesarbeitsgerichts war die Beschwerde des Betriebsrats unzulässig. Der Betriebsrat war durch die angegriffene Entscheidung des Arbeitsgerichts nicht beschwert.

Die Beschwerdebefugnis des Betriebsrats in einem Wahlanfechtungsverfahren steht im unmittelbaren Zusammenhang mit seiner Beteiligtenbefugnis. Sie setzt voraus, dass er durch die angegriffene Entscheidung in seinem betriebsverfassungsrechtlichen Recht oder Rechtsverhältnis unmittelbar betroffen ist (vgl. BAG Beschluss vom 4. Dezember 1986, BAGE 53, 385, 388 f. = AP Nr. 13 zu § 19 BetrVG 1972, zu II 1 der Gründe, m.w.N.). Daran fehlt es, soweit die angegriffene Entscheidung einem Wahlanfechtungsantrag den Erfolg versagt und damit die Wirksamkeit der Betriebsratswahl bestätigt. Vorliegend hatte das Arbeitsgericht einen Wahlanfechtungsantrag der nach § 19 Abs. 2 BetrVG anfechtungsberechtigten Arbeitnehmer abgewiesen. Durch diese Entscheidung wird die betriebsverfassungsrechtliche Rechtsstellung des amtierenden Betriebsrats nicht berührt. Hinzu kommt, dass sich der Betriebsrat weder durch einen geeigneten Antrag noch in sonstiger Weise die Rechtsauffassung der anfechtenden Arbeitnehmer zu eigen gemacht hatte, wonach die Anzahl der gewählten Betriebsratsmitglieder gemessen an der Zahl der wahlberechtigten Arbeitnehmer zu gering und damit gegen § 9 BetrVG verstoßen worden sei. Das Landesarbeitsgericht hätte daher die Beschwerde des Betriebsrats als unzulässig behandeln müssen.