Betriebsratswahl: Wahlberechtigung von studentischen Abrufkräften

LAG Köln 3 TaBV 65/91 vom 10. Feb. 1992

Leitsatz

Studentische Abrufkräfte, die sich aufgrund einer Rahmenvereinbarung zwar bereit erklärt haben, kurzfristig Arbeitsangebote für Versandarbeiten erhalten zu wollen, aber nicht zur Annahme des Angebots verpflichtet sind, sind keine Arbeitnehmer und daher auch im Rahmen einer Betriebsratswahl nicht wahlberechtigt.

Gründe

I.

Die Antragstellerin ficht die Wahl des Betriebsrats an, die am 22.11.1990 in ihrem Betrieb durchgeführt wurde. Die Antragstellerin betreibt den Versand von Presseerzeugnissen. zur Zeit der Betriebsratswahl waren in ihrem Betrieb neben etwa 67 Vollzeitarbeitskräften noch 98 studentische "Abrufkräfte" tätig, die von dem Wahlvorstand neben den Vollzeitbeschäftigten zur Wahl zugelassen wurden. Zugelassen waren insgesamt 165 Personen, von denen 143 an der Wahl teilnahmen. Die Bekanntmachung des Wahlergebnisses erfolgte noch am 22.11.1990. Danach wurde ein Betriebsrat mit sieben Mitgliedern gewählt.

Die Beteiligten streiten darüber, ob die "Abrufkräfte", von denen 44 nach dem 30.11.1990 nicht weiterbeschäftigt worden sind, berechtigt waren, an der Betriebsratswahl teilzunehmen. Dazu ist folgendes unstreitig:

Bei den "Abrufkräften" handelt es sich um Studenten. Jeder von ihnen hatte von der Antragstellerin ein Schreiben erhalten, in dem ausgeführt ist:

"Abrufarbeitsverhältnis mit Herrn... in der Versand-Abteilung.

Gerne sind wir bereit" sie in die Liste der "Interessenten als Abrufkraft" für unsere Versandabteilung aufzunehmen.

Für den Fall, dass wir Ihre Arbeitsleistung benötigen, werden wir Ihnen rechtzeitig anbieten, für uns tätig zu sein. Sollten Sie - aus welchen Gründen auch immer - hierzu nicht in der Lage sein, so bitten wir Sie, uns umgehend zu informieren.

Wir machen Sie schon jetzt darauf aufmerksam, dass der Zeitungsverlag 1990 eine neue Versandanlage installieren und in Betrieb nehmen wird; aus diesem Grund ist dann eine Beschäftigung von Abrufkräften noch in einem erheblich geringerem Umfang als gegenwärtig möglich.

Ihre Tätigkeit befristen wir daher bis zum 31.10.1990."

Der Versandleiter der Antragstellerin, der Zeuge P., stellt jeweils am Wochenende den Einsatzplan der Studenten für die übernächste Woche auf. Ihm ist bekannt, für welche Tage die Studenten aufgrund ihrer persönlichen Lebens- und Studiensituation voraussichtlich zur Verfügung stehen werden. Dies berücksichtigt er bei der Aufstellung der Einsatzpläne, vergewissert sich aber jeweils noch einmal bei den Studenten, ob ihnen die Arbeit an dem Termin, den der Zeuge für sie vorgesehen hat, möglich ist, indem er sie während eines vorhergehenden Arbeitseinsatzes im Betrieb fragt, ob sie zu den Zeiten, für die der Zeuge sie eingeplant hat, arbeiten können. Es kommt auch vor, dass der Zeuge von sich aus telefonisch Studenten einen Termin anbietet, wenn sie längere Zeit nicht im Betrieb waren. Eine längerfristige Einsatzplanung für mehrere Wochen oder Monate findet nicht statt. Die Studenten verrichten dieselbe Arbeit wie die festangestellten Mitarbeiter des Betriebes.

Die Antragstellerin hat geltend gemacht, dass lediglich eine "Stammbelegschaft" von 67 Personen wahlberechtigt gewesen sei, der die studentischen Abrufkräfte gerade nicht angehörten. Sie hat hierzu behauptet, im Rahmen der wöchentlichen Vorausplanung würde für den Fall, dass sie die Arbeitsleistung von Abrufkräften benötige, diesen Personen zunächst unverbindlich für die folgende Woche Arbeit angeboten; die so angesprochenen Personen seien dann aber grundsätzlich frei in ihrer Entscheidung, das Angebot anzunehmen oder abzulehnen. Erst danach stehe der Arbeitseinsatz der einzelnen Abrufkraft endgültig fest.

Sie hat beantragt,

es wird festgestellt, dass die am 22.11.1990 im Betrieb der Antragstellerin durchgeführte Betriebsratswahl unwirksam ist.

Der Antragsgegner hat beantragt, den Antrag zurückzuweisen.

Er hat erwidert: Die 98 Teilzeitarbeitskräfte seien entgegen der Auffassung der Antragstellerin Arbeitnehmer im Sinne des Betriebsverfassungsgesetzes. Es handele sich um regelmäßig Beschäftigte, die keine Möglichkeit besäßen, den im Wochenarbeitsplan festgesetzten Arbeitseinsatz abzulehnen. Ihre einzige Einflussnahme bestehe darin, dass ihre Wünsche bezüglich der Arbeitseinteilung Berücksichtigung fänden. Insoweit bestehe eine persönliche Abhängigkeit. Mit einem monatlichen Verdienst von etwa 800,-- DM bis 1.000,-- DM seien die Teilzeitarbeitskräfte zudem wirtschaftlich von der Antragstellerin abhängig.

Das Arbeitsgericht Aachen hat den Antrag mit Beschluss vom 04.09.1991 zurückgewiesen. Es hat die Abrufkräfte als wahlberechtigte Arbeitnehmer des Betriebes angesehen. Sie seien verpflichtet, ihre Tätigkeit gemäß den Anweisungen ihrer Arbeitgeberin auszuführen. Sie seien auch eindeutig in die Betriebsorganisation eingegliedert.

Die Antragstellerin, der der arbeitsgerichtliche Beschluss am 19.10.1991 zugestellt worden ist, hat am 13.11.1991 Beschwerde eingelegt, die sie am 13.12.1991 begründet hat.

Sie hält vor dem Beschwerdegericht an ihrer Auffassung fest, dass die Abrufkräfte nicht berechtigt gewesen seien, an der Betriebsratswahl teilzunehmen. Sie trägt dazu ergänzend vor: Es hänge sowohl von dem Arbeitsanfall im Betrieb der Antragstellerin als auch von der Bereitschaft des einzelnen Studenten ab, auf ein Arbeitsangebot einzugehen, wie häufig ein einzelner Student im Verlaufe eines Jahres im Betrieb der Antragstellerin arbeite. Es stehe jeweils im freien Belieben der Studenten, ob sie den Arbeitseinsatz, den der Versandleiter für sie vorgesehen habe, annähmen oder nicht.

Sie beantragt,

unter Abänderung des angefochtenen Beschlusses festzustellen, dass die am 22.11.1990 im Betrieb der Antragstellerin durchgeführte Betriebsratswahl unwirksam ist.

Der Antragsgegner beantragt,

die Beschwerde zurückzuweisen.

Er erwidert: Da die Studenten im Laufe einer Woche für die nächste Woche eingeteilt würden, seien sie durch Wochenarbeitsverträge zur Erbringung der Arbeitsleistung verpflichtet; andernfalls drohe ihnen, dass sie nicht weiterbeschäftigt würden. Bereits das Zahlenverhältnis zwischen Stammarbeitern und teilzeitbeschäftigten Abrufkräften mache deutlich, dass die Antragstellerin zur Aufrechterhaltung des Produktionsablaufs auf die Mitarbeit der teilzeitbeschäftigten Studenten angewiesen sei. Selbstverständlich würden nur jene teilzeitbeschäftigten Studenten zur Arbeitsleistung eingeteilt, bei denen sichergestellt sei, dass der Arbeitseinsatz nicht abgesagt werde.

II.

Die Beschwerde der Antragstellerin ist nach § 87 Abs. 1 ArbGG statthaft. Sie ist auch in der richtigen Form und Frist eingelegt und begründet worden (§ 87 Abs. 2 ArbGG) und damit zulässig.

Sie hat in der Sache Erfolg und führt zu der Feststellung, dass die Wahl, die am 22.11.1990 im Betrieb der Antragstellerin durchgeführt worden ist, unwirksam ist, weil die Wahl gegen wesentliche Vorschriften über das Wahlrecht verstieß und die Antragstellerin die Wahl in der Frist des § 19 Abs. 2 Satz 2 BetrVG bei dem Arbeitsgericht Aachen angefochten hat und weil schließlich auch der Verstoß gegen die Vorschriften über das Wahlrecht das Wahlergebnis beeinflusst hat.

An der Wahl haben 98 Personen teilgenommen, die nicht wahlberechtigt waren. Es liegt auf der Hand und bedarf keiner näheren Begründung, dass sich dies auf die Zusammensetzung des Betriebsrats ausgewirkt hat (vgl. § 9 BetrVG). Auch wenn man dem Antragsgegner darin folgt, dass zum Kreis der 98 Personen, über deren Wahlberechtigung die Beteiligten streiten, nicht ausschließlich studentische Abrufkräfte, sondern auch einige weibliche Teilzeitkräfte gehören, deren Arbeitnehmerstatus für die Antragstellerin zu keinem Zeitpunkt in Frage gestanden habe, stellt auch der Antragsgegner nicht in Abrede, dass es sich bei der Mehrzahl um studentische Abrufkräfte handelte. Ihre Teilnahme an der Wahl hat das Wahlergebnis beeinflusst.

Bei der Beurteilung der Frage, ob die studentischen Abrufkräfte wahlberechtigte Arbeitnehmer im Sinne des § 7 BetrVG waren, folgt das Beschwerdegericht den Grundsätzen, von denen das Bundesarbeitsgericht in seinem Beschluss vom 17.10.1990 (7 ABR 66/89) ausgegangen ist.

Aufgrund der Aussage, die der Zeuge P. gemacht hat - sie ist inhaltlich unstreitig geworden - ist das Beschwerdegericht zu der Überzeugung gelangt, dass zwischen den studentischen Abrufkräften und der Antragstellerin nur eine rechtliche Rahmenbeziehung bestand, die nicht den Charakter eines Arbeitsverhältnisses trug, weil die Studenten nicht zur Arbeitsleistung verpflichtet waren. Denn der allgemeine Arbeitnehmerbegriff setzt, wie das Bundesarbeitsgericht in dem o.a. Beschluss in Fortsetzung seiner bisherigen Rechtsprechung ausgeführt hat, voraus, dass der Arbeitnehmer vertraglich zur Dienstleistung verpflichtet ist. Die studentischen Abrufkräfte waren indessen nicht verpflichtet, die Arbeitsangebote, die der Zeuge P. ihnen machte, anzunehmen. So hat der Zeuge P. ausgesagt, die Studenten, denen er einen Termin anbiete, brauchten eine eventuelle Absage nicht zu begründen. Akzeptiert es der Zeuge ohne weiteres, dass Studenten für einen Arbeitseinsatz, den er für sie bei seiner Wochenplanung vorgesehen hat, aus welchen Gründen auch immer nicht zur Verfügung stehen, so spricht dies gegen die Annahme des Betriebsrats, es bestehe eine über den einzelnen Arbeitseinsatz hinausgehende Arbeitspflicht der Studenten. Wie in der Fallgestaltung, die dem Beschluss des Bundesarbeitsgerichts vom 17.10.1990 zugrunde liegt, entsteht auch im Streitfall die Verpflichtung zur Dienstleistung jeweils erst aufgrund einer besonderen, für den einzelnen Arbeitseinsatz getroffenen Absprache zwischen dem Studenten und dem Zeugen P.. Auch hier gilt: Wenn man in der zwischen dem Studenten und der Antragstellerin bestehenden Rahmenbeziehung ein Dauerrechtsverhältnis sieht, das zu einer dauerhaften Bindung über den einzelnen Einsatztag hinausführt, so ist sie jedenfalls wegen der fehlenden Verpflichtung zur Dienstleistung nicht geeignet, ein Arbeitsverhältnis und damit die Arbeitnehmereigenschaft des Mitarbeiters zu begründen. Die Planungen der Antragstellerin beruhen, wie die Beweisaufnahme ergeben hat, nicht darauf, dass die studentischen Abrufkräfte verpflichtet sind, ein Arbeitsangebot anzunehmen, sondern darauf, dass sich in dem Personenkreis, dem die Antragstellerin ein Arbeitsangebot macht, erfahrungsgemäß genügend Studenten finden, die bereit sind, zu den Zeiten, zu denen die Antragstellerin Arbeitskräfte benötigt, zu arbeiten. Eine längerfristige Einplanung von bestimmten Studenten für mehrere Wochen oder gar Monate findet, wie der Zeuge P. ausgesagt hat, nicht statt, obwohl manche Studenten drei oder vier Tage pro Woche arbeiten.

Das Beschwerdegericht braucht sich nicht mit der Frage auseinander zu setzen, ob wenigstens die Studenten, die am Wahltag im Betrieb beschäftigt waren, Arbeitnehmereigenschaft hatten und damit wahlberechtigt werden. Darauf kommt es für die Wahlanfechtung nicht an. Denn selbst wenn man es für möglich hält, dass die studentischen Abrufkräfte, die am 22.11.1990 im Betrieb der Antragstellerin arbeiteten, damit wahlberechtigte Arbeitnehmer im Sinne des § 7 BetrVG waren, liegt ein Verstoß gegen wesentliche Vorschriften über das Wahlrecht vor, der sich auf das Wahlergebnis ausgewirkt hat. Denn die Antragstellerin hat eine Auflistung von 97 Abrufkräften vorgelegt, die sie 1990 beschäftigt hat. Die Einsatztage sind dort jeweils mit einem "x" gekennzeichnet. Aus der Auflistung ergibt sich, dass am Wahltag - dem 22.11.1990 - 75 Abrufkräfte nicht gearbeitet haben. Sie waren gleichwohl in die Wählerliste eingetragen und haben - was nach den zur Wahlbeteiligung vorliegenden Zahlen unzweifelhaft ist - zu einem großen Teil an der Betriebsratswahl teilgenommen.

Die Wahl war daher für unwirksam zu erklären.